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BIG DATA SCHWERPUNKT15. Februar 2016

Big Data bei Versicherern: Chancen am Ende des Hypes?

Dr. Rainer Hahn, PASS Consulting GroupPASS
Dr. Rainer Hahn, PASS Consulting Group PASS

Der große Hype um Big Data scheint abgeklungen zu sein. War das Thema im „Hype Cycle“ des Analysten Gartner 2013 und 2014 noch am „Höhepunkt der überzogenen Erwartungen“, erschien es letztes Jahr nicht einmal mehr im „Tal der Desillusionierung“, sondern verschwand aus der Untersuchung. Der perfekte Zeitpunkt, um das Thema realistisch zu betrachten.

von Dr. Rainer Hahn, PASS Consulting Group

Der Versicherungswirtschaft sollte das Ende des Hypes entgegenkommen. Im Gegensatz zu anderen Branchen ist gerade hier, wo Verträge auf Lebenszeit abgeschlossen werden, die Erwartung der Kunden an Konstanz und Verlässlichkeit besonders groß. Das passt nicht damit zusammen, jedem neuen Trend nachzugeben und sich dem Kunden in ständig wandelnder Gestalt zu zeigen.

Trotzdem bleiben die Vorteile, die man sich vom Einsatz von Big-Data-Technologien versprochen hat, bestehen.

Dr. Rainer Hahn
Der promovierte Physiker Dr. Rainer Hahn ist seit 1997 bei der PASS Consulting Group als Berater tätig und betreut vor allem Data-Warehouse-Projekte bei Banken und Versicherern. Aktuell begleitet er u.a. den Aufbau eines zentralen Data Warehouses (DWH) bei einem führenden deutschen Versicherungskonzern in den Sparten Leben, KFZ und Rück. Darüber hinaus führt er regelmäßig Coachings und Schulungen im Datenbank- und DWH-Umfeld durch. Seit 2003 leitet er das PASS Competence Center Business Intelligence.
Gerade Versicherer verfügen über umfangreiches (und attraktives) kundenspezifisches Wissen: Vermögensverhältnisse, Gesundheit, persönliche Interessen. Tatsächlich sind solche Daten schon immer in die Tarifbildung eingeflossen, vielleicht kann man sogar von einem Vorstadium zu Big Data sprechen, das insbesondere den strukturierten Datenanteil berücksichtigt hat. Neben diesen strukturierten Daten gibt es aber auch sehr viele unstrukturierte Informationen, die z.B. in E-Mails oder in Telefonprotokollen enthalten sind. Die Versicherungen müssen nicht zwangsläufig das Social Web anzapfen, um mehr über ihre Kunden zu erfahren und sich dem Ideal einer 360-Grad-Kundensicht anzunähern. Viel sinnvoller ist, zuerst die Schätze aus dem eigenen Datenbestand zu heben. Es ist davon auszugehen, dass alle größeren Unternehmen der Branche daran arbeiten.

Vorteile durch den Einsatz von Big-Data-Technologien

Es gibt zahlreiche Aspekte, die für die Versicherungswirtschaft unter dem Gesichtspunkt von Big Data interessant sind – so wären u.a. Verbesserungen im Mahn- und Inkassowesen, bei der Betrugserkennung und der Stornoprävention denkbar. Heute liegt der Fokus aber auf zwei anderen Themen: der Optimierung der Vertriebswege und der Individualisierung von Tarifen.

1. Optimierung der Vertriebswege

Auch im Zeitalter der Digitalisierung und trotz aufkommender Konkurrenz durch InsurTechs: Für die Versicherungswirtschaft wird der Vertrieb über Agenturen und Vermittler auf absehbare Zeit der wichtigste Kanal bleiben. Das legen aktuelle Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nahe. Gleichzeitig wächst allerdings auch die Bedeutung des Direktvertriebs – vor allem im Schaden- und Unfallbereich, also bei den „einfachen Produkten“.

GdV
GdV

Vertriebswege von Versicherungen 2014 (Veröffentlichung am 26.01.2016)

Die logische Konsequenz des „Vertriebs 2.0“ ist, dass die für Big Data zur Verfügung stehende Datenmenge wächst. Es können teils rein statistisch, teils kundenbezogen die Interessen anhand des Aufrufverhaltens der Seiten ausgewertet werden. Das ergibt neue Impulse für Cross Selling oder die Schärfung der Versicherungsprodukte. Während die strukturierten Daten aus dieser Quelle bereits weitgehend genutzt werden, laufen die Bestrebungen, auch unstrukturierte Daten auszuwerten, erst an.

2. Individualisierung von Tarifen

Die Individualisierung von Tarifen ist der Themenbereich, der – unterstützt durch Big-Data-Strategien – das größte Medienecho erzeugt hat. Hier stehen neben technischen Herausforderungen (Datenerhebung und Verteilung) vor allem die Frage der Kundenakzeptanz und Bedenken bezüglich des Datenschutzes im Raum.

Telematik-Markt.de
Telematik-Markt.de

Big Data und der KFZ-Telematik-Tarif

Besonders im Fokus stehen die Telematik-Tarife in der KFZ-Versicherung. Hierbei werden besondere Tarife angeboten, die an die tatsächlichen Fahrleistungen geknüpft sind. Dabei geht es nicht nur um die gefahrenen Kilometer, sondern um eine Leistungsbewertung der Fahrer. Laut Finanztip bieten im Februar 2016 bereits vier Versicherer einen Telematik-Tarif mit Einsparmöglichkeiten für den Kunden von bis zu 40 Prozent an. Die beiden Branchenprimi Allianz und HUK haben entsprechende Tarife in Vorbereitung. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Sparkassen DirektVersicherung, die als Vorreiter auf dem deutschen Markt das erste Pilotprojekt aus der Taufe hob, gerade angekündigt hat, den angebotenen Tarif einzustellen. Grund sind die zu hohen Kosten für die technische Ausstattung. Es gibt eine Warteliste für Interessenten, die sich für einen Nachfolgetarif, über den aber noch nichts bekannt ist, bewerben können.

Big Data in den Personenversicherungen

Weitere Ansätze sind für die Personenversicherung in Vorbereitung. Die Studie Quantified Health der Yougov Meinungsforschung hat ergeben, dass 32 Prozent der Bevölkerung bereit sind, Daten über ihre Lebensweise freizugeben, wenn sie dafür attraktivere Versicherungstarife erhalten. Allerdings lehnen auch ca. 40 Prozent der Befragten dies strikt ab. Die Studie zeigt ebenfalls auf, dass das Vertrauen der Kunden in den datenschutzgerechten Umgang mit ihren Daten in Bezug auf die Versicherungsunternehmen wesentlich größer ist als gegenüber etwa Sportartikelherstellern. Dies ist auch an der verstärkten Nutzung von Gesundheits-Apps von Versicherern abzulesen. Die Generali Versicherungsgruppe hat im Frühjahr 2015 für Deutschland „Vitality“-Tarife angekündigt, in die der persönliche Fitnesslevel und die Fitnessentwicklung sowie die Gesundheit der Lebensführung einfließen. Das Modell soll neben der Lebensversicherung auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung angewendet werden. In der öffentlichen Diskussion sind solche Modelle in erster Linie jedoch für die Krankenversicherung.

Chancen mit Herausforderungen

Gerade Versicherungen haben eine ideale Basis, um aus dem vorhandenen Datenbestand mit Big-Data-Technologien weitere Wertschöpfung zu generieren. Aber sie stehen dabei auch vor moralischen, datenschutzrechtlichen und technologischen Herausforderungen: Deutlich wird dies am Beispiel der „Fitness-Tarifierung“. Kritiker führen ins Feld, dass eine weitgehend individuelle Tarifgestaltung dem Gedanken der Solidargemeinschaft unter den Versicherten widerspricht. Noch schwerer wiegen allerdings die Auswirkungen, die die am 15. Dezember 2015 beschlossene europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nach sich ziehen könnte. Nach Auskunft des Abgeordneten Jan Phillip Albrecht wird es nach Art. 7 Abs. 4 der DSGVO künftig untersagt sein, einen Versicherungsvertrag vom Zugriff auf Fitnessdaten abhängig zu machen. In seiner Informationsbroschüre zur Datenschutzreform geht er explizit auf die Fitness-Tarife der Generali ein, die er als Gefahr, die mit dem Gesetz gebannt wird, einstuft. Ebenfalls kritisiert werden die geplanten Telematik-Tarife der Allianz.

Trotz aller Unsicherheiten: Die großen Versicherer haben begonnen, Big-Data-Technologien anzuwenden.

In erster Linie kommen aktuell Tools zum Einsatz, die ein Text-Mining anbieten. Sie ermöglichen, E-Mails und Gesprächsprotokolle automatisch zu interpretieren und zu verschlagworten. Damit werden sie einer automatisierten Auswertung zugänglich gemacht. Viele andere Big-Data-Projekte finden heute noch auf der internen Spielwiese statt – nicht zuletzt, weil zunächst technologische Fragestellungen zu klären sind. Hier sei die Legacy- und Heterogenitätsfalle genannt, in der zahlreiche Versicherer gefangen sind. Was nützen moderne Big-Data-Technologien, wenn heterogene Systemlandschaften Straight-Through-Prozesse ausbremsen? Auf der anderen Seite kommt ein Vorgehen in kleinen Schritten auch dem Bestreben entgegen, das Image des konstanten, verlässlichen Partners zu erhalten – und sich trotzdem nach und nach ein exakteres Bild des Kunden zu verschaffen.aj

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