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INNOVATIONS- & FÜHRUNGSSTRATEGIE8. Mai 2015

Digitalisierung: Leistungskultur und Fluide Organisation als Lösungs­ansatz der Zukunft

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Anno Lederer, Saaman AGAnno Lederer

Das In­ternet hat un­se­re Welt verändert. Un­ternehmen, die sich im Erfolg der Vergan­genheit sonnen und neue Ent­wicklun­gen ignorie­ren oder verschlafen, wer­den mit­tel­fristig scheitern. Wa­rum sollte ge­rade die Fi­nanzdienst­leis­tungs­bran­che – oft ja per se als kon­servativ und behäbig verschri­en – davon verschont blei­ben. Vor al­lem im Fi­nanzdienst­leis­tungs­be­reich – spezi­ell bei den Banken – sind vor diesem Hin­ter­grund neue Ge­schäftsmodel­le ge­fragt, die die­ser Ent­wicklung Rech­nung tra­gen. Das Plädoyer für ei­ne neue Innovati­ons­kultur bei Banken.

von Anno Lederer, Saaman AG

Das Internet: Niemand kommt an den Veränderungen vorbei, die durch Digitalisierung und innovative Technologien fast täglich immer wieder aufs Neue ausgelöst werden.  Die Art und Weise wie Menschen miteinander kommunizieren, wie Informationen verbreitet werden, wie Meinungen entstehen, wie Meinungen vervielfältigt werden, wie sich Anbieter und Nachfrager begegnen, wie Unternehmen intern und extern kommunizieren, wie sich unser Konsumverhalten, unsere Arbeitswelt, aber auch unsere Freizeit darstellen, all das unterliegt einem dramatischen Wandel, der mit stetig steigender Geschwindigkeit unser gesamtes Leben beeinflusst.

Wir werden damit leben müssen, dass schon morgen etwas Vertrautes durch etwas komplett Neues verdrängt oder zumindest massiv beeinflusst wird. Und so ist es nur eine zwangsläufige Folge, dass sich auch die Anforderungen an Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle, ihre Mitarbeiter, ihre Organisationsstrukturen, ihr internes und externes Kommunikationsverhalten und an ihre jeweiligen Kulturen verändern werden.

Unternehmen, die sich im Erfolg der Vergangenheit sonnen und neue Entwicklungen ignorieren oder verschlafen, werden mittelfristig scheitern. Ein auch von innen ausgehender Erosionsprozess beschleunigt diese Entwicklung, wenn schon bald die besten Mitarbeiter als Leistungsträger eines Unternehmens ihren Antrieb verlieren und externe Alternativen bevorzugen.

Ignoranz lässt große Unternehmen bedeutungslos werden

Beispiele gibt es dafür leider in fast allen Branchen schon zu viele. Im Verlagswesen, in der Musikindustrie, im Handel, in der Medienbranche oder im Dienstleistungsgewerbe sind auch große „Player“ zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft oder gar ganz verschwunden. Warum sollte gerade die Finanzdienstleistungsbranche – oft ja per se als konservativ und behäbig verschrien – davon verschont bleiben. Vor allem im Finanzdienstleistungsbereich – speziell bei den Banken – sind vor diesem Hintergrund neue Geschäftsmodelle gefragt, die dieser Entwicklung Rechnung tragen.

Non- oder Nearbanks sind schon unterwegs

Die sogenannten Non- oder Nearbanks – heute verklausuliert gern auch um die Sammelbezeichnung FinTechs ergänzt – stehen nicht nur in den Startlöchern, sie sind schon losgelaufen. Und sie schreiben in zum Teil beachtlichem Tempo auch bereits gewaltige (Teil-)Erfolge.

Und oft sind es auch im Finanzsektor keine kleinen Nischenanbieter mehr, die man mitunter nicht wahrnehmen oder ernst nehmen will. Immer häufiger stehen dahinter „Riesen“ wie Google, Amazon, Facebook, Apple, Samsung und viele andere mehr, die zwar ursprünglich nur in bestimmten Segmenten zuhause waren, ihre „Krakenarme“ aber zunehmend in andere Bereiche ausbreiten.

Verbraucher suchen neue Angebote

In der Einstellung des Verbrauchers zu Finanzdienstleistern und deren Geschäftsmodellen hat sich zudem ein dramatischer Wandel vollzogen. Online Banking, Smartphone Apps oder auch neue Wege der Kontoeröffnung und Kontoführung wie bei Number26 seien als Beispiele genannt. Zwar spielt die Beratung noch immer eine tragende Rolle, sich allein aber auf dieses Asset zu verlassen, reicht möglicherweise nicht aus.
Und wer kann heute absehen, welche Bedrohung am Ende von PayPal, Apple Pay und ähnlichen Lösungen für die traditionellen und von Banken etablierten Bezahlsysteme ausgehen.

Wie also bekommt man es hin, dass die Kraft und die Fähigkeit, den Wandel aktiv und erfolgreich mitzugestalten, auch in Unternehmen wie z. B. Banken verstärkt Einzug halten.
Was müssen diese also tun, wohin müssen sie sich orientieren, wenn sie auch im Zeitalter der Digitalisierung zu den Gewinnern gehören wollen.

Traditionelle Unternehmenskultur gegen moderne „Leistungskultur“

Sicher gibt es dafür mehrere Ansatz- oder Angriffspunkte wie z. B. eine Veränderung des Geschäftsmodells, die Erweiterung oder Modifikation der Produktpalette, die Verbesserung des Serviceverhaltens oder auch die Fokussierung der Marketingstrategie. Eine wichtige Stoßrichtung sollte sich vor allem aber auch dahin orientieren, wo die Identität eines Unternehmens begründet, wo gewissermaßen seine DNA beschrieben ist – in der Unternehmenskultur, im Organisationsmodell, in der Führungsphilosophie, der Personalpolitik und nicht zuletzt im vorhandenen Mitarbeiterpotenzial. Richten wir also den Blick auf das Innere eines Unternehmens – auf seine DNA, auf seine Unternehmenskultur.

Prof. Dr. Wolfgang Saaman hat die traditionelle Sicht auf das Thema Unternehmenskultur ergänzt bzw. erweitert um den Begriff der „Leistungskultur“.  Leistungskultur bezieht in die ganzheitliche Sicht auf ein Unternehmen vor allem auch den Faktor „Leistung“ mit ein.
Es reicht eben nicht aus, die Strategie oder das Geschäftsmodell eines Unternehmens ausschließlich an Kennzahlen und kurz- bzw. mittelfristigen Zielen auszurichten. Damit kann man,

ein Unternehmen zwar kontrollieren, aber eben nicht führen. Auch Zielvereinbarungen reichen in der heutigen, extrem schnelllebigen Zeit nicht mehr aus, um den Leistungswillen oder die Motivation der Menschen herauszufordern. Leistung und Kultur können nicht unabhängig voreinander betrachtet werden, sie müssen zunehmend als wechselseitig ineinander wirkende Aspekte verstanden werden.
Von einer Leistungskultur lässt sich dann sprechen, wenn die Menschen weniger durch äußeres Antreiben und Druck zu Leistung gebracht werden müssen, sondern ihr (subjektives) Bestes aus eigenem Antrieb bzw. innerer Überzeugung geben wollen. Wenn Menschen spüren, dass es sich lohnt, für diese Organisation zu arbeiten, die Firma nach vorne zu bringen, Teil des Erfolges zu sein, dann bringen sie Leistung von ganz alleine. Eine gesunde Leistungskultur ist die Basis, um das volle Leistungspotenzial alle Mitarbeiter und somit des Gesamtunternehmens auszuschöpfen.“

Wolfgang Saaman

Die Unternehmenskultur unter dem Aspekt der Leistungskultur zu betrachten, ist also ein erster sehr wichtiger Schritt, um den veränderten Anforderungen im Zeitalter der Digitalisierung zu begegnen.
Es braucht darüber hinaus aber auch neue Organisations- und Führungsmodelle sowie ein verändertes Instrumentarium rund um die Personalpolitik und Personalentwicklung. Das Management und die Mitarbeiter eines Unternehmens müssen in eine neue und veränderte Form des Dialoges und der Zusammenarbeit gebracht werden, um gemeinsam Antworten auf die neuen, aus der Digitalisierung entstehenden Fragen zu finden.

Was kann diesbezüglich aus den neuen Verhaltensmustern der Internet-Community gelernt werden, was macht diese neue Form des Umgangs miteinander so anders als die uns bisher bekannten und vertrauten Formen?

Vier Erfolgsfaktoren werden dafür bei Dr. Willms Buhse – Gründer von doubleYUU, einem Beratungsunternehmen spezialisiert auf die Einführung von Prinzipien des Web 2.0 in Unternehmen – als mitverantwortlich herangezogen: Es sind dies die Vernetzung, die Offenheit, die Agilität und die Partizipation.
1. Die Vernetzung adressiert alle Aktivitäten, die den Dialog auf unterschiedlichen Wegen und in verschiedenen (Kontakt-)Gruppen ermöglichen.
2. Mit Offenheit ist die aktive, transparente und hierarchieunabhängige Informationsbereitstellung gemeint.
3. Agilität bedeutet danach schnelles und zu weilen unkonventionelles Reagieren auf Neues und Unvorhergesehenes.
4. Schließlich meint Partizipation das eigeninitiative, freiwillige Teilnehmen bei überwiegend selbst organisierter Verantwortungsübernahme – „auch ohne einen direkten persönlichen Nutzen daraus zu ziehen“.

Die herkömmlichen Modelle wie die divisionale, die funktionale oder auch Matrix-Organisation mit ihrem meist zentral gelenktem und hierarchischen Charakter sind diesbezüglich längst an ihre Grenzen gestoßen.

Saaman sagt dazu: „Zukunftsfähige Organisationsformen müssen daher ein Höchstmaß an Eigenverantwortung, Selbstorganisation, Dynamik, Flexibilität und Umsetzungsgeschwindigkeit ermöglichen, ohne klassische Managementaufgaben wie die Entwicklung von Strategien, die Sicherstellung des Erfolgs, die Förderung und Umsetzung von Innovationen oder die Entwicklung und den Einsatz von Führungsinstrumenten zu vernachlässigen.“

Dafür hat Prof. Dr. Wolfgang Saaman aufbauend auf der Idee der Rollenorganisation die sogenannte „Fluide Organisation“ als neue Organisationsform entwickelt. Fluide steht für flexibel, anpassungsfähig, dynamisch und reaktionsschnell und beinhaltet dabei insbesondere verschiedene Aspekte der Personalentwicklung.

Wer Märkte erobern will, muss den Märkten vorausgehen. Die Linienorganisation ist hierfür zu träge, die Matrix zu konfliktträchtig.“

 

Um die Fluide Organisation einzuführen, müssen Ansätze der Organisations- und Kulturentwicklung mit neuartigen Ansätzen der Personalentwicklung kombiniert werden.
Die Fluide Organisation basiert auf dem Prinzip der Verantwortungsübernahme durch das Ausüben von Rollen. Eine Rolle entspricht dabei nicht unbedingt einer Person, verschiedene Personen können ein und dieselbe Rolle innehaben, genau so gut kann eine Person mehrere Rollen innehaben. Dies beinhaltet den Vorteil, sich schnell und flexibel auf neueste Entwicklungen anpassen zu können (Agilität).  Neue Rollen können dafür definiert, modifiziert, adaptiert oder auch wieder abgeschafft werden.

Das “Rollenprofil” ersetzt die “Stellenbeschreibung”

Das Management definiert auf der Basis des Geschäftsmodells, der Unternehmensstrategie und der Unternehmensvision, welche Rollen und welche Verantwortungsbereiche benötigt werden. Nach dem Prinzip der Partizipation werden dann für jeden Mitarbeiter in einem moderierten Rollendialog mit dem Vorgesetzten die Rollen und Verantwortungsbereiche ausgestaltet. Das daraus entstehende Rollenprofil tritt an die Stelle herkömmlicher Stellenbeschreibungen. Die Rollenprofile werden für jeden Mitarbeiter einsehbar und transparent gemacht (Offenheit).

Doppelverantwortungen oder Verantwortungslücken werden so z. B. sichtbar und können in einem erneuten Rollendialog modifiziert oder auch korrigiert werden. Der Verantwortungsrahmen – wo also beginnt die Verantwortung, wo endet sie – wird ebenfalls mit definiert.

Das Verantwortungsbewusstsein sowie die Motivation der Mitarbeiter werden durch die Möglichkeit der Mitgestaltung und der Berücksichtigung individueller Potenziale extrem gefördert, klassische Stellenbeschreibungen werden oft überflüssig.
Die Kommunikation in der Fluiden Organisation erfolgt in systemischen Netzwerken, die genau auf die jeweilige Situation und Marktbedingung abgestimmt sind. Traditionelle Berichtswege lassen sich größtenteils ersetzen. Eine höhere Agilität – wie aus den sozialen Netzwerken bekannt – geht damit einher, ohne aber auf die erforderliche Verbindlichkeit verzichten zu müssen. Aufwendige Projektorganisationen besonders bei kurzfristig anstehenden Herausforderungen können in der Regel entfallen.

Moderne Führung braucht Feedback-Kompetenz

Die Führungskräfte sollten ein hohes Maß an Feedback-Kompetenz entwickeln und müssen lernen, das Gesprächsformat des Rollendialogs anzuwenden, um gemeinsam mit den Mitarbeitern das Rollen- und Verantwortungsprofil zu erarbeiten und verbindlich festzulegen.
Zusätzliche Voraussetzungen für den Erfolg sind ein nicht zu unterschätzender Kultur- und Bewusstseinswandel, eine hohe Disziplin und Kreativität, aber auch Nachhaltigkeit und Kontrolle. Zusätzlich sollten bestimmte Aspekte einer hierarchischen Führung als Korrektiv erhalten bleiben.

Beispiele zeigen, dass eine bereits vorhandene Vertrauenskultur sowie eine kreative und innovative Grundeinstellung zu notwendigen Veränderungen den Prozess der Einführung einer Fluiden Organisation begünstigen. Im Fazit heißt das aber auch, dass die Personal- und Organisationsentwicklung von der Kulturentwicklung nicht zu trennen sind.

Digitalisierung erzwingt den passenden „Change“-Prozess

Kommen wir zurück auf das Thema „Digitalisierung“ und die damit verbundenen konkreten Anforderungen an einen in dieser Hinsicht oft überfälligen, in jedem Fall notwendigen und adäquaten „Change“-Prozess. Ein solcher Prozess hat vor allem in Unternehmen, in denen überwiegend top ausgebildete, hochqualifizierte, engagierte und für Führungspositionen geeignete Mitarbeiter beschäftigt sind, eine herausragende Bedeutung.

Diese Mitarbeiter haben in der Regel den Anspruch, den Erfolg ihres Unternehmens mir ihrem eigenen Fortkommen und ihren Perspektiven in Einklang zu bringen. Eine Motivation über finanzielle Anreize oder über stetige Beförderungen in der Führungs- oder Fachlaufbahn stößt hier sehr schnell an wirtschaftliche oder auch organisatorische Grenzen.

Eine Fluide Organisation auf der Basis der oben definierten und beschriebenen Leistungskultur kann hier zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden. Die Potenziale der Mitarbeiter können besser genutzt werden, die Motivation der Mitarbeiter wächst, die Flexibilität und Leistungskraft des Unternehmens nehmen stetig zu.

Vor dem oben beschriebenen Hintergrund der zukünftigen stärker zunehmenden Herausforderungen der Digitalisierung sollten alle Unternehmen, auch und vielleicht gerade die aus der Finanzdienstleistungsbranche ernsthaft in Erwägung ziehen, wie man sich mit der Hinwendung zur Leistungskultur und Fluiden Organisation anders und besser positionieren kann.

So könnte z. B. damit begonnen werden, Rollen rund um den Aufgabenkomplex „Innovation“ zu definieren und diese Rollen dann ausgewählten Mitarbeitern auf Basis ihrer Potenziale zuzuordnen. Diese Mitarbeiter können sich dann in unterschiedlichster Form, auf unterschiedlichsten Wegen und in unterschiedlichsten Aufgabenstellungen dieses Themas annehmen und dafür verantwortlich zeichnen.

Stattdessen nur eine einzelne Stelle oder auch nur eine einzelne Organisationseinheit für diese eminent wichtige Aufgabe vorzuhalten oder einzurichten – zusätzlich eingebettet oder eingeengt in hierarchischen Strukturen – wird den gewaltigen Herausforderungen der Zukunft niemals gerecht werden und kann sehr schnell zur existenziellen Bedrohung führen.

Die Zeit zum Handeln ist also mehr als reif für all die, die Zukunft noch mit erleben oder sogar mit gestalten wollen.aj

Literatur:
– Buhse/Dr. W. (2014): Management by Internet, Kulmbach, Börsenmedien AG
– Saaman/Prof. Dr. W. (2012): Leistung aus Kultur – Wie aus Arbeitnehmern Bestleister werden, Wiesbaden, Springer Gabler

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