Anzeige
STRATEGIE1. Dezember 2016

Mainframe & Legacy-Systeme in der IT: Verursachen sie die nächste Bankenkrise?

Thilo Rockmann, Aufsichtsratsvorsitzender LzLabsLzLabs
Thilo Rockmann, Aufsichtsratsvorsitzender LzLabsLzLabs

Fast ein ganzes Jahrzehnt wurde der Finanzmarkt von wirtschaftlicher Unsicherheit und Irritationen der Märkte bestimmt. Die globale Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass es hinter den Kulissen verborgene, dunkle Welten gibt. In Konsequenz wurden die großen Finanzinstitute weltweit umfangreichen Prüfungen durch die Aufsichtsbehörden unterzogen – und sie stellten sich auch eigenen, internen Untersuchungen. Doch es gibt noch eine weitere, derzeit noch im Dornröschenschlaf befindliche Herausforderung, welche die Finanzinstitute beschäftigen wird: Ihre Abhängigkeit von Bestandsapplikationen auf sogenannten Großrechnern.  Eine Bestandsaufnahme.

von Thilo Rockmann, Aufsichtsratsvorsitzender LzLabs

Bestandsapplikationen bilden noch heute das Rückgrat der Finanzsysteme weltweit – diese Abhängigkeit wird sich zu einer Bedrohung entwickeln.”

Um das Problem zu verstehen, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen: Eine erste Digitalisierung der Finanzwelt fand bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts statt. Sogenannte „Early Adopter“ begannen mit dem Aufbau von IT-Infrastrukturen und investierten in Mainframes, die eben zu der Zeit nutzbare Technologie, um die Datenverarbeitung zu unterstützen. Bei den ersten Anwendungen handelte es sich um Transaktionssysteme wie Kontoführung, Kreditabrechnungen, Immobilienfinanzierung oder Überweisungen. Und noch heute laufen diese Systeme nahezu wie vor 40 oder 50 Jahren.

Im Laufe der Zeit und basierend auf den Erfahrungen wurden sehr restriktive Vorgaben zur Systementwicklung und -betreuung (Administration, Update, Support etc.) gemacht. Diese strikten Vorgaben sind auf Grund der Komplexität der Systeme auch durchaus sinnvoll. Nicht zuletzt wegen dieser restriktiven Prozesse genießen Mainframes heute den Ruf, eine stabile und zuverlässige Basis für die Datenverarbeitung zu sein.

Mainframes wickeln 70 Prozent alle Transaktionen ab

Entsprechend wenig überrascht es daher, dass über Mainframes heutzutage immer noch mehr als 70 Prozent der weltweit getätigten Finanztransaktionen abgewickelt werden. Insbesondere Banken sowie Vermögensverwalter und Versicherungen setzen auf Großrechner, da diese viele Transaktionen gleichzeitig abarbeiten können. Das Wichtigste dabei ist die Zuverlässigkeit, dass jederzeit alle Datensätze verfügbar sind und so alle Aufträge verarbeitet werden können.

Mittlerweile stellen die ehemaligen Early Adopter aber fest, dass die aktuelle Digitalisierungswelle große Herausforderungen für sie birgt.”

Big Iron für großes Geld

Die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit sind nicht kostenlos. Die Abhängigkeit der Finanzinstitute von jeweils einem einzigen Hersteller hat zur Bildung eines Oligopols von Hard- und Software-Anbietern in diesem Marktsegment geführt. Die extrem hohen Kosten, welche die Banken bezahlen müssen, um Online zu bleiben, überraschen vor diesem Hintergrund kaum.

Allerdings gab es auch in der Vergangenheit kaum Alternativen, denn bis vor wenigen Jahren haben alternative moderne IT-Systeme, so etwa x86-basierte Server, die Leistungsfähigkeit der Mainframes einfach nicht erreicht.”

In den letzten zehn Jahren hat sich das Blatt jedoch gewendet. Die Performance der x86-Server hat die der Mainframes nicht nur eingeholt, sondern überholt und der Abstand wächst weiter. Damit werden diese Standard-Server auch aus Sicht der Performance für bisherige Mainframe-Aufgaben immer interessanter.

Doch damit nicht genug. Schätzungen zufolge kostet der Betrieb von x86-Systemen weniger als 10 Prozent dessen, was ein Mainframe verschlingt. Jede Organisation, die entweder nicht willens oder aber nicht in der Lage ist, sich von ihrem Mainframe zu trennen, verliert immer weiter an Boden im Vergleich zu all jenen, die ihre Anwendungen auf modernen Infrastrukturen aufbauen können.

In Ketten gelegt

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Modernisierung. Denn nahezu alle Unternehmen setzen in Bezug auf ihre IT-Infrastruktur die gleichen Prioritäten: Die Kosten müssen sinken und die Interoperabilität soll sich verbessern. Letzteres soll selbstverständlich zu deutlich geringeren Kosten geschehen. Und: moderne Applikationen müssen auch Trends der IT-Nutzung wiederspiegeln, darunter Mobilität, Cloud, Automation, Blockchain und Big Data.

Mainframe-Anwendungen waren für ein derartiges Spektrum an Anwendungen nie vorgesehen, entsprechend aufwändig und teuer ist es, sie mit all solchen zusätzlichen Funktionalitäten auszustatten.”

Für die Finanzwirtschaft wird dies ein Riesenproblem werden, denn die Anforderungen an die Technologie steigen weiter. Im Rahmen von MiFID II, den Richtlinien der EU über Märkte für Finanzinstrumente, die ab 2018 in Kraft treten, werden neue, innovative Modelle unter anderem für die Abwicklung des Handels, zur Erfassung der Kontakte zum Kunden sowie für  das Reporting erforderlich.

Ebenfalls zu beachten sind die neuen Bestimmungen der Competition and Markets Authority (CMA) im Bereich “Mobile”. Diese verpflichtet die Banken im Privatkundengeschäft, alle Dienste für den privaten Endkunden auf unterschiedlichen mobilen Geräten anzubieten. Entsprechend müssen die Banken ihre IT-Infrastruktur ändern. Soll dies via Mainframe erfolgen, wird die Umsetzung erstens sehr lange dauern. Und zweitens wird dies für die Banken extrem teuer.

Zwar nutzen viele Finanzinstitute den Mainframe als Backend für ihre moderneren Nutzeroberflächen und für die Cloud, doch wenn diese Anwendungen auf dem Mainframe laufen, dauert es jeweils Wochen und Monate, die Systeme mit notwendigen Erneuerungen und Aktualisierungen zu versehen. Selbst große Unternehmen müssen dann einen spürbaren Teil des IT-Budgets nur dafür ver(sch)wenden.

Chancen für neue Unternehmen: FinTechs haben es leichter!

Die neuen FinTechs hingegen haben keinerlei Probleme, den Regularien nachzukommen. Diese jungen Unternehmen sind sozusagen im Web geboren und müssen sich nicht mit überkommenden IT-Systemen herumschlagen. Sie können Änderungen und Trends sehr schnell und effizient in ihrer IT reflektieren, wann und wo immer sie dies für sinnvoll und notwendig erachten. Daher bilden diese Firmen eine ernsthafte Bedrohung für die traditionellen Geldhäuser.

Ein Beispiel dafür ist die Fidor Bank, ein deutsches Start-up im privaten Endkundengeschäft. Das Unternehmen bietet anderen jungen, aufstrebenden Unternehmen im digitalen Bankgeschäft seine APIs an, so dass diese jungen Firmen ihre Services auf der Infrastruktur von Fidor laufen lassen können.

Ein weiterer Trend ist die wachsende Akzeptanz von neuen, schnelleren Methoden in der Transaktionsverarbeitung, beispielsweise Blockchain. Solche Methoden haben das Potenzial, die Services deutlich effizienter zu gestalten und abzuwickeln.

Darüber hinaus eröffnen derartige Technologien insbesondere den jungen FinTechs die Möglichkeit, neue Services und Produkte zu entwickeln und potenziellen Kunden bereitzustellen. Damit hängen sie die etablierten Banken ab, die sich über den langen, fehlerträchtigen Update-Pfad ihrer Legacy-Systeme nur behäbig bewegen können.

Das notwendige Wissen schrumpft

Und noch ein – und das ist keineswegs das kleinste – Problem wird die Banken in Bezug auf ihre Nutzung von Mainframes langfristig belasten: Es gilt, die passenden Mitarbeiter zu finden, die die Systeme am Laufen halten, ganz besonders im Hinblick auf Bestandssysteme auf Großrechnern eine wahre Herkulesaufgabe. Denn dazu braucht es ein fundiertes Wissen und insbesondere Erfahrung, um wirklich effizient zu sein.

Interessanterweise sehen viele Beobachter die Finanzbranche als Vorreiter in der Umsetzung des technologischen Fortschritts. Doch das stimmt so einfach nicht. Zwar haben die IT-Teams in den Banken viel geleistet, als es darum ging, den Endkunden mit den Services der Bank optimal zu verknüpfen. Das Backend, das solche Dienstleistungen erst möglich macht, bleibt bislang jedoch weitgehend unangetastet – zumindest von den immer kleiner werdenden internen Teams.

Stattdessen erfolgt die Betreuung der Mainframes von dritter Seite, häufig durch die Anbieter des jeweiligen Mainframes. Deren Mitarbeiter wiederum nutzen das Wissen, das sie auf der Universität gelernt haben – in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und es werden immer weniger, denn sie sind in Rente oder gehen bald in selbige. Auch wenn man sich ab und zu für gutes Geld immer noch mal engagieren lässt, so wird auch diese Option zusehends schwieriger.

Hinzukommt, dass die jungen IT-Experten in der Finanzindustrie ein ganz anderes Selbstverständnis mitbringen. Sie wollen innovativ sein, neue Anwendungen entwickeln und ihren Unternehmen damit Wettbewerbsvorteile verschaffen. Sie verstehen, welchen Nutzen die Cloud und offene Plattformen den Banken bringen kann. Zwar haben Programmiersprachen wie COBOL und PL/1 in Bezug auf präzise Berechnungen und das Handling großer Datenvolumina wertvolle Dienste geleistet. Die neue Generation hat jedoch kein Interesse mehr daran, veraltete Programmiersprachen zu lernen, die noch dazu auf alte, wenig attraktive IT-Systeme beschränkt sind und sich nicht auch anderweitig produktiv nutzen lassen. Mit dem Ausscheiden der alten Garde aus dem Berufsleben geht folglich auch das Wissen verloren, die Bestandsapplikationen auf Großrechnern effizient zu warten. Vor dem Hintergrund dürfte die Wartung absehbar schwierig werden. Dass diese dann auch noch gerüstet sein sollen für kommende neue Geschäftsideen, ist kaum vorstellbar.

Die absehbare Krise

Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass einige der größten Finanzinstitute weltweit durch die Abhängigkeit vom Mainframe an Tempo verloren haben und weiter verlieren – ein Prozess, der sie letztlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Fehlendes Know-how, steigende Preise und zunehmend flexible und innovative Wettbewerber: Es ist unübersehbar, dass sich über den Finanzinstituten ein Sturm zusammenbraut. Reagieren und modernisieren die etablierten Banken nicht schnell, wird dieser Sturm sie hinwegfegen.

In den vergangenen fünf Jahren traten weltweit in vielen der großen Banken eine ganze Reihe von Fehlern in der IT auf. Diese Fehler hatten Auswirkungen auf Millionen von Sparern. Auch die oben beschriebenen Entwicklungen setzen die Finanzinstitute wieder großen Risiken aus. Findet die Branche keinen Ausweg aus dem geschilderten IT-Dilemma, werden wir alle dies teuer bezahlen müssen.aj

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert