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ZAHLUNGSVERKEHR11. April 2022

Blockchain in der Krise: Taugen Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum als Krisenwährung?

Bigstock

Gerade angesichts des Ukrainekriegs kommt die Diskussion um die Rolle von Bitcoin, Ethereum und Co. als Krisenwährung erneut auf. Können Kryptowährungen zum Safe Harbor bei internationalen Krisen werden? Und wie krisenresilient ist die Blockchain wirklich? Die auf Kryptothemen spezialisierten Experten der Sutor-Bank haben hier eine klare Haltung – und sagen zugleich, wozu Kryptowährungen nicht geeignet sind?

Schon 2009 im Iran und 2011 während des arabischen Frühlings wurde mit Twitter erstmals die Macht der sozialen Netzwerke deutlich. Mit ihnen ließen sich Massen mobilisieren und koordinieren. „Zurzeit lässt sich im Ukraine-Krieg dieser Twitter-Moment für Kryptowährungen beobachten“, erklärt Hartmut Giesen, Krypto-Experte bei der Hamburger Sutor Bank. Wie unter einem Brennglas würden die Möglichkeiten und Grenzen und damit die janusköpfigen Chancen und Risiken von Kryptowährungen klar.

Die Blockchain als krisenresiliente Zahlungsinfrastruktur

Dabei geht es um zwei Sachverhalte, die einerseits miteinander zusammenhängen, andererseits aber doch einen klaren Unterschied machen: zum einen dezentrale und deshalb krisenfeste Hochgeschwindigkeits-Infrastruktur für Geld- und Werttransfers, zum anderen die Funktion von Kryptowährungen als alternativer und bankensystemunabhängiger Wertspeicher zu Landeswährungen.

Die dezentrale Blockchaininfrastruktur hat es der ukrainischen Regierung ermöglicht, den Krieg zum Teil mit einer Crowdfunding-Aktion durch Kryptowährungen zu finanzieren. Knapp 100 Millionen Euro in Kryptowährungen konnte die Ukraine durch einen Spendenaufruf inklusive Wallet-Adressen für verschiedene Coins und Token von Bitcoin bis Dogecoin einsammeln. „Hier zeigt sich die Schnelligkeit von Kryptowährungen, die ohne Umwege über Banken jederzeit direkt zwischen den Beteiligten hin- und hergesendet werden können“, sagt Giesen. Und dies über wegen ihrer Dezentralität quasi unzerstörbare Wege – nur Strom und Internetverbindung sind notwendig. Hätte diese Aktion über traditionelle Bankennetze abgewickelt werden müssen, würde die Ukraine wahrscheinlich heute noch nicht über signifikante Spendengelder verfügen, glaubt Giesen.

Kryptowährungen als Safe Harbour bei Großkrisen?

Über die Blockchain-Infrastruktur lassen sich auch dann noch Kryptowerte transferieren, wenn es schon keine funktionierende Bankeninfrastruktur mehr gibt – sofern man dieses Szenario an die Wand malen will.

Hartmut Giesen, Fintech Business Development Sutor BankSutor Bnak

Wer rechtzeitig Geld in Kryptowerten geparkt hat – leider sind dies wahrscheinlich eher wenige ukrainische Bürgerinnen und Bürger –, kann dann zum Beispiel auf der Flucht darauf zurückgreifen. Einlagen, die bei einer ukrainischen Regionalbank liegen, sind im Zweifelsfalle schwieriger zu nutzen.“

Hartmut Giesen, Kryptoexperte bei der Sutor Bank

Für andere Krisenkontexte steht eher die Wertaufbewahrungs- als die Werttransferfunktion im Mittelpunkt: „Russische Bürger haben auf Binance, der weltweit größten Kryptobörse, in den ersten Krisentagen zehnmal mehr Kryptowährungen pro Tag gekauft als zuvor. Nicht um Sanktionen zu umgehen, sondern um ihre Ersparnisse vor der Inflation zu schützen oder auch um zum Beispiel eine eigene Emigration vorzubereiten“, so Giesen.

Wie schon in anderen Fällen weltweit zeige sich hier, dass Kryptowährungen durchaus als Alternative zu Währungen taugen, wenn es zu fundamentalen Verwerfungen in der (geld-) politischen Entwicklung kommt. „Dezentrale Blockchains schaffen über Stablecoins den Zugang zu stabileren Währungen oder direkt zu Kryptowährungen, deren Volatilität im Kontext von Geldkrisen weniger ins Gewicht fällt“, so Giesen. Als sicherer Hafen bei weniger disruptiven Krisenverläufen, wie normalen Kapitalmarkteinbrüchen, haben sich Kryptowährungen dagegen eher nicht bewährt.

Zur Umgehung von Sanktionen sind Kryptowährungen weniger geeignet

Zur Umgehung von Sanktionen sind Kryptos dagegen weniger geeignet, auch wenn sie dazu in einigen Fällen genutzt werden sollten. So können Oligarchen mit Bitcoin in der Regel keine Jachten oder Fußballklubs kaufen, glaubt Giesen. Um ihren Reichtum nutzen zu können, benötigen sie Fiat-Geld, keine Kryptowährungen. „Die Fiat-Krypto-Übergänge, also Börsen oder Händler, sind inzwischen aber so gut überwacht und reguliert, dass der Umtausch von großen Kryptowährungssummen kaum mehr möglich ist, ohne die Herkunft der Kryptovermögen zu erklären.“ Und alle westlichen Regierungen haben erklärt, dass die Regulierung hier noch enger wird. „Das macht nicht nur den Umtausch in Fiat-Währung schwierig, es verhindert generell, dass größere Zahlungen in Kryptowerten angenommen werden, weil die zahlungsakzeptierende Partei die Summe kaum in Fiat-Währung gewechselt bekommt, wenn die Herkunft dubios ist”, erläutert Krypto-Experte Giesen weiter.

Darüber hinaus sind Transaktionen auf Blockchains maximal transparent, hinterlassen zumindest reichlich Spuren, selbst wenn diese nicht immer zuzuordnen sind. „Man kennt zwar nicht unbedingt die Teilnehmer einer Blockchain, weil die Adressen der Wallets, in denen Kryptowährungen gehalten werden, pseudonym sind“, sagt Giesen. Aber die Bewegungen von Kryptocoins oder -token sind von ihrer Erzeugung bis zu ihrer aktuellen Wallet-Position lückenlos zu verfolgen. Intelligente Software ist inzwischen in der Lage, dubiose Transaktionen nicht nur zu identifizieren, sondern die Transaktionsmuster so auszuwerten, dass sie einzelnen Akteuren zugeordnet werden können. „Und diese können dann durch Off-Chain-Ermittlungsarbeit identifiziert werden“, so Giesen.

Um Summen in sanktionsrelevanter Höhe zu bewegen, ob durch Staaten oder Privatpersonen, ist nach Ansicht von Hartmut Giesen zum Teil auch der Kryptowährungsmarkt gar nicht groß genug für derartige Dimensionen in den Transaktionen. Um die Größenordnungen zu verdeutlichen: Die täglichen Einnahmen Russlands aus Gas- und Öllieferungen betragen etwa 700 Millionen Euro. Das 24-Stunden-Handelsvolumen von Bitcoin und Ether kombiniert beträgt gerade einmal 26 Milliarden Euro. „Wollte Russland also seine Einnahmen über irgendeinen nicht überwachten Weg in eine der beiden stärksten Kryptowährungen umtauschen, wären das gerundete drei Prozent des täglichen Handelsvolumens“, sagt Giesen. Und selbst wenn die entsprechenden Volumina ausreichen, wird all das nicht ohne Spuren vonstatten gehen können.

Der ‚Economist‘ hat treffend in einer Analyse zur Krisennutzung von Kryptowerten geschrieben: Es könnte sein, dass Kryptos weit nützlicher sind für diejenigen, die offen agieren, als für die, die sich im Schatten bewegen. Vielleicht entwickelt sich das Anlegen einer Notfallreserve in Kryptos zu einem Gebot der privaten Krisenvorsorge.“

Hartmut Giesen, Kryptoexperte bei der Sutor Banktw 

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