Anzeige
STRATEGIE24. August 2015

Klartext: Warum Banken das Potenzial der Videoberatung überschätzen

Juliana Hartwig, Leiterin Strategie & Redaktion bei FaktenkontorFaktenkontor
Juliana Hartwig, Leiterin Strategie & Redaktion bei FaktenkontorFaktenkontor

Der Hype um die Videobe­ra­tung ist in der Bankenbran­che neu ent­flammt. Das Marktfor­schungs­in­sti­tut IDG pro­gnostiziert, dass bis 2017 jede fünfte Bank welt­weit Videobe­ra­tung anbie­ten wird. In Deutsch­land folgt derzeit An­kündigung auf An­kündigung der In­sti­tu­te zu neuen Videoch­at-Angebo­ten. Auch die Sparkas­sen, von denen derzeit erst 0,5 Pro­zent so ei­nen Service anbie­ten, wol­len verstärkt auf Videobe­ra­tung set­zen. Doch die deut­sche Bankenwelt sollte lan­des- und ziel­gruppen­spezifi­sche Besonderhei­ten beach­ten, bevor sie im großen Stil auf Videobe­ra­tung um­stellt – und damit sind aus­nahmsweise nicht Daten­schutzbedenken gemeint.

von Juliana Hartwig, Leiterin Strategie & Redaktion bei Faktenkontor

Juliana Hartwig
Juliana Hartwig ist Leiterin Strategie & Redaktion bei Faktenkontor, einer Kommunikationsberatung für die Finanzdienstleistungsbranche mit Standorten in Hamburg und Frankfurt. Sie berät namhafte Institute und Unternehmensberatungen zu Fragestellungen im Bereich Positionierung, Kampagnen und Reputation. Die Digitalisierung im Finanzsektor ist eines ihrer Schwerpunktthemen. Außerdem ist sie Bloggerin für das hauseigene Blog Faktzweinull tätig.
Seit 2003 gibt es das Videochat-Programm Skype. Bis mit der Hypovereinsbank (HVB) die erste überregionale Bank ihren Privatkunden Online-Videoberatung anbot, dauerte es zehn Jahre. Regional zeigte sich die Sparkasse am Niederrhein am experimentierfreudigsten, die schon 2011 Experten per Videoschalte in Beratungsgespräche in ihren Filialen zuschaltete. Seit 2013 gibt es auch dort reine Online-Videoberatung via Skype. Heute chatten 19 Prozent der Internetnutzer weltweit über Skype, in Deutschland sind es jedoch nur neun Prozent. Dieser Unterschied zeigt sich auch beim Thema Bankberatung über Videochat.

Onlinekommunikation ja, Videoberatung nein

Laut einer Studie von Ernst & Young interessieren sich nur acht Prozent der deutschen Bankkunden für Videoberatung, weltweit dagegen 31 Prozent. Nun sollte man nicht den Fehler machen und sagen: „Ja, aber das kommt noch – Deutschland hängt bei Onlinethemen immer hinterher“. Denn die gleiche Studie kommt zum Ergebnis, dass die generelle Onlinekommunikation der Deutschen mit ihrer Bank über dem weltweiten Durchschnitt liegt. 64 Prozent der deutschen Bankkunden treten hierzulande mindestens einmal pro Woche über Onlinekanäle mit ihrer Bank in Kontakt – das sind acht Prozentpunkte mehr als der weltweite Durchschnitt. Es liegt also nicht an der mangelnden Offenheit der Deutschen für digitale Bankangebote – und somit auch nicht an Datenschutzbedenken. Online ja, Video eher nicht, so lässt es sich zusammenfassen.

Lieber Filiale oder Chat – vor allem bei jungen Zielgruppen

Videoberatung wird sich nicht durchsetzen, solange es Filialen und andere Kommunikationswege gibt. Wie die Studie „Mediennutzungsverhalten im Kundenservice 2015″ von NICE Systems offenbart, sind es länderübergreifend gerade junge Kunden im Alter von 18 bis 30 Jahren, die bei einem Beratungsanliegen eine Filiale aufsuchen. Während sich über alle Altersgruppen nur 65 Prozent regelmäßig in Filialen beraten lassen, sind es bei den Digital Natives 73 Prozent. Damit werden Filialen in dieser Zielgruppe nicht viel weniger genutzt als die Anbieterwebsite (87 Prozent) und Beratungshotlines (83 Prozent). Auch die Bankkundenstudie 2015 von Kampmann, Berg und Partner zeigt, dass Filialen überdurchschnittlich häufig von jungen Bankkunden aufgesucht werden. Die Studie zeigt auch, dass für 86 Prozent der Deutschen nur eine Hausbank mit Filialnetz infrage kommt. Diese kann Videoberatung ergänzend anbieten – sollte aber nicht damit rechnen, dass dies der Beratungskanal der Zukunft wird und die Filiale ersetzt.

Videoberatung zielt nicht auf die Kunden von morgen ab, die Digital Natives. Für sie ist Videotelefonie wie Skype veraltet, soziale Medien und Messenger dagegen in – und der persönliche Kontakt in der Filiale. Chatlösungen sind deutlich akzeptierter als Videoberatung. Laut einer aktuellen Studie der Targobank würden sich 65 Prozent der Deutschen per Livechat mit einem Bankberater austauschen. Auch soziale Medien bieten wie Chats die Möglichkeit für Live-Service, auch wenn hier darauf geachtet werden muss, dass keine personenbezogenen Daten publik gemacht werden, insbesondere durch die Kunden selbst.

Andere Videolösungen mit Mehrwert haben gute Chancen

Gerade für reine Direktbanken bieten Videoservices dennoch die einmalige Chance, ihre Kunden auf einem Weg zu erreichen, der ihnen sonst verschlossen bleibt: von Angesicht zu Angesicht. Nicht im Bereich der Geldanlage, denn dazu sind sie nicht befugt. Dafür können diese Banken mit Videoservices punkten, die das Alltagsgeschäft erleichtern – etwa Identifikationslösungen für Kontoeröffnungen, Kreditabschlüsse oder Kontoentsperrung. Solche Videolösungen, häufig in Kooperation mit FinTechs entwickelt, sind auch für Kunden von Filialbanken ein Mehrwert und werden von einigen auch schon eingesetzt. In diese Richtung sollten Banken weitere Services entwickeln, hier ist das Potenzial sicher noch nicht ausgeschöpft. Von der Beratung ausschließlich per Video scheint auch HVB-Chef Theodor Weimar wieder etwas abzurücken. Zum Erfolg des Angebots sagt Weimer gegenüber dem Bayerischen Rundfunk: „Viele Kunden nehmen unser neues Angebot der Videoberatung durch unsere Spezialisten an. Wer das nicht möchte, wird weiterhin von einem Mitarbeiter in der Filiale beraten.”aj

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert