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STRATEGIE12. Dezember 2022

Neobroker: Junge Branchenrebellen – mit Vorbildcharakter für Banken

Expertin für Neobroker: Sarah Menz, Cofinpro
Sarah Menz, CofinproCofinpro

Neobroker führten in den vergangenen Jahren viele Investment-Newcomer aus der Generation Y und Z an den Kapitalmarkt heran. Ihr Erfolgsrezept: attraktive Gebühren und eine minimalistische Benutzeroberfläche. Aber der Höhenflug scheint vorerst gestoppt. Rezessionsängste und ein steigendes Preisniveau bremsen die Anlagelust vieler Neobroker-Kunden. Doch wie steht es um die Wertpapiersparten der Banken und etablierten Trading-Häuser? Sie stehen jetzt von zwei Seiten unter Druck und müssen die Vorteile der alten und neuen Brokerwelten kombinieren, um sich künftig am Markt zu behaupten.

von Sarah Menz und Yves Wüppenhorst, Cofinpro

Das Interesse am Kapitalmarkt ist in Pandemie-Zeiten beständig gestiegen. Nachdem im Zuge der Finanzmarktkrise 2008 viele Anleger der Börse enttäuscht den Rücken gekehrt hatten und der Markt danach lange stagnierte, verzeichneten die Depotbanken vor allem 2020 und 2021 ein deutliches Wachstum. Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) hielten 2021 rund 12,1 Millionen Menschen in Deutschland Wertpapiere, Aktienfonds oder aktienbasierte ETFs im Depot – der dritthöchste Stand seit Datenaufzeichnung des DAI.

Experte für Neobroker: Yves Wüppenhorst, Cofinpro
Yves Wüppenhorst, CofinproCofinpro

Vor allem die Neobroker profitieren von dem gestiegenen Interesse. So bauten die digitalen Brokerhäuser ihre Nutzerzahl in Deutschland laut Statista in nur fünf Jahren von 0,67 Millionen auf 2,41 Millionen im Jahr 2021 aus. Jedoch war der Börsen-Hype nur von kurzer Dauer. Die optimistischen Prognosen für das Jahr 2022 wurden schon zum Halbjahr größtenteils zurückgezogen. Wie stark die Branche unter Druck geraten ist, zeigen die Geschäftszahlen der Wertpapierhandelsbank Tradegate. Während 2021 noch Rekordumsätze verbucht wurden, ist das Handelsvolumen im ersten Halbjahr 2022 um mehr als 13 Prozent auf 173,5 Milliarden Euro gesunken.

Angesichts des schwächelnden Gesamtmarktes und der starken Konkurrenz durch Neobroker wird die Luft für die alteingesessenen Institute immer dünner. Der Erfolg der digitalen Herausforderer wird vor allem bei einer Gegenüberstellung der neu eröffneten Depots sichtbar. Zahlen der Deutschen Bundesbank zufolge werden 77 Prozent der neuen Depots bei digitalen Anbietern wie Neobanken und Robo Advisors eröffnet. Zwar halten die traditionellen Anbieter immer noch einen Marktanteil von knapp 65 Prozent, allerdings schrumpft der Vorsprung rapide. Diese Marktentwicklung ist sicherlich kein kurzfristiger Trend, sondern steht für eine Zäsur am Markt für Wertpapierdepots.

Für etablierte Banken und Broker bedeutet das: Sie müssen mit ihrem Angebot zumindest in Teilen die Neobroker kopieren und die Stärken beider Modelle kombinieren.”

Nutzerzentriert und preisgünstig

Autorin Sarah Menz, Cofinpro
Sarah Menz, Expert Consultant, ist seit 2019 für Cofinpro (Webseite) tätig. Sie berät Banken und Kapitalverwaltungsgesellschaften mit Fokus auf den Bereich Wertpapier. Dabei begleitet sie insbesondere Projekte zur Entwicklung von Plattformlösungen und Digitalisierungsvorhaben. Vor Cofinpro war Menz u.a. als freiberufliche Beraterin im Bereich Wirtschaftsförderung tätig. Ihren Masterabschluss absolvierte sie in International Management an der Hochschule Fulda.

Wie das gelingen kann, zeigen die Neobroker mit ihrem Angang, den Wertpapierhandel drastisch zu vereinfachen. Produkt und Prozesse sind optimiert und übersichtlich, um dem Nutzer schnell und ohne Hürden den Einstieg in den Kapitalmarkt zu ermöglichen. Charakteristische Merkmale sind:

  • Standardisierte Angebotspaletten
  • Modernes Design und einfache Bedienbarkeit
  • Nutzerzentrierte, einfache Prozesse
  • Günstige Preismodelle
  • Geringe Einstiegshürden
  • Mobile-First-Ansatz
  • Hoher Community- und Fun-Factor

Dieser Ansatz unterscheidet sich deutlich vom zum Teil überladenen Angebot der traditionellen Broker, die Börsenneulinge mit unterschiedlichsten Produktkategorien, Handelsplätzen und Research-Diensten überfordern. Zudem schreckt eine häufig unübersichtliche Preisgestaltung diejenigen ab, die erst einmal Erfahrungen sammeln wollen. Gelegenheitsinvestoren und Einsteiger finden deshalb in den günstigen Online-Handelsplattformen das ideale Vehikel für die Geldanlage mit einem begrenzten Budget. Das gilt insbesondere für Krisenzeiten, wie wir sie heute erleben. Besonders gefragt sind bei jungen Kunden aktuell Produkte wie ETFs, Aktien und Kryptowährungen – auch in Form von Sparplänen. Klassische Finanzprodukte wie Fonds, Bausparverträge oder Festgeld finden in der Generation Y und Z hingegen nur wenig Interesse.

Hinsichtlich der Anlageziele unterscheiden sich die nachwachsenden Anlegergruppen jedoch kaum von vorigen Generationen:

Nach Angaben der Gesellschaft für Innovative Marktforschung stehen kurz- bis mittelfristig Konsumziele und Erlebnisse auf dem Wunschzettel, mittelfristig wird die Finanzierung einer Immobilie angepeilt. Das langfristige Investitionsziel ist die Altersvorsorge mit der Option auf frühzeitigen Ruhestand.”

Banken können ihre Stärken ausspielen

Autor Yves Wüppenhorst, Cofinpro
Yves Wüppenhorst, Senior Consultant, ist seit 2018 bei Cofinpro (Webseite). Er lei­tet das Team für Wert­pa­pier­the­men bei dem auf Ban­ken und Ka­pi­tal­ver­wal­tungs­ge­sell­schaf­ten spe­zia­li­sier­ten Con­sul­ting-Un­ter­neh­men. Er blickt zudem auf eine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Wertpapierhandel und Portfoliomanagement zurück. Als Be­ra­ter ver­fügt er über lang­jäh­ri­ge Er­fah­rung in Wert­pa­pier- und Investmentprozessen und begleitet in den letzten Jahren in diversen Projektumfeldern verschiedenste Digitalisierungsvorhaben.

Die junge Kundengruppe zielgerichtet anzusprechen, sollte von den Akteuren im Markt nicht vernachlässigt werden: Noch ist das durchschnittliche Transaktionsvolumen der Generation Y und Z relativ gering, jedoch ist der langfristige Customer Lifetime Value nicht zu unterschätzen. Im Wettbewerb mit den Neobrokern können die traditionellen Banken und Broker verlorengegangene Marktanteile wieder wettmachen, wenn sie ihre Stärken besser herausarbeiten und auf die Wünsche der Zielgruppe zuschneiden. Praktische Ansätze dazu sind:

  • Prozesskosten senken: Über eine weitreichende Prozessautomatisierung haben die Neobroker Effizienzvorteile gegenüber den etablierten Häusern aufgebaut und können beim Endkunden niedrigere Gebühren erheben. Die preissensitiven Generationen Y und Z achten stark auf die Konditionen beim Depot und schrecken vor hohen Kauf- und Verkaufspreisen bei Wertpapieren zurück.
  • Komfort und Usability steigern: Viele klassische Banken und Broker haben ein sehr umfangreiches Produktangebot, jedoch häufig zu Lasten der Usability. Alternativ bieten sich Mehrprodukt- oder Multimandantenlösungen an: Kunden werden über verschiedene Strategien, wie beispielsweise ein reduziertes Angebot an Produkten und Handelsplätzen, angesprochen. So wird pro Zielgruppe ein passgenauer Schwerpunkt gesetzt und ein klarer Fokus auf einzelne Kategorien gewährleistet, welcher mit einer nutzerzentrierten User Experience kombiniert werden kann.
  • Einstiegshürden reduzieren: Neobroker punkten mit niedrigen Einstiegshürden bei der Depoteröffnung, die häufig direkt über eine mobile App in wenigen Minuten erfolgt. Kunden wird ein einfacher und schneller Weg zur ersten Transaktion geebnet, ohne erst ein Girokonto beim Anbieter einzurichten oder persönlich eine Filiale aufzusuchen. Dieser Komfortgewinn steigert die Bereitschaft zum Abschluss eines neuen Depots.
  • Innovationen zulassen: Junge Investmentgenerationen sind technikaffin, ESG-bewusst und experimentierfreudig. Die Folge: Digitale Assets stoßen auf mehr Interesse als Bundesschatzbriefe. Depot-Anbieter müssen sich darauf einstellen und moderne Anlagemöglichkeiten wie Kryptowährungen oder nachhaltige ETFs ermöglichen.
  • Marktmacht ausspielen: Im Gegensatz zu Neobrokern haben etablierte Banken leichten Zugriff auf eine große Palette verschiedenster Finanzdienstleistungen: vom Zahlungsverkehr über Kredite bis zum Research. Über eine intelligente Verzahnung und Bereitstellung von Plattform-Lösungen können die User aus der Investmentwelt stärker in das Gesamtportfolio eingebunden werden. Während früher die Kundenentwicklung meist beim Girokonto startete und zum Depot führte, kann künftig der Weg auch andersrum erfolgen: vom Depot zum Girokonto.
  • Vertrauen in Marke und den Markt schaffen: Noch genießen traditionelle Banken einen Vertrauensvorschuss am Markt und können auf eine langjährige Erfahrung im Zusammenspiel mit dem Regulator zurückgreifen. Diesen Vorsprung gegenüber den Neobrokern gilt es in der Kommunikation mit dem Kunden auszuspielen.
  • Community und Gamification: Die Kombination aus Spaß und Erlebnis ist der jungen Nutzergemeinde besonders wichtig. Die Erfahrungen aus anderen Online-Diensten und sozialen Medien wird auch in der Finanzwelt erwartet. Der Community-Gedanke ermöglicht es, gemeinsam Trends auf dem Aktienmarkt zu verfolgen, Tipps auszutauschen und zu lernen.

Fazit

Zwar sind die Wachstumsraten der Neobroker ins Stocken geraten, aber ihre unbedingte Kundenorientierung hat in der Branche immer noch Vorbildcharakter.

Davon können traditionelle Banken profitieren, indem sie das Erfolgsmodell zumindest in Teilen kopieren und mit den eigenen Stärken bündeln sowie einen Paradigmenwechsel zu einer stärkeren Neukundenbetrachtung vollziehen.”

Denn ihr breites Angebot an Finanzdienstleistungen und ihre gute Reputation im Markt kann in Kombination mit einem zeitgemäßen digitalen Auftritt junge Kundengruppen erschließen, die dann langfristig im eigenen Ökosystem bleiben.Sarah Menz und Yves Wüppenhorst, Cofinpro

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