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KOMMENTAR24. Juli 2017

Wenn der Wurm nur dem Angler schmeckt – Banken und die neuen Payment-Lösungen

Rudolf LinsenbarthRudolf Linsenbarth

Was haben girogo, paydirekt und TWINT gemein? Alle drei sind Versuche der Banken, sich im Payment neu zu positionieren. Zudem sind sie alle nicht sonderlich erfolgreich. Es gibt auch Stimmen, die sagen, diese Verfahren wären bereits gescheitert. Woran liegt das?

von Rudolf Linsenbarth

Ein neues Zahlverfahren muss sich in einem zweiseitigen Markt behaupten. Sowohl der Händler, als auch der Endkunde und nicht etwa die Bank muss Gefallen finden. Der Händler verlangt einen guten Preis und Relevanz. Am POS will er möglichst keine neue Hardware anschaffen. Die Tatsache, dass alle drei Lösungen (girogo, paydirekt und TWINT) nur national funktionieren, ist in einer immer stärker globalisierten Welt auch kein Vorteil. Der Endkunde dagegen erwartet eine einfache Registrierung, eine gute Benutzerführung und am besten noch einen Grund, warum er das Verfahren nutzen soll.

Drei mal unterschiedlich scheitern

Bei beiden Zielgruppen schwächeln die oben erwähnten Produkte erheblich.
Hier die Analyse im Einzelnen:

1. girogo: Das Ding mit der Händlerkarte 

Kontaktloses Bezahlen per girogo bei Sanifair EURO Kartensysteme

Bei girogo ist die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) mit einem sehr attraktiven Preis ins Rennen gegangen. Allerdings war das Produkt zum Start 2012 noch nicht fertig. Jeder Händler musste zusätzlich eine sogenannte Händlerkarte in das Terminal einsetzen. Für große Filialisten ein No-Go. Die virtuelle Händlerkarte stand erst gut 20 Monate später zur Verfügung. Da waren die ersten Banken schon wieder ausgestiegen. Zudem hatte man sich für eine andere Betragsgrenze entschieden, als die sehr viel früher gestarteten kontaktlosen Bezahlverfahren von Mastercard und VISA.

Von der bereits im Markt befindlichen Geldkarte wusste man, dass der Endkunde nicht erst zum Automaten gehen will, um die Karte aufzuladen. Dort kann er sich auch Bargeld abholen. Das funktioniert überall bis zu jeder Betragshöhe.

Die Antwort der DK war das Aboladen mit einem Prozess, der jedem UX-Designer die Tränen in die Augen treibt.”

Außerdem hatte man die Geldkarte kontaktlos gemacht. Ein Konzept, wie man hier den Formfaktor Karte z. B. in Richtung Handy oder Wearable wechselt, gibt es bis heute nicht. In Folge gingen die Transaktionen der Geldkarte/girogo trotz der „Innovationen“ stetig zurück. Worauf die Händler bestehende Geldkarten-Terminals zurückbauen. Ein Teufelskreis!

Die Spitze dieses Trauerspiels sieht man, bei der Einführung der kontaktlosen girocard. Beide Systeme lassen sich nicht vernünftig nebeneinander auf einem Terminal betreiben. Daher empfehlen selbst die Sparkassen den Händlern, girogo zu deaktivieren, um girocard kontaktlos ohne Probleme betreiben zu können.

2.Paydirekt: Komplexe Preisverhandlungen, zu wenig Mehrwerte

Das 500.000 Euro-Gewinnspiel: Den Durchbruch blieb für paydirekt aus – die Sparkassen haben mittlerweile sogar mehr Kunden für Kwitt (P2P) gewonnen – mit geringerem Etat.Sparkasse.de

Schon zum Start mussten die Banken feststellen, dass der Handel nur verhalten auf das neue Angebot reagierte. Unrealistische Preisvorstellungen gepaart, mit komplexen Vertragsverhandlungen kamen erschwerend hinzu. Die Integration von paydirekt ist zumindest für kleine Händler deutlich schwieriger als bei PayPal. So etwas wie den „Jetzt Kaufen Button“ gibt es auch 2 Jahre nach dem Start von paydirekt nicht.

Der Express Check Out, soll fertig sein. Aber kein Händler setzt ihn ein! Warum eigentlich?

Und: Das große Asset der Banken, die Kunden, zieht auch nicht wirklich. Ein Bankkunde ist nicht automatisch ein paydirekt-Nutzer. So richtig einfach ist das alles auch nicht.

Man kann sich relativ einfach registrieren. Aber wenn man das Produkt anschließend 2 Monate nicht nutzt, hat man auch Benutzernamen und Passwort wieder vergessen.”

Einfacher ist es dann schnell, die PayPal- Daten, Amazon Pay und selbst die Kreditkartendaten einzugeben. Zumal es für den Kunden auch keinen ersichtlichen Grund gibt, paydirekt zu nutzen. Abgesehen von incentivierten Sonderangeboten. Strohfeuer, bei denen die Banken eigentlich nur Geld verbrennen.

Letzte Chance? Jetzt mit P2P-Payment.paydirekt

Der aktuell letzte Hoffnungsschimmer ist ein P2P Überweisungsverfahren. Allerdings rennt man hier dem Markt hinterher. Die Startups Cringle und Lendstar sind schon sehr viel länger am Start und bieten einen größeren Funktionsumfang. Die Sparkassen haben mit Kwitt sowieso eine eigene Agenda. Auch der große Rivale PayPal bildet die Funktion deutlich besser ab. Das versandte Geld ist sofort verfügbar und nicht erst nach ein bis zwei Tagen.

Ist das der Alptraum für paydirekt: Visa & PayPal arbeiten künftig Online und am POS zusammen.DoroshinOleg/bigstock.com

Der Super-GAU mit PayPal steht aber noch bevor! Die Annäherung an Apple und VISA verheißt nichts Gutes für paydirekt (wir berichteten). Wenn PayPal eine eigene VISA-Karte herausgibt und diese dann auch bei Apple Pay und Android Pay verfügbar ist, wäre das Desaster komplett. PayPal hätte dann endlich sein jahrelanges Problem gelöst und wäre mit einer Payment-Lösung am POS angekommen. Der Fuchs ist im Hühnerstall!

3. TWINT: Zu wenig im Handel vertreten
Rudolf Linsenbarth
Linsenbarth-Rudolf-516Rudolf Linsenbarth ist Seni­or Consultant für den Be­reich Mobile Payment und NFC bei COCUS Con­sul­ting. Zuvor war er 11 Jah­re im Bank­bereich als Seni­or Technical Specia­list bei der TARGO IT Consulting (Crédit Mutuel Banken­gruppe). Linsenbarth ist ei­ner der pro­fi­lier­tes­ten Blog­ger der Fi­nanz­szene und kommentiert bei Twit­ter un­ter @holimuk die aktuellen Entwicklungen. Alle Beiträge schreibt Rudolf Linsenbarth im eigenen Namen.
Das Schweizer Mobile Payment Verfahren TWINT hat zumindest nominell die für den Endkunden wichtigen Mehrwerte implementiert. Es gibt eine Geldsendefunktion und die Möglichkeit, ein Kundenbindungsprogramm einzubinden. Angeboten werden zum Beispiel die COOP Supercard oder die TCS Mitgliederkarte (ähnlich ADAC).

Will man am POS bezahlen, wird es aber schon extrem übersichtlich. Als großen Kunden konnte man COOP gewinnen. Die haben als einer der wenigen Schweizer Detailhändler die TWINT-Pilze in ihren Filialen aufgestellt. Allerdings jede technische Neuerung am POS bringt Verzögerungen und die Geräte gibt es auch nicht umsonst.

Damit das Geschäft in dieser Konstellation überhaupt profitabel werden kann, müssen die Endkunden die TWINT App direkt mit ihrem Bankkonto verbinden und nicht mit der Kreditkarte. Ob der TWINT Partner SIX die Idee gut findet, darf bezweifelt werden. Zudem hört man immer wieder von technischen Schwierigkeiten mit den TWINT Apps der einzelnen Banken. Schwer vorstellbar, dass in diesem Umfeld eine zügige Weiterentwicklung der Funktionalität machbar ist.

Fazit: Augen zu und weitermachen?

Die oben beschriebene Situation ist keine neue Erkenntnis und kann einem nur entgehen, wenn man die Augen schließt. Was muss man also anders machen? Die Banken wollen mit jedem der Payment-Projekte ein spezifisches Problem lösen:

1. girogo den Kunden zum vermehrten Einsatz der Karte bewegen
2. TWINT das Mobile-Payment-Thema einschließlich Kundenbindung selber kontrollieren
3. Paydirekt Marktanteile im Online-Payment von PayPal zurückholen oder zumindest keine Weiteren verlieren

Ausgangspunkt ist jeweils ein Problem der Banken und nicht der Kunden. Darauf aufbauend überlegen die Banken, wie man das lösen kann.”

Die Lösung wird definiert, gebaut und nach zwei Jahren auf dem Markt geschmissen. Die Strukturen, in denen das geschieht, sind aber nicht flexibel genug, um das Produkt in einem iterativen Prozess zu verbessern. Als erstes führen komplexe Eigentümerstrukturen zu langen Entscheidungswegen. Zum Zweiten braucht man für die Veränderungsfähigkeit der Payment Lösungen einen Minimum Viable Product (MVP) Ansatz. Banken denken ihre Zahlungsverkehrslösungen aber immer nur im Kontext der anderen Bankprodukte. Aus diesem Grunde werden auch die bankeigenen Mobile-Payment-Lösungen scheitern. Fortsetzung folgt … Rudolf Linsenbarth

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