UNCHAIN Festival in Oradea: Fintech trifft Festival – und das mitten in Osteuropa

Dirk Emminger
von Dirk Emminger
Was in vielen Konferenzkalendern noch als Geheimtipp gilt, ist in der CEE-Region längst gesetzt. Das UNCHAIN Festival (Website) ist keine klassische Fintech-Messe. Es ist Festival, Dialogplattform und Netzwerkraum zugleich – bewusst informell, mit Teilnehmern aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Finanz- und Technologiewelt. Der Veranstaltungsort: die restaurierte Festung von Oradea. Open Air, mit Bühne, Lounges, Food-Trucks und Panels.Mehr als Messe: UNCHAIN als Bühne für CEE
Seit dem Start 2022 bringt UNCHAIN Banken, Fintechs, Regulatoren und Infrastrukturplayer aus ganz Mittel- und Osteuropa zusammen. Ziel: echte Gespräche führen, neue Kooperationen anstoßen, regionale Finanzmärkte verstehen und vernetzen. Und das in einem Umfeld, das mehr Sommerfestival als Vorstandstagung ist – mit fachlich tiefer Agenda aber in einem bewusst lockerem Rahmen.
Die zentrale Idee: CEE als Region denken, nicht als Einzelmärkte. Wer den digitalen Finanzsektor in Osteuropa verstehen oder mitgestalten will, findet in Oradea eine ungewöhnliche, aber höchst relevante Bühne.

Dirk Emminger
Was in CEE wirklich passiert
Die Agenda in Oradea war voll – über 60 Sessions in zwei Tagen.
Im Fokus standen:
- Instant Payments – in vielen Ländern der Region längst Standard. Jetzt geht es um Reichweite, Interoperabilität und konkrete Geschäftsmodelle.
- Künstliche Intelligenz – nicht als Schlagwort, sondern als Infrastrukturthema: Wo kann KI Abläufe verbessern, Entscheidungen stützen, Services personalisieren?
- Embedded Finance und Lending – besonders relevant im Handel, bei der Finanzierung von KMU und in Plattformstrukturen.
- Digitale Identitäten & EUDI – mit konkreten Anwendungsfällen aus Banken, Insurtechs und öffentlicher Hand.
- Cloud und Core-Modernisierung – von der AWS-Migration großer Institute bis zu neuen Tech-Stacks bei Neobanken.

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Die Gespräche waren inhaltlich tief, der Umgang offen und kollegial. An vielen Stellen hatte man den Eindruck: Viele kennen sich, arbeiten zusammen, bleiben im Austausch. Wenig Selbstdarstellung, viel Gespräch auf Augenhöhe. Auffällig auch: Man sprach offen über Projekte, regulatorische Details und technische Realitäten. In vielen CEE-Märkten sind Technologien wie Instant Payments, digitale Identitäten oder Embedded Finance nicht Zukunft, sondern Gegenwart. Lösungen existieren, Systeme laufen, Kooperationen entstehen. Was bisher oft gefehlt hat, ist der internationale Blick darauf.
Zentralbanken auf der Bühne – und im Gespräch
Auffällig stark vertreten: die Zentralbanken der Regionen. In mehreren Sessions sprachen Vertreter:innen der Notenbanken aus Rumänien, Kroatien, Slowenien und Tschechien über ihre Rolle als aktive Gestalter von Zahlungsinfrastruktur, Regulierung und Marktöffnung. Gemeinsam mit Branchenverbänden, Fintechs und Infrastrukturpartnern wurde diskutiert, wie ein regulatorischer Rahmen aussehen kann, der Innovation nicht blockiert, sondern begleitet.

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Dabei ging es um konkrete Themen: Instant Payments, digitale Identitäten, die Auswirkungen der MiCA-Regulierung – und um die Frage, wie Zusammenarbeit zwischen Aufsicht und Marktakteuren auf Augenhöhe funktionieren kann. UNCHAIN bot dafür einen Rahmen, der sonst selten entsteht: offen, direkt, lösungsorientiert.

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Startups im Fokus – Integriert in zwei Tagen
Der Startup-Wettbewerb war kein reines Pitch-Format, sondern Teil des Programms: kuratiert, auf die Region fokussiert, mit einer Jury aus Investor:innen, Banken und Tech-Partnern.
Ausgezeichnet wurde Mifundo, ein Fintech, das sich einem echten Problem widmet: Kreditvergabe für Menschen, die in mehreren EU-Ländern gelebt oder gearbeitet haben. Die Lösung: eine Plattform, die Daten aus verschiedenen europäischen Auskunfteien bündelt – und damit grenzüberschreitende Bonitätsprüfungen möglich macht.
Der Pitch war überzeugend – nicht nur technisch, sondern auch mit Blick auf Inklusion, Skalierbarkeit und Marktpotenzial. Die Jury war sich schnell einig, auch im Publikum war spürbar: Das trifft einen Nerv. Andere Finalisten präsentierten Lösungen in Bereichen wie Kreditvergabe, Identitätsprüfung und Embedded Infrastructure – ohne Buzz, aber mit Substanz.
Besonders hervor stach Sirius AI mit einem ambitionierten Konzept: einer „Agentic Bank“ – gedacht als Financial Operating System für KI-Agenten. Der Ausgangspunkt ist klar: Heute fehlt es autonomen Systemen an direktem Zugang zu Finanzinfrastruktur. Transaktionen bleiben komplex, teuer, und vor allem: nicht in Echtzeit.
Sirius will genau das ändern. Der vorgestellte Stack kombiniert Identitäts- und Compliance-Funktionalitäten („Know your Agent“) mit Multi-Asset-Wallets, einer regelbasierten Policy-Engine (etwa für Ausgabenlimits, Escrow-Logiken oder Notfallabschaltungen) sowie Echtzeit-Buchhaltung und Anbindung an bestehende Systeme. Ziel ist es, Agenten zu befähigen, eigenständig, kontrollierbar und sicher zu agieren – auch im finanziellen Raum.
Die Vision: ein transaktionsfähiges KI-Ökosystem, das nicht auf die Logik menschlicher Interaktion reduziert ist, sondern eigene Schnittstellen und Regeln kennt. Besonders relevant wird das, sobald KI-gestützte Systeme in reale Geschäftsprozesse eingebettet sind – etwa in der Supply Chain, im Accounting oder im Treasury. Sirius zielt mit seiner Plattform auf genau diese Zukunft – pragmatisch, kontrollierbar und mit klarer Governance.

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UNCHAIN Tech-Infrastruktur: CEE denkt agiler als CE
Während in vielen westeuropäischen Märkten noch über Modernisierung gesprochen wird, ist sie in CEE mancherorts bereits Realität. Die Digital- und Infrastruktur-Sessions in Oradea zeigten, wie konsequent einige Institute auf Cloud, Open Architecture und KI-basierte Services setzen.
Raiffeisen Bank etwa berichtete von ihrer Cloud-Migration mit AWS, Banca Transilvania zeigte mit BT GO und Finshape, wie man mobile Banking neu denkt – und wurde dafür als „Digital Bank of the Year“ ausgezeichnet. Auch Garanti BBVA setzte mit dem virtuellen Assistenten „GIA“ ein Zeichen. Die Beispiele machten klar: Digitale Transformation heißt hier nicht nur Frontend, sondern auch Kernarchitektur – und läuft oft schneller als man denkt. Das liegt auch daran, dass viele Banken in CEE strukturell jünger sind – und nicht erst ganze IT-Generationen überwinden müssen.
Daten, Identität, Sicherheit: die kritischen Bausteine
Ein weiterer Schwerpunkt: Identität, EUDI-Wallets und Data Governance. Panels mit IBM, IT Smart Systems, Namirial und Regulatoren diskutierten konkrete Umsetzungsprojekte – etwa in der digitalen Onboarding-Strecke oder in KI-getriebenen Services. Dabei wurde deutlich: Die technische Grundlage allein reicht nicht – Vertrauen, Nachvollziehbarkeit und ein sauberer Datenstack sind zentrale Voraussetzungen.
Spannend auch: die Rolle von Anbietern wie FORT oder Symphopay in der Absicherung vernetzter Systeme – und die Perspektive auf EUDI als Brücke zwischen Infrastruktur, Identität und Vertrauen. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Der Innovationsdruck ist hoch – aber es wird gebaut, nicht nur geredet.

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Echte Plattformökonomie: Retail, Landwirtschaft, Mobilität
Im Track „Fintersections“ ging es um eine der spannendsten Entwicklungen: die Verbindung klassischer Branchen mit integrierter Finanzinfrastruktur. Retailer wie eMAG und Auchan, Fleet-Player wie Eurowag und Autonom, aber auch Agrarfinanzierer wie Agricover zeigten, wie Embedded Finance in der Praxis funktioniert. Klar wurde: Wer Zahlungen, Kredite oder Versicherungen direkt in den Prozess integriert, schafft Mehrwert, aber auch für neue Geschäftsmodelle.
Besonders eindrucksvoll: Agricover. Das Unternehmen hat einen ganz eigenen Weg gefunden, landwirtschaftliche Betriebe nicht nur mit Finanzierung, sondern mit einem gesamten Embedded-Finance-Stack zu versorgen. Kredite, Absicherungen, Zahlungen – alles integriert in die operative Plattform des Landwirts. Automatisierte Prozesse und abgestimmte Produkte entlang der Landwirtschaftlichen Leistung.
Für viele im Publikum war dieser Ansatz überraschend – nicht, weil er technisch so komplex wäre, sondern weil er in der Tiefe selten gesehen wird. Embedded Finance im Agrarsektor ist bislang eher ein Randthema, hier wurde es zum Kernelement eines Ökosystems. Agricover nutzt Finanzinfrastruktur nicht als Add-on, sondern als Grundlage, um Liquidität, Planungssicherheit und betriebliche Effizienz zu verbinden. Ein Modell, das weit über CEE hinaus Aufmerksamkeit verdient.
Ethos statt Etikette
Ein inhaltlicher Ankerpunkt, der sich durch viele Gespräche zog, war „The New Ethos in Banking“. Rik Coeckelbergs – Gründer von The Banking Scene und Autor des gleichnamigen Buchs – war nicht nur als Moderator präsent, sondern brachte das Thema glaubwürdig und mit Tiefgang auf die Bühne. Sein zentrales Argument: Wenn Banken relevant bleiben wollen, müssen sie mehr sein als technologische Plattformen – sie brauchen Haltung. Vertrauen, Transparenz, Verantwortlichkeit. Nicht als Kommunikationsfloskel, sondern als gelebte Praxis.
Netzwerk abseits der Agenda – in den lokalen Bars oder mit dem Stadtplan

Dirk Emminger
Was tagsüber auf Panels begann, wurde abends weitergeführt – aber nicht in Hotelbars oder Businesslounges, sondern mitten in Oradea. Schon am Montagabend trafen sich viele Teilnehmende bei dem Pre Event in der Altstadt. Auch nach dem offiziellen Festivalende am Mittwoch folgte die „After Session“ – ein letzter Austausch, bevor alle wieder nach Hause aufbrechen.
Dazwischen: eine Stadtführung mit Kontext. Wer wollte, konnte am Dienstagnachmittag Oradeas Architektur und Geschichte kennenlernen – samt Einordnung, wie die Region tickt. Das war nicht Beiwerk, sondern Teil der Idee: UNCHAIN versteht sich als regionales Format, das auf echte Verbindung setzt.
CEE denken, nicht nur beobachten
Wer mitreden will, wenn es um Finanzinfrastruktur, Plattformmodelle oder digitale Identität in CEE geht, sollte sich Oradea vormerken. UNCHAIN ist das zentrale Event für die Region. Wir berichten, sobald Termine und Programm für 2026 stehen und villeicht reisen wir ja gemeinsam an.Dirk Emminger
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