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STRATEGIE19. Mai 2025

Innovation mit KI: Wenn das Ziel unklar ist, hilft nur Struktur – und ein Sprachmodell

Schwerpunkt: Innovationsmanagement
Stephan A. Paxmann, Chief Innovation Officer der LBBW - und Experte für GenKI
Stephan A. Paxmann, Chief Innovation Officer der LBBW – und Experte für GenKILBBW

Innovation entsteht selten zufällig – sie ist das Ergebnis eines klug gestalteten Prozesses. Paradox aber wahr: Gerade wenn die Ziele noch unklar sind, braucht es klare Prozesse. Denn wer Neuland wie generative KI (GenKI) betritt, sollte zumindest wissen, wie er vorgeht, auch wenn das genaue Ziel erst unterwegs sichtbar wird.

von Stephan A. Paxmann, Chief Innovation Officer der LBBW

Im Zeitalter generativer KI (GenKI) stellt sich mehr denn je die Frage, wie Unternehmen ihre Innovationskraft systematisch entfesseln können. Ein zentraler Baustein dabei: Künstliche Intelligenz als kreativer Partner. Sprachmodelle und andere GenKI-Systeme analysieren nicht nur vorhandene Daten – sie gestalten mit, generieren Ideen und werden so zu aktiven Mitstreitern im Innovationsprozess. Für C-Level-Entscheider und Digital-Leader bedeutet das:

Erfolgreiche Innovation erfordert einen Spagat zwischen flexiblem Denken und strukturiertem Vorgehen – und den Mut, KI als Ideengeber einzubinden.”

Unklare Ziele, aber ein methodischer Kompass

Wer wirklich Innovatives schaffen will, hat am Anfang oft nur eine vage Vision: ein unklar definiertes Ziel, das sich erst schärft, wenn man darauf zugeht. Das bedeutet jedoch nicht, ohne Kompass loszusegeln. Im Gegenteil: Je nebulöser das Ziel, desto wichtiger sind klare Prozesse und Methoden, die den Weg weisen.

Agile Innovationsframeworks wie Design Thinking oder Lean Startup basieren darauf – Iterationen, Experimente und Lernschleifen ersetzen den starren Masterplan.”

So entsteht ein Gerüst, innerhalb dessen kreative Freiheit herrscht. Wichtig ist dabei eine Kultur, die Offenheit für Anpassungen erlaubt: Wenn neue Erkenntnisse auftauchen, wird der Kurs korrigiert. Dieses Wechselspiel aus Orientierung und Flexibilität ist das Lebenselixier erfolgreicher Innovationsprojekte. Generative KI passt hier perfekt ins Bild: Sie kann helfen, schnelle Iterationen zu fahren – von der Ideengenerierung bis zum Prototyp – ohne den Prozess zu verlangsamen.

Ein klar definierter Prozess schafft zudem Vertrauen im Management. Gerade in verantwortlicher Rolle möchte man wissen, dass Innovation nicht im Chaos versinkt. Ein strukturierter Innovationsprozess – auch wenn das Endziel unklar ist – liefert Messpunkte und Entscheidungsgates. So lässt sich nachvollziehen, welche Ideen verfolgt werden, welche Experimente laufen und wo gegebenefalls abgebrochen oder umgesteuert wird. Klare Prozesse sind also kein Widerspruch zu kreativer Ungewissheit, sondern ihr Sicherheitsnetz. Sie bieten einen Rahmen, in dem sich das Unbekannte erkunden lässt, ohne dass das Projekt entgleist. Mit GenKI an Bord gewinnen diese Prozesse eine neue Dimension von Geschwindigkeit und Vielfalt.

GenKI: Vom Analyse-Tool zum kreativen Partner

Autor Stephan A. Paxmann, LBBW
Stephan Paxmann ist u.a. Experte für GenKI.Stephan A. Paxmann ist Chief Innovation Officer der LBBW (Webseite). Er verantwortet seit 2022 die strategischen Digitalisierungs- und Innovationsaktivitäten und -projekte der Bank. Gemeinsam mit seinem Team steuert er das Innovations- und Trendmanagement, analysiert und verprobt neue Geschäftsideen mit digitalen Lösungen, entwickelt die digitale Roadmap für die relevanten Digitalisierungsinitiativen und begleitet die Bankengruppe bei der Überführung neuer Geschäftsmodelle mit digitalen Lösungen in den Unternehmensalltag. Stephan A. Paxmann verantwortet in dieser Rolle auch die Generativen KI Aktivitäten der LBBW und die Etablierung der dafür notwendigen Infrastruktur und Governance.

Künstliche Intelligenz wird in vielen Unternehmen bereits zur Datenanalyse eingesetzt. Doch generative KI – allen voran große Sprachmodelle wie GPT-4, Gemini oder Claude – kann weit mehr als nur analysieren. Sie erschafft Inhalte. Das Spektrum reicht von Texten, Bildern, Designs bis hin zu komplexem Code. Im Innovationskontext bedeutet das:

Ein KI-Modell kann in Sekundenbruchteilen Ideen vorschlagen, Konzepte entwerfen oder sogar Lösungswege skizzieren, auf die ein menschliches Team vielleicht erst nach wochenlangem Brainstorming käme.”

Diese KI-Systeme sind in gewisser Weise zu kreativen Koproduzenten geworden. Ein Sprachmodell etwa kann auf Zuruf Markttrends zusammenfassen und gleich neue Produktideen formulieren. Es kann tausende Dokumente lesen und daraus eine Innovations-Chance ableiten – und dann selbst Vorschläge generieren, wie man diese nutzen könnte.

Wichtig ist: Die KI liefert nicht einfach nur Fakten, sie liefert Möglichkeiten. Sprachmodelle haben demonstriert, dass sie aufgrund ihres Trainings aus unzähligen Quellen eigenständig Texte und Ideen entwickeln, die inhaltlich schlüssig und oft originell sind. Natürlich ist menschliche Bewertung unerlässlich, die Rolle des Experten verlagert sich aber hin zum Kurator und Kritiker der KI-Einfälle. Aber richtig eingesetzt, erhöht GenKI die Schlagzahl der Kreativität enorm.

Ein praktisches Beispiel: In der Produktentwicklung können Teams die KI nutzen, um in Minuten dutzende Varianten eines Konzepts durchzuspielen, sei es ein neues Feature, eine Werbebotschaft oder sogar der grobe Entwurf einer Strategie. Anstatt monatelang Marktforschung zu betreiben, kann ein Sprachmodell hypothetische Kundenreaktionen prognostizieren oder alternative Anwendungsfälle „erfinden“. Diese Geschwindigkeit und Vielfalt verschiebt die Grenzen dessen, was in frühen Innovationsphasen machbar ist. Aus einer Idee werden rasch viele – und im nächsten Schritt trennt der Prozess die Spreu vom Weizen. Generative KI ist damit kein passives Werkzeug mehr, sondern ein aktiver Ideengeber im Team.

Innovationssprünge dank KI: Beispiele aus der Praxis

Ein Blick in andere Branchen zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial generative KI bereits heute entfaltet. Pharmazeutische Forschung zum Beispiel gilt traditionell als langwieriger, ressourcenintensiver Prozess. Doch KI-Systeme beschleunigen hier Entwicklungsschritte, die früher Jahre dauerten. Das Unternehmen Insilico Medicine setzte generative KI ein, um einen völlig neuen Wirkstoffkandidaten zu entwickeln – von der Identifikation eines neuen Wirkziels bis zum Design der Molekülstruktur. Ergebnis: Der KI-entdeckte Wirkstoff ISM001-055 schaffte es innerhalb kürzester Zeit in die klinische Erprobung (Phase II). Ein wissenschaftlicher Meilenstein, der Anfang 2024 in Nature Biotechnology präsentiert wurde. Die KI hat hier nicht nur Daten durchforstet, sondern aktiv einen neuartigen Therapieansatz miterschaffen. Solche Erfolge deuten an, dass wir am Beginn eines Paradigmenwechsels stehen: Wirkstoffe werden nicht mehr nur gefunden, sondern von KI mit erschaffen.

Nicht nur bei den Produkten, auch bei den Prozessen gibt es Quantensprünge. Innovation beschleunigt Innovation, denn KI verkürzt die Vorlaufzeiten, sodass Forscher schneller zu den wirklich kreativen Aufgaben kommen. Ein generatives KI-Modell kann aufgrund seines breiten Wissens auch zusätzlich Querverbindungen ziehen und Hypothesen generieren, die menschlichen Experten entgehen. In kritischen Momenten kann das den Unterschied machen und als kreativer Partner im Team neue Perspektiven eröffnen, besonders bei seltenen oder komplexen Fällen.

Starre Planung – der Feind echter Innovation?

So verlockend die Vision planbarer Innovation auch ist, klassische Projektplanung gerät bei echten Durchbrüchen an ihre Grenzen. Traditionelle Methoden verlangen ein klares Lastenheft: Ziele, Termine, Budgets werden früh festgezurrt.

Doch was, wenn das Ziel naturgemäß unklar ist? Zu rigide Planung kann dann zur Innovationsbremse werden. Termingetriebene Projektpläne sind daher der Feind der Innovation. Dahinter steckt die Erfahrung, dass allzu strikte Vorgaben kreatives Entdecken ersticken. Wer Angst haben muss, eine Deadline zu reißen, wird seltener mutige Experimente wagen.

Das heißt nicht, dass man ohne Planung arbeiten sollte – aber die Art der Planung muss eine andere sein.

Anstelle detaillierter Gantt-Diagramme treten adaptive Roadmaps: grobe Meilensteine, regelmäßige Check-ins und die Bereitschaft, Ziele unterwegs zu justieren.”

Ein agiles Projekt, das jeden Sprint neu bewertet, passt besser zu einem Innovationsvorhaben als ein Wasserfall-Projekt mit starren Phasen. Wenn klassisches Projektmanagement die Devise „Plan einhalten um jeden Preis” verfolgt, gilt im Innovationsmanagement eher „Lernen um jeden Preis”. Ersteres optimiert auf Sicherheit, letzteres auf Erkenntnisgewinn. Für Unternehmen bedeutet das oftmals aber einen Kultur- mindestens aber einen Führungswandel: Weg von der Illusion völliger Planbarkeit und Kontrolle, hin zu einer lernenden Organisation, die sich iterativ dem Optimum annähert.

Gerade hier kann generative KI unterstützen. Sie erlaubt es, schneller auf Veränderungen zu reagieren. Neue Kundenerkenntnis? Die KI hilft binnen Stunden, alternative Produktideen zu skizzieren. Unerwartetes technisches Problem? Ein Sprachmodell kann Vorschläge liefern, wie andere Branchen ähnliche Hürden genommen haben. Dadurch wird der Innovationsprozess resilienter gegenüber Überraschungen. Starre Planung wird ersetzt durch einen dynamischen Dialog – zwischen Teammitgliedern, und auch zwischen Mensch und KI.

Strukturierte Kreativität als Erfolgsrezept

Innovation mit unklaren Zielen braucht zweierlei: einen strukturierten Prozess UND kreative Freiheit. Generative KI fügt diesem Spannungsfeld eine neue Komponente hinzu. Sie wirkt wie ein Katalysator, der Ideen schneller sprudeln lässt und komplexe Probleme aus neuen Blickwinkeln beleuchtet. Für Führungskräfte bedeutet das: Es reicht nicht, KI einfach irgendwo im Unternehmen einzuführen. Man muss sie gezielt in die Innovationsprozesse integrieren und erlauben, dass Kreativität dadurch ergänzt wird. Die erfolgreichsten Unternehmen werden jene sein, die ihren Teams klare Leitplanken geben, aber innerhalb dieser Leitplanken die kombinierte Kreativität von Mensch und Maschine zur Entfaltung bringen.

In Branchen wie Medizin und Pharma sehen wir bereits heute, wozu KI in der Lage ist, von beschleunigter Forschung bis zu Diagnosen, die früher unerreichbar schienen. Diese Entwicklungen sind Warnsignal und Inspiration zugleich für alle Branchen, auch die Finanzindustrie. Klassische Rezepte greifen in dynamischen Zeiten zu kurz. Wer hingegen klare Innovationsprozesse aufsetzt, GenKI als Partner begrüßt und eine Kultur des mutigen Ausprobierens etabliert, der verwandelt unklare Ziele in wertstiftende Ergebnisse. Innovation braucht diesen Mut zur Struktur im Ungewissen. Unternehmen, die das verinnerlichen, werden die Vorreiter von morgen sein. Die Zukunft gehört den Mutigen, die Unklarheit nicht fürchten, sondern sie mit Methode und Maschine meistern.Stephan A. Paxmann, LBBW/dk

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