Wechsel Kernbanken-Systeme: hü-hott, ja-nein – warum tun sich Banken so schwer?

Tobias Keser (Sopra Steria GER & AT), Stephan Milka (Atruvia) und Marko vom Stein (Finanz Informatik) sprechen darüber, warum Banken zögern, wie ein zukunftsfähiges System aussieht und was nach der Migration zu erwarten ist. (Teil 1 Anbieter-Interview)
von Dunja Koelwel
Weswegen zögern Banken derzeit noch, sich mit dem Thema „Wechsel Kernbanken-System“ auseinanderzusetzen?

Finanz Informatik
Marko vom Stein: Ein Wechsel des Kernbanken-Systems stellt Banken und Kreditinstitute vor erhebliche Herausforderungen, denn er ist vergleichbar mit dem Wechsel des Motors beim PKW. So ein Großprojekt geht man nur an, wenn erhebliche regulatorische und technische Anforderungen gepaart mit finanziellen Betriebsvorteilen erkennbar sind, die mit dem bestehenden Kernbanksystem nicht mehr erfüllt werden können.
Tobias Keser: Ein Wechsel des Kernbanken-Systems ist eine strategische Operation am offenen Herzen mit hohen Investitionskosten, komplexen Abhängigkeiten und einem unklaren Return on Investment. Viele Banken wissen, dass ihre Altsysteme ein Innovationshemmnis sind, aber sie unterschätzen die Chancen einer schrittweisen Modernisierung. Hinzu kommt die Unsicherheit im Hinblick auf Markttrends: Wie entwickeln sich KI-basierte Services, Cloud-Regulierung oder Plattformbanking? Viele Institute warten deshalb auf einen „sicheren“ Zeithorizont. Doch wer zu lange zögert, verliert Innovationsgeschwindigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt speziell im Firmenkundengeschäft oder bei Embedded-Finance-Modellen.
Stephan Milka: Im ersten Moment schrecken sicherlich die Kosten ab. Und dann spielen möglicherweise weitere Aspekte, etwa die Befürchtung, dass sich die Bank im Rahmen des Projektes „aus dem Markt“ nimmt, eine Rolle.
Die vergangenen Jahre zeigen jedoch: Viele Banken sehen gute Gründe, ihr Core Banking zu modernisieren.
Die Entscheidung zu einem Wechsel des Kernbanken-Systems folgt nach einem längeren Prozess und ist oftmals durch externe Einflüsse getrieben.”
Etwa durch „end of life“ der bestehenden Systeme, signifikante Investitionsbedarfe in veraltete (teils fragmentierte) IT-Systemlandschaften, keine verlässliche Konformität an Regulatorik und Aufsichtsrecht oder schlicht das „Aussterben“ des eigenen IT-Knowhows.
Umso wichtiger ist es, dem eigentlichen Migrations-Projekt eine fundierte und verlässliche Voruntersuchung voranzustellen. Diese stellt sicher, dass alle Bedarfe des Institutes auf der Zielplattform gedeckt sind und das Geschäftsmodell der jeweiligen Bank unterstützt werden kann. Klare vertragliche Vereinbarungen und ein bis zum Cut Over erstellter Projektplan stellen denn Projekterfolg sicher und sorgen frühzeitig für Vertrauen auf beiden Seiten.
Mit Blick auf Zukunftssicherheit – der wichtigste Aspekt bei Kernbanken-Systemen?

Atruvia
Tobias Keser: Zukunftssicherheit bedeutet heute mehr, als dass die IT stabil funktioniert. Sie bedeutet Offenheit. Banken benötigen Kernbanken-Systeme, die flexibel genug sind, um regulatorische, technologische und marktseitige Veränderungen schnell aufzunehmen, etwa neue Bezahlverfahren, Open-Finance-Schnittstellen oder den Einsatz von KI in Compliance-Prozessen. Zukunftssichere Systeme sind modular aufgebaut, API-first und lassen sich über Cloud-Architekturen skalieren.
Der entscheidende Aspekt ist heute nicht die „Langlebigkeit“ des Systems, sondern seine Wandlungsfähigkeit.”
Marko vom Stein: Kernbanken-Systeme bilden das Herzstück der IT-Infrastruktur einer Bank. Gleichzeitig entwickeln sich die Anforderungen an die Systeme – etwa durch Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz – immer weiter. Darum ist die Flexibilität bezüglich zukünftiger Herausforderungen der essenzielle Aspekt für die Zukunftsfähigkeit von Kernbanksystemen, etwa um schnell auf sich ändernde Marktbedingungen oder regulatorische Anforderungen reagieren zu können.
Stephan Milka: Es gibt aus unserer Sicht nicht den einen wichtigsten Aspekt. Zukunftssicherheit beinhaltet mehrere Aspekte.
Zunächst sind Sicherheit, Stabilität und Resilienz des Systems die Grundvoraussetzungen. Eine tragfähige Architektur sichert die notwendige Agilität, Resilienz und Skalierbarkeit – sowohl für heutige als auch künftige Lastszenarien. Dazu kommt die permanente Einhaltung regulatorischer Anforderungen. Ein verlässlicher IT-Partner plant regulatorische Anforderungen im Entwicklungsprozess von Anfang an mit ein. Das Kernbanken-System muss aber auch in der Lage sein, innovative Lösungen und digitales Banking zu ermöglichen. Dazu muss es modular aufgebaut und integrationsfähig sein. Die Interaktion mit Partnerlösungen und Ökosystemen über APIs ist selbstverständlich. Besonders im Umfeld von Nearcore-Lösungen – also spezialisierten Anwendungen außerhalb des eigentlichen Kernbanken-Systems – ist diese Offenheit entscheidend, um innovative Funktionen schnell und kontrolliert bereitzustellen, ohne die Stabilität des Cores zu gefährden.
Um das optimale Kundenerlebnis zu ermöglichen, liefert es kanalübergreifend konsistente Daten, Prozesse und Services. Technologische Entwicklungen wie beispielsweise KI und Data Analytics werden für Innovationen und Automatisierung genutzt.
Aus den oben genannten Anforderungen ergibt sich die Notwendigkeit, das Kernbanken-System strukturiert und stetig weiterzuentwickeln. Ein weiterer Indikator für die Zukunftssicherheit ist demnach die aktuelle Change Budget Investition in das System. Und letztlich gehört zur Zukunftssicherheit auch die verlässliche Partnerschaft und strategische Zusammenarbeit von Bank und IT-Partner. Neben planbaren Kosten braucht es auch eine vorausschauende IT-Strategie und Risikotransparenz, was unter anderem auch in den MaRisk AT 7.2, den BAIT oder der DORA-Verordnung verankert ist. In der Regel bieten die Kernbanksysteme mit einer hohen Verbreitung im Markt schon allein durch die Anzahl an Kunden eine hohe Zukunftssicherheit.
Was passiert eigentlich nach der Einführung eines neuen Kernbanken-Systems?

Sopra Steria SE
Tobias Keser: Nach dem Go-live beginnt die eigentliche Arbeit. Die Bank muss lernen, mit der neuen Architektur zu „leben“: Prozesse anpassen, Fachbereiche schulen, Governance neu aufsetzen. Erst in dieser Phase zeigen sich die Potenziale: höhere Automatisierung, bessere Datenqualität, schnellere Produkteinführungen. Wichtig ist, den Change nicht als abgeschlossen zu betrachten, sondern als kontinuierlichen Lernprozess. Erfolgreiche Institute verstehen ihre Kernbanksysteme als etwas Organisches – wie ein Ökosystem, das sich gemeinsam mit Partnern, Kunden und Regulatorik permanent weiterentwickelt.
Marko vom Stein: Im Optimalfall startet der Tagesbetrieb mit dem neuen System vollständig geräuschlos, die migrierten Daten stehen für umfassendes Reporting zur Verfügung und das neue Kernbanken-System bietet den „Motor“ und die sichere Plattform für zukünftige Innovationen. Dafür sind umfassende Vorarbeiten erforderlich, die neben Datenmigration und Integrationstests auch Schulungen und Trainings für die betroffenen Mitarbeitenden umfassen.
Stephan Milka: Während des Migrationsprojekts liegt der Fokus auf einem qualitativ sehr guten und für Endkunden möglichst geräuschlosen Übergang. Zunächst steht die Betriebsstabilität im Fokus – inklusive Restticketbearbeitung, Monitoring und Nutzerunterstützung.
Nach der Einführung des neuen Kernbanken-Systems folgt die Optimierung der Prozesse sowie die Einführung weiterer Prozesse oder Themen, die während der Migration nicht im Fokus standen („Funktionieren vor Optimieren“). Auch in dieser Phase begleiten wir die Banken mit den gleichen Teams. Wir nennen das „Stabilisierungsphase“.
Banken, die zuvor im Eigenbetrieb viele Leistungen selbst verantwortet haben, profitieren von einem Plattformmodell wie wir es seitens Atruvia haben. Viele regulatorische und technische Anforderungen werden zentral und standardisiert für alle umgesetzt. Das schafft spürbare Entlastung und damit Freiräume, um sich stärker auf innovative oder strategische Themen zu konzentrieren. Dadurch, dass wir seit vielen Jahren ein mehrmandantenfähiges System weiterentwickeln, haben wir viel Erfahrung im Umstellprozess und unterstützen die Banken in dieser Phase von „A bis Z“. Das Ergebnis führt für die Banken in allen Fällen neben hohem funktionalem Abdeckungsgrad auch zu deutlichen Kosten- und Effizienzvorteilen.dk
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