Kernsystem-Strategie: Versicherungs-Kernsysteme auf KI vorbereiten

Sollers
von Jannik Harms, IT-Projektmanager, Sollers Consulting
Deutschland und die Schweiz zählen weltweit zu den Märkten mit der höchsten Dichte an Altsystemen. Analysen von IT-Stellenanzeigen zeigen: COBOL- und Mainframe-Know-how ist weiterhin gefragt – ein klares Indiz für die schleppende Modernisierung. Diese Systeme sind nicht nur teuer und schwer wartbar, sie sind auch technologisch am Limit. Mit dem Ausscheiden erfahrener Fachkräfte verschärft sich die Lage zusätzlich. Analysten schätzen, dass bis zu 70 Prozent des IT-Budgets für den Betrieb von Legacy-Systemen gebunden sind – Kapital, das für Innovation fehlt.Fragmentierte Kernlandschaften in der Schadenversicherung
Aus technologischer Sicht ist die derzeitige Lage in der Schadenversicherung von großer Komplexität geprägt. Viele Versicherer betreiben mehrere Kernsysteme parallel – oft ein Ergebnis von Fusionen und Übernahmen, bei denen IT-Landschaften nur teilweise konsolidiert wurden. Es dominieren nach wie vor eigenentwickelte Kernsystem aus den 1980er Jahren und davor. Manche Versicherer haben sich entschlossen eine „Eigenentwicklung 2.0“ aufzubauen, andere haben diese Kernsystem-Strategie nach erheblichem Anfangsaufwand wieder verworfen und suchen jetzt nach einem geeigneten Standardsystem.

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Treiber dieser neuen Kernsysteme ist die Vorbereitung auf den Einsatz von KI, insbesondere agentische KI.”
Agentische KI: Vom Automatisierer zum Orchestrator
Bei Agentischer KI handelt es sich um mehr als ein Automatisierungstool – sie orchestriert komplexe Prozesse wie Schadenbearbeitung oder Vertragsmanagement autonom und in Echtzeit. KI-Agenten übernehmen End-to-End-Fallführung, lernen kontinuierlich aus Ergebnissen und optimieren Abläufe.
Die jüngst veröffentlichte Sollers-Studie „Unter der Oberfläche – KI in der Versicherung -Erkenntnisse und Erfahrungen“ arbeitet heraus, wie KI-gesteuerte Plattformen KI-Modelle mit zusätzlichen Funktionen integrieren, um ganze Arbeitsabläufe zu automatisieren. Trotz ihres Potenzials haben allerdings nur 60 Prozent der von Sollers befragten Unternehmen eine KI-gesteuerte Plattform implementiert oder sind dabei, sie zu implementieren.
Voraussetzung für den Einsatz von agentischer KI sind cloud-native Plattformen mit Event-Streams, API-first-Architektur und sicheren Integrationsstandards.”
Ein Schlüsselbaustein ist das Model Context Protocol (MCP), das sich als offener Standard für die Anbindung von KI-Agenten etabliert.
SaaS allein reicht nicht
Cloud-first Strategien sind inzwischen auch in der Versicherungsbranche angekommen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das reine Hosting von Legacy-Systemen in der Cloud die Architekturprobleme nicht löst. Wer echte Vorteile erzielen will, muss auf Microservices, Domain-driven Design und Event-Driven-Architekturen setzen. Sicherheits- und Compliance-Aspekte gehören ebenso ins Fundament wie CI/CD-Pipelines für schnelle, sichere Releases. SaaS bietet Skalierbarkeit – Wettbewerbsvorteile entstehen jedoch erst durch eine konsequent moderne Architektur.
KI-getriebene Automatisierung, Personalisierung und Hyper-Personalisierung erfordern offene, API-basierte Kernsysteme mit hoher Datenqualität. Erfolgsfaktoren sind ein semantischer Datenlayer, Feature Stores für KI-Use-Cases sowie MLOps/LLMOps für den Betrieb von Modellen. Composable Services für Pricing, Regeln oder Zahlungen ermöglichen flexible Anpassungen. Standards wie MCP sorgen für sichere und auditierbare Integrationen.
Kernsystem-Strategie: Warum Versicherer jetzt handeln sollten
Jannik Harms ist IT-Projektmanager bei Sollers Consulting (Webseite). Er berät deutsche Versicherer bei der strategischen Ausrichtung der IT und der Modernisierung der IT-Landschaft. Der Wirtschaftsinformatiker ist seit 2017 für Sollers Consulting tätig und hat große Versicherer bei Transformationsprojekten begleitet.KI-optimierter Standardsysteme ermöglichen nicht nur schnellere Time-to-Market. Die Hauptvorteile auf einem umkämpften Markt bestehen in stark kundenzentrierten Produkten, Embedded Insurance und Ökosystem-Integration. KI kann in fast allen Bereichen eingesetzt werden – von der Schadenbearbeitung und dem Underwriting über Betrugserkennung bis hin zu Next-Best-Action-Empfehlungen – und ermöglicht hohe Automatisierung in Echtzeit. Wer nicht handelt, riskiert auf überhandnehmenden technischen Schulden sitzen zu bleiben. Gravierendstes Problem ist jedoch die offenbare Talentlücke bei Legacy-Sprachen.
Versicherer sollten ein klares Zielbild mit Cloud-nativer Referenzarchitektur und KI-Governance definieren, Modernisierung schrittweise entkoppeln und Agenten-readiness herstellen. Portfolio-Konsolidierung, KPI-basierte Roadmaps und gezieltes Upskilling sind ebenso entscheidend wie Partnerschaften mit innovativen Anbietern.
Fazit: Der Markt für Kernsysteme steht vor einer Neuordnung. Gewinner sind diejenigen, die Architektur ernst nehmen – mit Cloud-nativen Plattformen und einem API-first-Ansatz der KI-Integration auf eine höhere Ebene bringt. Wer im Rahmen seiner Kernsystem-Strategie lediglich Legacy als SaaS verpackt, verliert Geschwindigkeit, Innovationskraft und Anschluss an kundennahe Ökosysteme. Kernsysteme der Zukunft sind wertorientiert, architekturbasiert, agentenfähig.Jannik Harms, Sollers Consulting/dk
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