DLT, Trigger, Hash-Link: Warum Ihre Core-Systeme den digitalen Euro noch nicht überleben würden

KPMG
von Jens Siebert und Anne-Sophie Gógl, KPMG Financial Services

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Beim Wholesale-Euro handelt es sich um digitales Geld, das derzeit zunächst exklusiv für den Interbankenverkehr und institutionelle Finanztransaktionen entwickelt wird. Er ist somit keine zusätzliche Währung wie ein Krypto- oder Stablecoin, sondern die vollständig digitalisierte Teilversion des klassischen Euros – inklusive der dazugehörigen digitalen Infrastruktur. Geschäftsbanken soll er in Zukunft als Guthaben auf ihren bisherigen Konten bei der EZB zur Verfügung stehen.
Minimales Risiko, maximale Effizienz und Innovation
Jens Siebert ist mitverantwortlich für den Bereich Financial Services Management Consulting und Experte für die Transformation von Geschäfts- und Betriebsmodellen von Banken, Asset Managern und Marktinfrastrukturanbietern. Darüber hinaus leitet er die Digital Assets Practice in Financial Services von KPMG (Website) Deutschland.Gleiches gilt für den Finanzmarkt: Wertpapiertransaktionen folgen heute noch oft dem sogenannten T+2-Zyklus: Die Abwicklung erfolgt in der Regel zwei Tage nach dem Handel. Die Folge sind erhöhte Handelsrisiken und eine ineffiziente Bindung von Liquidität. Durch die Wholesale-CBDC könnte auch diese Abwicklung nahezu in Echtzeit stattfinden, wodurch höhere Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährleistet werden können.
Anne-Sophie Gógl ist Managerin im Bereich Financial Services Management Consulting bei KPMG (Website) und Expertin für die Entwicklungen rund um regulierte digitale Geldformen, insbesondere CBDC (Centralbank Digital Currency) in der Retail und Wholesale- Variante, MiCA regulierten Stablecoins und Giralgeldtoken.Ein Ziel, viele Wege
Von Mai bis November 2024 hat die EZB zusammen mit nationalen Zentralbanken der Eurozone und 60 Marktakteuren eine DLT-Infrastruktur getestet. Finanzinstitute mit T2-Zugang hatten die Möglichkeit, Anwendungsfälle für Großbetragszahlungen und die Abwicklung von Finanztransaktionen zu entwickeln und im Live-System zu experimentieren. Das Ergebnis: Die europäische Finanzwelt hat großen Bedarf an digitalem Zentralbankgeld auf einer DLT-Infrastruktur.
Das Ziel ist klar, doch über den Weg dorthin gibt es noch keine Einigkeit. Deutsche Bundesbank, Banque de France und Banca d’Italia präsentierten je eine eigene technische Lösung. Die einfache und schnelle Variante wäre es, die neue Wholesale-CBDC an öffentliche Blockchain-Plattformen anzubinden. Mit geeigneter Governance und Kontrollmechanismen könnte das gelingen. Doch die Variante schied aufgrund zu großer Bedenken um die Sicherheit aus.
Während Deutschland und Italien aktuell auf Brückentechnologien setzen, welche die sichere Nutzung vorhandener DLT-Plattformen gewährleisten, favorisiert Frankreich die Lösung einer komplett neu aufgesetzten, europäischen DLT-Finanzplattform.“
Im Modellversuch, dem sogenannten Exploratory-Programm, wurden drei Modelle getestet, um für unterschiedlichste Systemlandschaften interoperable Settlement-Strukturen zu evaluieren: Trigger Solution, TIPS-Hash-Link und Full-DLT-Interoperability. Die Trigger-Lösung der Bundesbank soll die Verknüpfung von DLT-basierten Finanzmarkttransaktionen mit bestehenden Zahlungssystemen wie T2 ermöglichen. Dabei wird ein sogenannter „Trigger“ verwendet, der als Brücke zwischen der DLT und der traditionellen Zahlungsinfrastruktur fungiert, um Zahlungen in Zentralbankgeld auszulösen.
Die TIPS-Hash-Link-Lösung der Banca d’Italia verbindet DLT-basierte Transaktionen mit dem TIPS-System (TARGET Instant Payment Settlement), um Zahlungen in Echtzeit und Zentralbankgeld abwickeln zu können. Ein kryptografischer Hash-Wert dient dabei als Brücke zwischen der DLT und TIPS.
Die DL3S-Lösung der Banque de Francesoll die Full-DLT-Interoperabilität für Wholesale-Transaktionen ermöglichen. Hierbei werden Transaktionen in Zentralbankgeld direkt auf einem DLT-basierten Konto abgewickelt, das auf einer vom Eurosystem bereitgestellten DLT-Plattform geführt wird.
Nun ist eine Grundsatzfrage zu klären: Soll es künftig eine zentrale Layer-1-Infrastruktur geben, die als einheitliche Settlement-Plattform dient? Oder wird die Zukunft durch Interoperabilität zwischen verschiedenen DLTs geprägt sein, die über Bridges miteinander verbunden sind? Für alle Ansätze sind sichere Schnittstellen, klare Governance-Regeln und belastbare Service-Level-Agreements unverzichtbar.
Die Varianten haben Vor- und Nachteile. Große Sicherheit und Unabhängigkeit bietet das französische Modell, doch es ist gleichzeitig auch schwerfällig, die Umsetzung komplex. Zudem besteht die Gefahr, dass ein komplett autonomes DLT-Ökosystem schnell den Anschluss an die technologische Entwicklung der privaten IT-Wirtschaft verliert – und veraltet. Die dynamischen Lösungen Deutschlands und Italiens hingegen funktionieren wie ein duales Eisenbahnsystem: Das vorhandene Schienennetz einer (oder mehrerer) privater DLT-Plattformen wird für den europäischen Zahlungs-Zugverkehr mitgenutzt. Natürlich unter der Maxime der Sicherheit aller Passagiere. Aktuell fährt die EZB zweigleisig: Neben der hier verhandelten Interimslösung Pontes (Pilot bis Ende 2026) ist gleichzeitig das komplett autonome System Appia als Zukunftsarchitektur in Planung.
Damit hat die EZB zwei Wege definiert: die kurzfristige Anbindung via Interoperabilität mit bestehenden TARGET-Infrastrukturen sowie ein langfristiges, integriertes Ökosystem. Banken müssen ihre Core-Systeme modular vorbereiten, um diese Anbindungen zu ermöglichen – sei es durch API-Gateways oder durch Middleware, die die Verbindung zwischen DLT-Plattformen und klassischen Bankensystemen orchestriert.
Einigkeit besteht hingegen in Sachen Performance. Die Erprobung hat gezeigt: Über 200 Transaktionen im Volumen von 1,59 Milliarden Euro wurden zwischen Mai und November 2024 real abgewickelt. Für Entscheider bedeutet das: Eine produktive Wholesale-Lösung sollte hohe Transaktionsraten, kurze Abwicklungszeiten und stabile Durchsatzwerte bieten. Architekturen sollten also horizontal und vertikal skalierbar sein.
Heute die Zukunft gestalten
Technologisch steht der Finanzsektor vor der Herausforderung, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und die eigene Konnektivität aufrechtzuerhalten. An den Trials von 2024 konnten alle Institute mit einem T2-Zugnag teilnehmen. Doch die Wholesale-CBDC ist nur der Anfang der Entwicklung.
Mit dem Digitalen Retail-Euro für Privatkunden steht bereits das nächste Digitalisierungsprojekt in den Startlöchern.“
Technologische Standards wie die Interoperabilität verschiedener DLT-Systeme und die Integration globaler Standards wie ISO 20022 für elektronische Datenübertragung zwischen Finanzinstituten werden an Bedeutung gewinnen. Die Integration von ISO 20022 ist eine technische Notwendigkeit für Interoperabilität und strukturelle Harmonisierung zwischen DLT-Systemen und bestehenden Zahlungsnetzwerken. Das umfasst Datenmapping, Enrichment und Konsistenz über Datenfelder hinweg. Diese Standards sorgen für eine nahtlose Kommunikation und gesteigerte Effizienz.
Für die Weiterentwicklung DLT-basierter digitaler Wertpapiere wird es zum Beispiel entscheidend sein, ob und in welchem Maße die unterschiedlichen Netzwerke kompatibel sind. Middleware-Lösungen leisten hier mit dem Cross-Chain Interoperability Protocol (CCIP) einen wichtigen Beitrag. Sie fungieren als Brücke zwischen verschiedenen Blockchains und traditionellen Bankensystemen und sind der Schlüssel zur Nutzung eines dualen Systems.
Auf dem Gebiet Governance und Compliance erfordert der neue Wholesale-Euro das Zusammenspiel unterschiedlicher Kompetenzen: IT-Architekt:innen müssen robuste, redundante Strukturen entwerfen. Die Systemadministration in Verbindung mit DevOps können Sicherheit, Monitoring, Patch-Management und Ausfallsicherheit sicherstellen. Zusätzlich müssen Rechts- und Compliance-Teams regulatorische Anforderungen wie Settlement-Finality, Bilanzierung oder DSGVO in technische Regeln und Audit-Prozesse übersetzen.
Geschäftsbanken sind eingeladen, sich in den laufenden Prozess einzubringen. Seit dem 15. Juli ruft die EZB Finanzmarktteilnehmer dazu auf, ihre Interessen zur Gestaltung der Short-term-Lösung zu platzieren. Denn jetzt ist die Zeit, in der die Zukunft des Digitalen Euro gestaltet wird. Welche Rolle wollen sie künftig auf dem Markt spielen? Welche neuen Geschäftsfelder erschließen? Von der Teilnahme an weiteren Modellversuchen über Investitionen in die Entwicklung DLT-gestützter Abwicklungssysteme und interoperabler Plattformen bis zur Tokenisierung von Vermögenswerten: Der Digitale Euro hat seinen Startbahnhof verlassen und nimmt Fahrt auf. Wer morgen zu den Innovations- und Marktführern gehören will, sollte auf Tempo setzen – bevor der Anschluss verpasst wird. Jens Siebert und Anne-Sophie Gógl, KPMG Financial Services
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