STRATEGIE20. November 2025

Der Preis der Stabilität: Warum Mainframes Innovation in Banken blockieren

Schwerpunkt: Kernsysteme
Prof. Dr. Alexander Schroff, Financial Services Lead DACH, Publicis Sapient
Prof. Dr. Alexander Schroff, Financial Services Lead DACH, Publicis SapientPublicis Sapient

Deutsche Banken stehen vor einem Dilemma: Ihre stabilsten Systeme sind zugleich ihre größte Innovationsbremse. Der Großteil der IT-Budgets fließt in den Betrieb veralteter Infrastrukturen – mit fatalen Folgen: hohe Kosten, Innovationsstau und steigende Risiken. Eine schrittweise Dekomposition – der sogenannte „Scheibenansatz“ – bietet einen realistischen Weg zu Effizienz und Zukunftsfähigkeit.

von Prof. Dr. Alexander Schroff, Financial Services Lead DACH, & Laurenz Gartzke, Senior Associate Financial Services, Publicis Sapient

Wartung statt Wandel – Die 70-Prozent-Falle

Laurenz Gartzke, Senior Associate Financial Services, Publicis Sapient
Laurenz Gartzke, Senior Associate Financial Services, Publicis SapientPublicis Sapient
Rund 70 Prozent des IT-Budgets deutscher Banken fließen in den Erhalt von Legacy-Systemen. Jahrzehntealte Mainframes mit proprietären Schnittstellen und gewachsenen Datenstrukturen bilden das Rückgrat vieler Institute – und damit ein Risiko. Die monolithische Architektur bindet Fachkräfte an Wartungsaufgaben, während moderne Technologien wie Cloud, KI oder API-Integration schwer einführbar sind. Banken kompensieren fehlende Flexibilität mit komplexen Workarounds – teuer und fehleranfällig. Stabilität wird teuer erkauft:

Der Fokus auf Systemverfügbarkeit führt zu einem Modernisierungsstau, der Innovationsgeschwindigkeit, regulatorische Anpassungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit einschränkt.”

Regulierung trifft Realität – Wenn Sicherheit teuer wird

Mit DORA und neuen Vorgaben zur operativen Resilienz steigt der Druck auf Banken, technologische Transparenz sicherzustellen. Alte Host-Umgebungen lassen sich jedoch kaum in moderne Monitoring- und Security-Prozesse integrieren. So entsteht eine Lücke zwischen regulatorischer Erwartung und technischer Realität.

Legacy-Plattformen erschweren Audits, Sicherheitsprüfungen und Patch-Management. Studien zeigen, dass rund 70 Prozent aller Datenpannen in Unternehmen mit Legacy-Systemen auftreten – bei durchschnittlichen Kosten von 4,2 Millionen Euro pro Vorfall. Regulierung kann jedoch zum Treiber werden: Vorgaben wie DORA zwingen Institute, Prozesse, Architektur und Governance neu zu denken – und schaffen so die Basis für nachhaltige Erneuerung.

Scheibe für Scheibe – Mainframe modular denken

Autor Prof. Dr. Alexander Schroff, Publicis Sapient
Prof. Dr. Alexander Schroff leitet beim Beratungshaus Publicis Sapient (Webseite) die Financial Services Practice DACH. Der promovierte und habilitierte Branchenexperte verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung. Seine Expertise sammelte er während seiner beruflichen Stationen auf Bankenseite in den Bereichen Investment Banking, Treasury und Global Markets sowie als Berater für Transformationsprojekte im Kapitalmarkt- und Handelsumfeld.

Anstatt den „Big Bang“ zu wagen, setzen Banken vermehrt auf eine iterative Transformation. Beim „Scheibenansatz“ werden klar abgegrenzte Mainframe-Funktionen identifiziert und schrittweise durch Cloud-native Services oder Container-Workloads ersetzt. Über APIs und Event-Streaming werden Alt- und Neusysteme integriert, bis der Parallelbetrieb endet.

Diese modulare Modernisierung reduziert Risiken und löst Abhängigkeiten kontrolliert auf. Erfolgsentscheidend sind sauberes Datenfeld-Mapping, automatisierte Tests und agile Steuerung. Jede Scheibe wird zum Lernelement, das Stabilität erhält und zugleich modernisiert. Der Übergang von monolithischen Mainframes zu modularen, Cloud-fähigen Architekturen sollte nicht auf einmal, sondern in Phasen erfolgen – um Risiken zu balancieren und Stabilität zu sichern.

Ohne Kulturwandel scheitert jede Technologie

Technologische Erneuerung allein genügt nicht. Ohne kulturellen Wandel drohen neue Silos statt echter Agilität. Eine nachhaltige Modernisierung verlangt eine Kultur der Innovation, die Lernen, Fehlerakzeptanz und Ownership fördert. Erfolgsfaktoren sind die enge Verzahnung von Fachbereichen und IT, gezielte Talententwicklung und crossfunktionale Teams.

Autor Laurenz Gartzke, Publicis Sapient
Laurenz Gartzke ist Senior Associate bei Publicis Sapient im Bereich Financial Services. Seit 2020 begleitet er Banken und Versicherungen bei Regulatorik- und IT-Transformationsprojekten. Davor sammelte er Projekterfahrung als Managing Consultant bei PwC, Deloitte und BMC Strategy Consultants.

Regulatorische Vorgaben wie DORA fördern diesen Wandel, indem sie Security-by-Design, Automatisierung und Governance verbindlich machen. So wird Regulierung vom Kontrollinstrument zum Innovationsmotor.

Fazit – Vom Legacy-Erbe zur Innovationsplattform

Mainframe-Modernisierung ist kein Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Der „Scheibenansatz“ bietet die Balance zwischen Stabilität, Kosteneffizienz und Agilität. Durch die gezielte Ablösung veralteter Kernsysteme in modularen Etappen senken Banken technische Schulden, stärken Compliance und schaffen Raum für Innovation. Organisationen, die strukturelle, kulturelle und technologische Erneuerung heute angehen, können sowohl Innovation als auch Regulierung in Chancen verwandeln. Die Zukunftsfähigkeit des europäischen Bankensektors hängt davon ab, wie konsequent Institute diesen Wandel gestalten.Prof. Dr. Alexander Schroff, Laurenz Gartzke, Publicis Sapient/dk

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