FINTECH12. Juni 2018

Money20/20 in Amsterdam: Von Angreifern und Kollaborationspartnern

TME / Money20/20 Europe

Einst waren sie die „Disruptoren“ und Angreifer, inzwischen sind FinTechs natürliche Kollaborationspartner von Banken und als solche unverzichtbar. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Money20/20 Europe, des laut Veranstalter größten europäischen FinTech-Events. Das Event fand Anfang Juni erstmals in Amsterdam statt, nachdem es am traditionellen Veranstaltungsort Kopenhagen zu eng geworden war: Mit über 5.000 Besuchern aus 85 Ländern kamen ein Drittel mehr Besucher als letztes Jahr. Sie hörten sich die Vorträge von rund 470 Referenten inklusive dem Top-Star und Apple-Mitgründer Steve Wozniak an.

Insgesamt waren auf der Money20/20 in Amsterdam über 1.500 Unternehmen vertreten. Keiner anderen Veranstaltung in Europa gelingt es so erfolgreich, etablierte Player der Finanzindustrie und FinTechs zusammenzubringen. Und sogar Länder wie Bahrain, Estland oder auch Japan präsentierten sich auf der Money20/20 als FinTech-Hubs.

„FinTechs sind inzwischen ernstzunehmende Player, mit denen Banken zusammenarbeiten, um die Wertschöpfungskette zu verlängern“, hat Stephan Paxmann in Amsterdam beobachtet. Das sei bei diesem Treffen der CEOs, Topmanager und Newcomer aus dem Finanzbereich ganz deutlich geworden, so der Vorstand der TME aus Frankfurt am Main, einer Unternehmensberatung für Financial Services. Mittlerweile würde auch die Versicherungsbranche auf diesen Zug aufspringen. So scheinen im zweiten Quartal 2018 in Deutschland die großen Finanzierungen von Finanz-Startups vor allem im InsurTech-Bereich über die Bühne zu gehen. Paxmann sieht allerdings noch keine Trendwende in der Richtung, dass künftig mehr Geld in InsurTechs als in FinTechs fließen würde.

60 Prozent mehr Venture Capital als im gleichen Zeitraum des Vorjahres

Auf der Money20/20 gab es harte Zahlen zum Venture Capital: Im ersten Quartal 2018 flossen in Europa mit 933 Millionen Dollar 6 Prozent und weltweit mit 5,4 Milliarden Dollar 60 Prozent mehr Geld in FinTechs als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. 63 Investments in Europa standen 323 weltweit gegenüber. Visa gab die Gründung eines 100 Millionen Dollar schweren Venture-Fonds bekannt, über den vor allem in Open-Banking-Startups investiert werden soll. In Europa spielt Speedinvest eine tragende Rolle: Rund 200 Millionen Dollar aufgebrachtes Kapital und 85 Investments in 18 europäischen Ländern belegen das weitergehende Wachstum auf dem FinTech-Markt.

Initial Coin Offerings (ICO) liefern in einem bisher weitgehend unregulierten Umfeld Crowdfunding-Kapital für Kryptowährungen. Die sind neu am Markt, haben aber das Potenzial, eine weitere wichtige Säule der Unternehmensfinanzierung zu bilden.“

Stefan Roßbach, Partner TME

Fokus auf Open Banking und AI

Und wie sieht es inhaltlich aus? Völlig Neues bei der Ausrichtung von FinTechs gebe es nicht, sagen Paxmann und Roßbach. Viele der Trends aus dem letzten Jahr – wie die Plattform-Ökonomie, Artificial Intelligence (AI) oder Blockchain – seien jetzt in einer Phase angelangt, in der operativ an konkreten Lösungen gearbeitet werde. Open Banking und AI waren die meistgenannten Themen auf der Money20/20 Europe, während die diesjährige Money20/20 Asia von Blockchain und Payments dominiert worden war.

Paxmann sieht in Sachen Blockchain eine Suche nach konkreten Anwendungsfällen für Bankkunden, die am Ende auch Ertrag bringen müssen. Solange die nicht gefunden würden, werde sich der Hype von 2017 so nicht wiederholen. Doch die potenziellen Akteure sind vorbereitet. Mastercard etwa hat 60 Blockchain-Projekte initiiert, um zum richtigen Zeitpunkt mit relevanten Lösungen schnell skalierungsfähig zu sein. Sich auf Kunden-Probleme zu fokussieren, sei auch in Sachen AI und Data Analytics das Gebot der Stunde, meint Paxmann. „Einfachheit und Usability sind die Top-Prioritäten.“

Ein Schwerpunkt lag in Amsterdam auf dem Banking für kleine und mittlere Unternehmen (SME). In diesem Segment besteht für viele Banken Handlungsbedarf, da die Kundenakquisitionskosten deutlich höher sind als bei normalen Retailkunden. Auch der Kundenservice wird von SMEs als schwerfällig, intransparent und kostenintensiv wahrgenommen. Gerade FinTechs könnten hier helfen, Basisangebote wie Firmenkonten, Forecasts, Rechnungsstellung-Lösungen, Liquiditätsmanagement und eine schnellere Kreditvergabe mit weniger komplexen Formularen zu ermöglichen, betont Roßbach. Auch in der Digitalisierung von KYC („Know Your Costomer“), Kredit- und Risikochecks bestehe großes Potenzial, Prozesse schlanker und effizienter zu gestalten.

TME / Money20/20 Europe

Weiterhin stark gefragt sind RegTechs. Hier werden Kooperationsmodelle erarbeitet, in deren Rahmen die auf Regulatorik spezialisierten Startups Banken helfen, die zunehmenden und vielschichtigen regulatorischen Anforderungen (PSD2, Mifid2, DSGVO etc.) schnell und effizient zu bewältigen. Der CEO der Metro Bank Craig Donaldson attestierte RegTechs, es Banken zu ermöglichen, regulatorische Themen nahezu in Echtzeit zu bearbeiten und sich damit stärker auf Kundenbelange fokussieren zu können. Vor allem PSD2 sei weiter ein dominierendes Thema, berichtet Roßbach. Ebenso hätten Datenschutz, KYC und Identitätslösungen einen hohen Stellenwert. Allerdings sei gerade der Identity-Markt noch zu stark fragmentiert und es gebe keine klare Lösung, die sich im Sinne der größten Reichweite und Akzeptanz durchsetzen könnte. Dadurch sei das grundsätzliche Thema der Nutzeridentifizierung nach wie vor nicht gelöst und bleibe eine offene Flanke.

Digitale Ökosysteme: Bald mehr als nur Payment-Apps?

Das Thema Ökosysteme wurde im Kontext „Banking as a service“ diskutiert. Da es bei Bankprodukten kaum Unterschiede zwischen den Anbietern gibt, bilden „Add-on Serviceleistungen“ die Grundlage dafür, sich vom Wettbewerb zu abzuheben. Carlos Torres Vila, CEO der BBVA, sieht eine Transformation von Banken als Geldverwalter hin zu Banken als Datenverwalter. Essentiell für den Erfolg sei dafür, dass die Privatsphäre wie ein grundlegendes Menschenrecht behandelt werde. Kunden müssten darauf vertrauen können, dass ihre Daten nur in ihrem Sinne zur Schaffung besserer Personalisierung der Kundenbetreuung und zur Förderung einer besseren Compliance eingesetzt werden.

Im Hinblick auf die bankzentrierten digitalen Ökosysteme sticht noch keine Bank heraus und die Plattform-Entwicklungen werden derzeit noch primär über Payment getrieben. Allerdings zeigte vor allem die ING-Gruppe aus den Niederlanden mit ihrem CEO Ralph Hamers die eigene digitale Plattform-Strategie auf, die auf ein offenes System für Kunden und Anbieter gleichermaßen setzt. Genau zu diesem Zweck werden zielgerichtet weitere FinTech-Kooperationen eingegangen, zuletzt eine Beteiligung an Fincompare aus Berlin. In Asien setzt Alipay seinen Weg mit der „Super Lifestyle App“ fort, die sich klar von reinen Payment-Apps abhebt. Die inzwischen mehr als 870 Millionen aktiven Nutzer können mit der App weit mehr als ihre Einkäufe bezahlen, nämlich auch Restaurants und Transportmöglichkeiten suchen, Tickets erwerben und Freunde finden.

Digitaler Wandel geht nicht ohne die Bereitschaft der Organisation

Neben den inhaltlichen Schwerpunkten sahen Paxmann und Roßbach intensive Diskussionen über Change-Prozesse und HR-Transformation in Zusammenhang mit der Digitalisierung. Technologie sei heute dank zunehmender Performance, offener Schnittstellen und Cloud Computing kein limitierender Faktor mehr. Entscheidend dafür, ob wirklich digitalisiert und Dinge angepackt werden, seien die Haltung und der Wille zur Veränderung bei Mitarbeitern und der gesamten Organisation. Der Grad der Digital Readiness der Mitarbeiter ist für die TME ausschlaggebend dafür, ob man künftig als Bank oder FinTech bzw. Finanzdienstleiter bestehen könne.

Gefragt nach besonders innovativen oder dynamischen FinTechs möchten Paxmann und Roßbach aus der Vielzahl der in Amsterdam vertreten Startups keine Unternehmen herausheben. Sehr spannend sei aber, was sich in Asien tue. So ist Tencent (WeChat) mittlerweile, was die Marktkapitalisierung betrifft, mit rund 530 Milliarden Dollar größer als Facebook und fast ebenso groß wie Amazon. Weltweit gibt es eine Million Händler, die WeChat Payments akzeptieren. Von der Hälfte der mittlerweile eine Milliarde aktiven Nutzern pro Monat wird die App ca. 90 Minuten pro Tag genutzt. Wie auch Alipay drängt WeChat engagiert auf den europäischen Markt.tw

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert