Technologische Resilienz: Abhängigkeiten, Quantenrisiken und die Rolle von Krypto-Assets

Gabi Gerster / Bundesbank
Aus Sicht der Bundesbank entsteht hier ein Risiko, das weniger operationell als strategisch ist. Abhängigkeiten dieser Größenordnung können nicht allein durch Regulierung adressiert werden. Entscheidend sei ein systematisches Abhängigkeitsmanagement, das entlang des gesamten IT-Stacks bewertet, welche Komponenten substituierbar sind, wo Redundanzen geschaffen werden müssen und an welchen Stellen Europa gezielt eigene Kompetenzen aufbauen sollte. Die Bundesbank habe dazu den eigenen IT-Bestand analysiert und prüfe nicht nur technische, sondern auch geopolitische Implikationen. Digitale Souveränität sei kein Zustand, sondern ein Prozess, der laufend neu bewertet werden müsse.
Gleichzeitig ist klar, dass wir digitale Souveränität nicht kurzfristig erreichen können. Vielmehr geht es darum, bewusste Entscheidungen darüber zu treffen, an welchen Stellen wir diese auch mittel- und langfristig akzeptieren und an welchen Stellen wir an Alternativen arbeiten.“
Fritzi Köhler-Geib, Vorständin Deutsche Bundesbank
Quantencomputing als Paradigmenwechsel
Besonders klar wurde Köhler-Geib bei der Einordnung des Quantencomputings. Der häufig erwähnte „Q-Day“, an dem Quantenrechner aktuelle Verschlüsselungsstandards brechen können, sei näher, als lange angenommen wurde. Dieser Übergang werde nicht schrittweise, sondern abrupt verlaufen. Sobald ein ausreichend leistungsfähiger Quantencomputer existiert, verlieren etablierte kryptografische Verfahren schlagartig ihre Wirksamkeit.
Die Bundesbank treibt daher Forschung an quantensicheren Verfahren voran und hat 2025 ein Patent im Bereich der Quantenverschlüsselung angemeldet. Damit zeigt sie, dass technologische Grundlagenforschung längst zu einer Frage der Finanzstabilität geworden ist. IT-Architekturen von Banken, Behörden und Finanzmarktinfrastrukturen müssten frühzeitig an Post-Quantum-Standards angepasst werden. Ein verspäteter Umstieg würde nicht nur Cyberrisiken erhöhen, sondern könnte auch finanzielle Infrastrukturen destabilisieren, deren Sicherheit auf kryptografischer Integrität beruht.
NBFIs und technologische Transmission
Darüber hinaus ging Köhler-Geib auf die wachsende Bedeutung von Nichtbank-Finanzintermediären ein. NBFIs sind heute in ihrer Gesamtheit so groß wie der traditionelle Bankensektor, agieren jedoch mit deutlich heterogeneren Geschäftsmodellen. Ihre Reaktion auf geldpolitische Impulse unterscheidet sich erheblich vom Bankensektor. Eine neue Analyse der Bundesbank zeigt, dass insbesondere Fonds, die bereits zuvor unter Mittelabflüssen litten, stark auf Zinsänderungen reagieren und damit eine erhöhte Fragilität aufweisen.
Die technologische Dimension dieser Entwicklung ist zentral. NBFIs nutzen zunehmend weltweit vernetzte Plattformen, Echtzeit-Dateninfrastrukturen und algorithmische Entscheidungsmodelle. Damit beschleunigt sich die geldpolitische Transmission auf manchen Kanälen, während sie auf anderen deutlich asymmetrischer wird. Die Interaktion zwischen technischer Marktarchitektur und finanziellem Verhalten rückt damit stärker in den Fokus der Aufsicht.
Krypto-Assets als unterschätzter Stabilitätsfaktor
Besonders ausführlich widmete sich Köhler-Geib den Entwicklungen im Bereich der Krypto-Assets. Die Marktdynamik der vergangenen Jahre habe ein paralleles Finanzökosystem entstehen lassen, das zunehmend direkt mit realwirtschaftlichen Märkten verknüpft ist. Stablecoins nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Ihre Marktkapitalisierung liegt inzwischen bei mehreren hundert Milliarden US-Dollar, und viele dieser Coins sind durch kurzfristige US-Staatsanleihen gedeckt. Dadurch entsteht eine direkte Verbindung zwischen Krypto-Liquidität und traditionellen Anleihemärkten.
Aufgrund der steigenden Bedeutung von Krypto-Assets und Stablecoins müssen wir die Auswirkungen auf die Finanzstabilität und geldpolitische Transmission noch besser verstehen und bauen unsere Forschung in diesem Bereich weiter aus.“
Fritzi Köhler-Geib, Vorständin Deutsche Bundesbank
Diese Verbindung birgt systemische Risiken. Ein signifikanter Abfluss aus einem großen Stablecoin könnte zu abrupten Verkäufen von sicheren Assets führen, Marktvolatilität erhöhen und Liquiditätspools belasten. Der Mechanismus eines möglichen Runs unterscheidet sich dabei nicht grundlegend von klassischen Finanzmarktdynamiken, wird aber durch die 24/7-Handelbarkeit digitaler Assets beschleunigt. Die Bundesbank sieht in dieser Entwicklung ein Risiko, das über den enger gefassten Kryptomarkt hinausreicht und die Interaktion zwischen digitaler Marktarchitektur und makroökonomischer Stabilität neu definiert.
Köhler-Geib machte deutlich, dass die bisherige Betrachtung von Krypto-Assets als isolierter Markt nicht mehr zeitgemäß sei. Die Verzahnung mit traditionellen Vermögenswerten erfordere eine Neubewertung der geldpolitischen Transmission sowie der Stabilitätsmechanismen in einem zunehmend hybriden Finanzsystem.
Der digitale Euro als strategische Antwort

Dalli-E
Vor diesem Hintergrund ordnete Köhler-Geib die Arbeiten am digitalen Euro ein. Eine digitale Form von Zentralbankgeld sei kein technisches Experiment, sondern eine notwendige Weiterentwicklung europäischer Finanzinfrastruktur. Sie könne zugleich Effizienzgewinne bieten, geopolitische Abhängigkeiten reduzieren und die Rolle des Euro als internationale Währung stärken. Ein Wholesale-CBDC würde den Finanzmarktakteuren zudem eine moderne Infrastruktur bereitstellen, in der Wertpapierabwicklung, Liquiditätsbereitstellung und Zahlungsverkehr in integrierter Form ablaufen könnten.
Die Forschungsagenda „Future of Finance“ solle darüber hinaus sicherstellen, dass die Bundesbank die technologischen Entwicklungen nicht nur beobachtet, sondern aktiv bewertet und mitgestaltet. Resilienz bedeute in diesem Kontext, technologische Veränderungen frühzeitig zu erkennen und in robuste institutionelle Strukturen zu übersetzen.
Köhler-Geib machte deutlich, dass Resilienz zunehmend durch technologische Kompetenz definiert wird. Digitale Abhängigkeiten, quantensichere Kryptografie, algorithmische Finanzmärkte und die Integration von Krypto-Assets in globale Liquiditätssysteme sind keine Randthemen mehr, sondern bestimmen die Stabilität des europäischen Finanzsystems. Wer diese Entwicklungen nicht rechtzeitig adaptiert, riskiert strukturelle Verwundbarkeit. Ihre Botschaft war eindeutig: Resilienz ist kein Zustand, sondern eine technologisch getriebene Daueraufgabe, die Europa aktiv gestalten muss. – Die vollständige Rede finden Sie hier.tw
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