SB & FILIALE31. Juli 2025

Warum Digitalbanken jetzt die vermögenden Kunden als Zielgruppe entdecken

Reeve AI

Von disruptiven FinTechs, die den Zahlungsverkehr aufmischen, bis hin zu Neo-Brokern, die Wertpapierhandel demokratisieren – in vielen Bereichen des Finanzwesens ist die digitale Transformation längst Realität. Nur ein Sektor schien bis vor Kurzem immun gegen diesen Wandel: das Private Banking. Doch nun zeichnen sich tiefgreifende Veränderungen ab. Europas größte Neobank Revolut etwa plant dem Vernehmen nach gezielt den Einstieg in das Geschäft mit vermögenden Privatkunden. In Großbritannien laufen bereits entsprechende Entwicklungen und auch in Deutschland werden Private-Banking-Spezialisten gesucht. Ein Indiz dafür, dass sich etwas verschiebt – möglicherweise grundlegend.

Zwar haben sich FinTechs in den vergangenen zehn Jahren auch dem Thema Private Banking angenommen“, erklärt Hartmut Giesen, Business-Development-Experte der Hamburger Sutor Bank. „Doch trotz der Digitalisierung von Einzelleistungen oder -produkten, etwa durch Robo Advisor, blieb der große Umbruch bislang aus.“ Das liegt nicht zuletzt an der Komplexität klassischer Private-Banking-Dienstleistungen: individuelle Betreuung, komplexe Finanzierungen, strukturierte Vermögensverwaltung, Immobilienberatung oder Zugang zu Private Equity – das alles ist schwer standardisierbar, schwer skalierbar und bislang nur bedingt digital abbildbar.

Von ein wenig vermögend bis superreich

Vermögende Zielgruppen sind dabei ein eher diffuser Begriff, denn angefangen bei den Mass Affluents, jenen Kunden über 100.000 Euro Vermögen über die Affluents, die zwischen 250.000 Euro und einer Million auf der hohen Kante haben, reicht dies bis zu High Net Worth Individuals oberhalb der Millionengrenze – und schließlich den Ultra High Net Worth Individuals oberhalb der 30 Millionen-Euro-Vermögensgrenze. Dabei sind, so berichten Bankenvertreter, vor allem die Affluents interessant, da sie für die Banken das optimale Verhältnis zwischen Umsatz und Marge und Beratung auf der anderen Seite versprechen. Will sagen: Die noch vermögenderen Kunden sind auch deutlich anspruchsvoller und erwarten sich intensivere Beratung und individuellere Konzepte. Diese Hürden scheinen sich nun allerdings aufzulösen. Denn der technologische Fortschritt, das zunehmende Vertrauen vermögender Kunden in digitale Lösungen und die Innovationskraft neuer Anbieter bringen frischen Wind in das angestaubte Segment.

Revolut steht mit diesem Trend indes nicht allein. Eine neue Generation von FinTechs macht sich daran, Private Banking neu zu definieren. Dabei geht es weniger um vollautomatisierte Lösungen als um hybride Modelle: klassische Betreuung durch Experten wird kombiniert mit leistungsfähiger Wealth-Tech-Infrastruktur. Giesen spricht in diesem Zusammenhang von der „Fintech-isierung des Private Bankings“, die nun mit einiger Verzögerung tatsächlich an Fahrt gewinnt.

Beispiele für diese Entwicklung finden sich in ganz Europa. Das deutsche FinTech NAO etwa stellt alternative Investments wie Private Equity, Hedgefonds oder Infrastrukturbeteiligungen digital zur Verfügung – bislang Domänen klassischer Privatbanken. Froots aus Österreich kombiniert eine digitalisierte Vermögensverwaltung mit persönlichem Service, während das französische RockFi auf ein Plattformmodell mit eingebundenen Finanzberatern und automatisierten Prozessen setzt. Auch die britischen Anbieter Sidekick und Monument verfolgen hybride Ansätze, die klassische Private-Banking-Elemente mit digitaler Effizienz verbinden.

Banking als Türöffner – eine Strategie mit Potenzial

Was Revoluts Ansatz besonders macht: Das Unternehmen startet nicht bei Investmentlösungen, sondern bei der Bankverbindung selbst – mit Konto, Karte und App. Dieser „Banking-first“-Ansatz könnte sich als entscheidender Wettbewerbsvorteil herausstellen, meint Giesen:

Hartmut Giesen, FinTech Business Development Sutor BankSutor Bnak

Das liegt unter anderem daran, dass es dort weniger Möglichkeiten gibt, um Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln. Wer allerdings bereits eine breite Kundenbasis hat, kann darauf gezielt Private-Banking-Dienste aufsetzen.“

Hartmut Giesen, Business-Development-Experte, Sutor Bank

Ein ähnliches Modell verfolgt Alpian aus der Schweiz. Das FinTech spricht gezielt Affluent-Kunden an, also Personen mit überdurchschnittlichem, aber nicht unbedingt institutionellem Vermögen. Das Angebot umfasst exklusive Karten, Vermögensverwaltung, Spar- und Anlageprodukte – eingebettet in eine hochwertige App-Erfahrung. Alpian ist damit eines der ersten FinTechs, das nicht nur Teile des Private Bankings digitalisiert, sondern gezielt ein vollumfängliches digitales Private-Banking-Erlebnis aufbauen will.

Der KI-Effekt: Private Banking als datengetriebene Dienstleistung

Ein zentraler Hebel für die neue Dynamik im Markt ist Künstliche Intelligenz. Giesen ist überzeugt: „KI kann wesentliche Teile des Private Bankings digitalisieren – in der Vermögensberatung, in der Kundenkommunikation, sogar bei der persönlichen Assistenz.“ Der Trend gehe in Richtung einer „Self-Service-Privatbank“, bei der KI-Assistenten einen Großteil der Dienstleistungen übernehmen – ohne gänzlich auf menschliche Expertise zu verzichten. Damit verändert sich nicht nur das Geschäftsmodell, sondern auch die Skalierbarkeit. Während ein klassischer Private Banker nur eine begrenzte Zahl an Kunden betreuen kann, ermöglichen KI-gestützte Prozesse eine deutlich höhere Reichweite bei gleichbleibender oder gar verbesserter Servicequalität. Für Giesen ist klar: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste ‚KI-First-Privatbank‘ erscheint.“

Im Hintergrund fließen derweil große Summen in entsprechende Startups. Laut Medienberichten investieren Kapitalgeber derzeit Rekordsummen in FinTechs, die sich auf Private Banking konzentrieren – ein Markt, der weltweit auf ein Volumen von über 500 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Dabei setzen Investoren zunehmend auf Unternehmen, die sich von spezialisierten Lösungen in Richtung umfassender Private-Banking-Plattformen weiterentwickeln können. Die große Frage ist: Wer setzt sich durch – FinTechs mit Banking-Background wie Revolut oder Alpian? Oder Anbieter, die aus der Investmentperspektive kommen und schrittweise ein Private-Banking-Angebot aufbauen?

Giesen erwartet letztlich ein Modell, das sich auch in anderen Expertenbranchen wie Medizin oder Strategieberatung etabliert hat:

Der größte Kundennutzen liegt in einer Kombination aus KI-Assistenten im Self-Service-Modus und menschlichen Experten, deren Arbeit stark von KI unterstützt wird. Wer diese Komponenten am besten integriert, wird im digitalen Private Banking das Rennen machen.“

Hartmut Giesen, Business-Development-Experte, Sutor Bank

Das Private Banking erlebt derzeit, was andere Bereiche des Finanzwesens schon hinter sich haben: eine tektonische Verschiebung, getrieben von Technologie, neuen Kundenbedürfnissen und einem veränderten Selbstverständnis der Anbieter, beginnt sich das jahrzehntealte Geschäftsmodell neu zu formieren. Ob dabei neue Marktführer entstehen – oder etablierte Banken mitziehen können – ist offen. Sicher ist nur: Das Spielfeld ist neu abgesteckt, und der Anstoß ist erfolgt.tw

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