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FINTECH-KRITIK20. April 2015

Kritik an der FinTech-Euphorie: Wenn der Einzelfall zur Regel erhoben wird

hussainkin/bigstock.com
hussainkin/bigstock.com

Angesichts der Euphorie, die von dem Begriff FinTech momentan ausgeht, kann es nicht schaden, wenn jemand mal ein wenig auf die Bremse tritt und das Phänomen aus der Sicht der Praxis beschreibt, wie Martin Weigert in Trotz FinTech-Euphorie: Sobald Geld Grenzen überquert, ist alles wie im letzten Jahrhundert [Kolumne].

von Ralf Keuper, Blogger und Kolumnist

In bester Forschungstradition hat Martin Weigert seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen in den USA zum Anlass genommen, das Thema (grenzüberschreitender) bargeldloser Zahlungsverkehr und Mobile Payments, einer kritischen Würdigung zu unterziehen. 

Die Beispiele, die er bringt, wirken überzeugend. Jeder, der sich in einer ähnlichen Situation wie Martin befindet, dürfte die gleichen Erfahrungen machen. 

Nur – kann man aus diesem Einzelfall, oder einer Summe von Einzelfällen, auf das Versagen des Systems schließen? Das wäre ein Beispiel für klassischen Induktivismus, d.h. das Schließen vom Einzelfall auf das Ganze. Karl Popper hat sich mit den Defiziten des Induktivismus in seinen Schriften unzählige Male auseinandergesetzt. Zusammengenommen gipfeln sie in der inzwischen bekannten Parabel vom Schwarzen Schwan

Gehen wir die Sache vom entgegengesetzten Ansatz – der Deduktion an, d.h. dem Schließen vom Ganzen auf seine Einzelteile.

Die USA sind, was die Verbreitung mobiler Bezahlmethoden betrifft, weit hinter Deutschland und anderen europäischen Ländern. Dieser Befund ist nicht neu, wie ein Blick in die Beiträge There’s plenty of bank technology innovation—over there und Mobile Payments: USA auf der Suche nach dem Anschluss zeigen. Im Gegensatz zu den USA ist die Lage im Nachbarland Kanada fast umgekehrt. Dort akzeptieren bereits 75 Prozent der großen kanadischen Einzelhändler das kontaktlose Bezahlen. Nicht umsonst plant Apple den Start des internationalen Roll Out von Apple Pay in Kanada. Im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr sorgen Anbieter wie Transferwise, Xendpay und Kantox für kostengünstige bargeldlose Transaktionen. Und auch der facebook-messenger könnte hier für Erleichterungen sorgen, vor allem dann, wenn es sich mit einem Anbieter wie Ripple verbünden sollte. Wenn sich die internationale Zahlungsverkehrsinfrastruktur tatsächlich in einem so schlechten Zustand befinden sollte, dann wäre der internationale Handel schon längst zum Erliegen gekommen. Große Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen mit hohem Exportanteil, könnten kein effektives Cash-Management betreiben. 

In Afrika und weiten Teilen (Südost-) Asiens ist die Verbreitung des bargeldlosen, mobilen Bezahlens ebenfalls schon sehr weit fortgeschritten. Und auch in den USA befinden sich Bargeld und Schecks auf dem Rückzug. 

Sicher: Bis das die internationale Zahlungsverkehrinfrastruktur dem Ideal entspricht, das vielen FinTech-Startups vorzuschweben scheint, wird es noch dauern. Bis dahin werden wir auf vielen Gebieten relativ rasch deutliche Verbesserungen sehen – die Prognose wage ich. Viele Versprechen einiger FinTech-Startups werden sich nicht einlösen – diese Prognose wage ich ebenfalls. 

Kein Grund also vom Hype ins Gegenteil umzuschlagen.rk

Ralf Keuper (Bank-, Diplomkaufmann und FinTech-Experte)
Blog-Autor Ralf Keuper ist Bank- und Diplomkaufmann. Bild: Xing
Ralf Keuper

Ralf Keuper ist Bank- und Diplomkaufmann und seit rund 15 Jahren in verschiedenen Positionen beratend im Bankenumfeld tätig. Er gehört zudem mit seinem Blog bankstil zu den Top10-Bloggern im FinTech-Bereich und berät Banken bei der digitalen Transformation sowie  FinTech-Startups bei ihrem Markteintritt. Keuper hat unter anderem als Senior Consultant Banking bei der COR&FJA AG und Senior Consultant Banking & Financing bei Steria Mummert Consulting AG gearbeitet.

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