STRATEGIE3. Dezember 2025

Wenn die Banking-Cloud streikt: Warum die Alleskönner-Infrastruktur anfälliger ist als versprochen

Bigstock

Cloudlösungen gelten in der Finanzbranche als das Fundament moderner Digitalisierung. Banken, Paymentdienstleister, Versicherer, FinTechs und Kapitalmarktakteure verlassen sich auf sie, um Anwendungen flexibel zu skalieren, Transaktionen zuverlässig abzuwickeln und Security-Standards einzuhalten, die mit reiner On-Premise-Technik kaum erreichbar wären. Das Versprechen ist eindeutig: mehr Sicherheit, mehr Effizienz, mehr Resilienz. Doch immer wieder zeigen großflächige Störungen, zuletzt etwa beim weltweit eingesetzten Sicherheits- und Routinganbieter Cloudflare oder vor einigen Wochen bei der AWS-Cloud, wie fragil diese Strukturen trotz ihrer scheinbaren Stärke sind.

Gerade in der Finanzwelt, in der Sekundenbruchteile über erfolgreiche Zahlungen und Kreditkartentransaktionen entscheiden, sind solche Ausfälle ein massives Risiko. Und sie werfen eine Frage auf, die viele Verantwortliche irritiert: Warum sind Banken oder Paymentprovider in Deutschland betroffen, wenn eine Störung tausende Kilometer entfernt in den USA entsteht, obwohl ihre Systeme doch in europäischen oder gar deutschen Cloud-Regionen betrieben werden?

Der Kern des Problems liegt in der Architektur moderner Cloudplattformen. Auch wenn Daten physisch in Frankfurt oder Berlin liegen, werden zentrale Steuerungsprozesse global orchestriert. Identitäts- und Berechtigungssysteme, API-Gateways, Zertifikatsdienste, DNS-Auflösungen und Routingentscheidungen liegen selten in der Region, in der bankfachliche Systeme betrieben werden. Sie werden über globale Control Planes gesteuert, deren Ausfall – egal an welchem Standort – unmittelbare Auswirkungen auf die Erreichbarkeit lokaler Dienste hat. Ein digitales Kernbankensystem kann in Deutschland weiterlaufen, doch ohne funktionierende Authentifizierung oder Routing ist es schlicht nicht mehr erreichbar.

Für Paymentanbieter verschärft sich dieser Effekt. Der Zugriff auf APIs, die Abwicklung von Kreditkartentransaktionen, die Validierung von 3-D-Secure oder die Kommunikation mit Schemes wie Mastercard oder Visa hängt naturgemäß an globalen Netzwerken. Ein Ausfall eines zentralen Knotens führt zu Verzögerungen, Timeouts oder kompletten Unterbrechungen, selbst wenn das eigentliche Rechenzentrum stabil bleibt.

Cloudanbieter arbeiten bewusst global – und damit anfällig

Cloudplattformen sind darauf ausgelegt, weltweit einheitlich zu funktionieren. Sie replizieren Konfigurationen über Kontinente hinweg, synchronisieren Routingtabellen und Sicherheitsregeln und halten Metadaten überall konsistent. Diese globale Kohärenz ist der Schlüssel für Leistungsfähigkeit und Effizienz. Doch sie erzeugt ein strukturelles Risiko. Ein Fehler in einer zentralen Konfiguration kann innerhalb von Minuten zum globalen Problem werden.

Zudem greifen automatische Self-Healing-Mechanismen und Lastverteilungslogiken, die unter normalen Bedingungen Stabilität erzeugen, in Störsituationen teilweise kontraproduktiv ein.

Eine Fehlentscheidung im Traffic-Management kann sich global multiplizieren und auch Regionen erfassen, die vom ursprünglichen Fehler nicht betroffen waren. Die Komplexität der Automatisierung wird damit selbst zum Risikofaktor.

Warum Finanzdienstleister besonders betroffen sind

Banken, Versicherer und Paymentprovider sind stärker in globale Abhängigkeiten eingebettet als andere Branchen. Selbst wenn regulatorisch gefordert wird, dass sensible Kundendaten das europäische Hoheitsgebiet nicht verlassen, gilt das nur für die Daten – nicht für die Infrastruktur, die sie erreichbar macht.

Symolisierung einer Cloud-Infrastruktur
KI, DALL-E

Viele Vorgänge in der Finanzwelt basieren auf internationalen Prozessen. Kartenautorisierungen bewegen sich zwangsläufig durch globale Netzwerke. Fraud-Detection-Systeme nutzen Machine-Learning-Modelle, die auf global aggregierten Daten trainiert und oft in internationalen Clustern betrieben werden. Mobile Banking setzt auf Push-Dienste von Apple und Google, die ebenfalls global verteilt sind. Open-Banking-Schnittstellen greifen auf API-Management-Plattformen zu, die nicht regional isoliert sind. Selbst Authentifizierungs- und Identitätslösungen der Hyperscaler sind selten regional gekapselt. Für den Endnutzer in Deutschland mag das Backend in Frankfurt stehen. Doch die erste Anfrage seiner Mobile App kann über Gateways in Amsterdam, London oder Ashburn laufen.

Was die Cloud robust macht, macht sie aber gleichzeitig verletzlich. Sie gleicht Lasten über den gesamten Planeten aus, wehrt Angriffe global ab und bietet universelle Schnittstellen für Milliarden von Anfragen. Doch je stärker diese Infrastruktur zentralisiert und automatisiert wird, desto größer werden die systemischen Risiken. Ein Fehler im globalen Backbone von Cloudflare oder AWS kann sämtliche Sicherungsmechanismen überfordern und weltweit Dienste unzugänglich machen. Dieses Paradox trifft Finanzdienstleister in besonderem Maße, weil ihre Anwendungen in Echtzeit funktionieren müssen und ein kurzzeitiger Verbindungsabbruch oft massive betriebswirtschaftliche Folgen hat.

Der Wunsch nach lokaler Cloud-Souveränität – und die Realität

Regulierung und Brancheninitiativen fordern zunehmend europäische Alternativen und unabhängige Architekturen. Doch die großen Hyperscaler bieten eine Funktionstiefe und Ökosystemintegration, die sich technisch kaum vollständig regional replizieren lässt. Projekte wie Gaia-X setzen Impulse, doch sie ändern nicht die Grundstruktur der globalen Cloud. Europäische Finanzdienstleister sind daher gezwungen, mit dieser globalen Architektur zu leben und die Risiken aktiv zu managen, statt auf vollständige Abschottung zu setzen.

Der jüngste Ausfall war kein Sonderfall. Er war ein Symptom der grundlegenden Architektur moderner Cloudsysteme. Die Frage ist nicht, ob globale Störungen auftreten, sondern wann und in welchem Umfang. Für die Finanzbranche bedeutet das, dass Resilienz über reine Standortentscheidungen hinausgeht. Es braucht ein tiefes Verständnis der eigenen Abhängigkeiten – technischer, regulatorischer und organisatorischer Natur. Nur wer weiß, welche Dienste tatsächlich global sind und welche Komponenten zwingend lokal autonom funktionieren müssen, kann tragfähige Strategien entwickeln.

Die Cloud bleibt ein unverzichtbares Werkzeug der Finanz-IT. Doch sie ist ein Werkzeug, dessen globale Natur bewusst gestaltet und abgesichert werden muss. Nur dann kann sie ihr Versprechen einlösen: verlässliche, sichere und skalierbare digitale Services – auch in einer zunehmend vernetzten und störanfälligen Welt.

Unternehmen können davon profitieren, wenn sie einerseits die Vorteile nutzen, sich andererseits aber der Abhängigkeiten und möglichen Ausfallrisiken bewusst sind. Sinnvoll ist deshalb in vielen Fällen eine hybride Strategie, die kritische Dienste redundant aufbaut, alternative Pfade vorsieht und auch klassische Edge- oder On-Premise-Komponenten nicht vollständig verdrängt. Übrigens ist auch das eine zentrale Frage, wenn’s um das Thema der digitalen Souveränität geht: Wie abhängig ist Deutschland von zentralen IT-Diensten weltweit und wie lassen sich Alternativen entwickeln, die technologisch und wirtschaftlich vernünftig sind.tw

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