ANWENDUNG26. Juli 2023

WorldCoin nimmt die Zukunft der Finanzbranche in den Blick

Nach dem Wirbel, den der KI-Textroboter ChatGPT ausgelöst hatte, nimmt OpenAI-Gründer Sam Altman nun das Finanzwesen und die Problematik der sicheren Identifizierung ins Visier. Biometrie, Kryptografie und Künstliche Intelligenz kommen im Projekt WorldCoin zusammen. Das ruft auch Kritiker auf den Plan.

Ein Irisscanner und eine darauf basierende digitale ID sollen sichere Identifizierung und Privatsphäre auf eine neue Basis stellen. <Q>WorldCoin
Ein Irisscanner und eine darauf basierende digitale ID sollen sichere Identifizierung und Privatsphäre auf eine neue Basis stellen. WorldCoin

 

Die Versprechen, mit denen die WorldCoin-Manager vor zwei Tagen den Start der eigenen Krypto-Währung begleiteten, klingen beinahe fantastisch: Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie staatliche Hilfe, Finanzdienstleistungen und Gesundheitsversorgung für 4,4 Milliarden Menschen, die davon bislang weitgehend ausgeschlossen waren, eine quasi absolut sichere Identifizierung, mit der sich Menschen zum einen von Maschinen unterscheiden lassen, die andererseits aber auch höchste Standards der Privatsphäre achtet, nicht zuletzt sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein Beitrag zu globalen demokratischen Prozessen – das alles will WorldCoin (Website) ermöglichen.

Das WorldCoin-Universum

Das wohl – im wahrsten Sinne des Wortes – augenfälligste Element der WorldCoin-Produktpalette ist ein Iris-Scanner namens „Orb“, eine silberglänzende Metallkugel. Auf diesem baut die World ID auf, eine digitale Identität, die laut den Entwicklern zur Lösung wichtiger identitätsbezogener Probleme beitragen soll.

Das zweite Element ist das Worldcoin-Token (WLD), deren Vertrieb über Kryptobörsen vor zwei Tagen gestartet wurde. Aus regulatorischen Gründen ist WLD übrigens nicht an Börsen in den USA erhältlich. Laut Konzept sollen Menschen – als „individuelle Personen“ – die sich an WorldCoin beteiligen, regelmäßig kostenlos weitere Token erhalten. Zudem sollen die Transaktionen mit WorldCoin kostenlos bleiben. Wie sich das System und die Teilnehmer dann finanzieren sollen, bleibt bislang offen.

Dies wäre im Prinzip ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), ist aber aufgrund der geringen Menge nicht relevant. Jeder User kann pro Woche ein kostenloses Token beanspruchen, was nach derzeitigem Börsenkurs einem Wert von weniger als 10 Euro pro Monat entspricht. Gründer Sam Altman sieht eine Welt, die auf BGE basiert, noch in weiter Ferne. Man wolle aber schon heute entsprechende Tests durchführen und die technische Grundlage dafür schaffen, so die Begründung für diesen Aspekt seines Konzepts.

Dritter im Bunde ist die nun ebenfalls gestartete World App, die von Tools for Humanity (Website) entwickelt und betrieben wird und Zahlungen, Käufe und Überweisungen weltweit mit digitalen Vermögenswerten und Fiat-gesicherten Stablecoins ermöglichen werde, „von Mensch zu Mensch“, ohne Mittelsmänner, so die Ankündigung. Langfristig könnten auch Dritthersteller Apps anbieten, die auf WorldCoin aufsetzen.

Bezug nach Deutschland

Zwei der führenden Köpfe beim WorldCoin-Projekt: Alexander Blanial (l.), CEO von Tools for Humanity und Sam Altman, bekannt als OpenAI-Gründer. <Q>WorldCoin
Zwei der führenden Köpfe beim WorldCoin-Projekt: Alexander Blanial (l.), CEO von Tools for Humanity und Sam Altman, bekannt als OpenAI-Gründer. WorldCoin

Das Unternehmen Tools for Humanity (TFH) hat seinen Sitz in Erlangen. Ursprünglich am Zentrum für Medizinische Physik und Technik (ZMPT) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) gegründet, ist es inzwischen in einen Gewerbepark umgezogen und mit mehr Eigenkapital ausgestattet. Geschäftsführer ist Alexander Blania, der neben Sam Altman und Max Novendstern zu den Mitbegründern des vor drei Jahren gestarteten Worldcoin-Projekts zählt.

In Erlangen wurde der Orb entwickelt, gebaut wird er in einem anderen europäischen Land. Die Software-Entwicklung soll aber weiterhin in der fränkischen Universitätsstadt beheimatet sein. Der TFH-CEO baut derzeit in Berlin einen zweiten Standort für das Unternehmen auf, das von hier aus die europäische Expansion vorantreiben soll.

Die Grundlagen

Aus den Daten der gescannten Iris wird noch im Orb-Scanner ein Hashwert gebildet, der als einzigartige ID fungieren soll. Diese soll künftig als alleiniger Identitätsnachweis dienen können. Weder persönliche Daten wie Name, Telefonnummer, E-Mail- oder Post-Adresse seien dann noch notwendig, ebensowenig Passwörter oder PINs. Man könne sich dann einfach per Iris-Scan ausweisen und mit seiner zugehörigen Wallet bezahlen, so eine Vision der WordCoin-Gründer.

Die ID sei auch insofern einzigartig, als sich eine Person eben nur einmalig mit seiner Iris registrieren könne. Und nicht zuletzt könne so für künftige Services und Transaktionen sichergestellt werden, dass es sich eben wirklich um einen echten Menschen handelt, der mit dem System interagiert, und beispielsweise nicht um einen digitalen Bot. Damit würden viele der heutigen Probleme im Web3-Universum hinfällig, sind sich die WorldCoin-Macher sicher.

Das WorldCoin-Token basiert auf Optimism, einer Layer2-Lösung für Ethereum. Die Gesamtumlaufmenge ist auf 10 Mrd. Token festgesetzt. Beim Launch an diesem Wochenende wurden 143 Millionen Tokens in den Handel gebracht, davon 100 Millionen an Marketmakers und 43 Millionen an Nutzerinnen und Nutzer. Langfristig sollen drei Viertel der Tokens der Community zur Verfügung stehen, knapp 10 Prozent verbleiben bei den Gründern und Entwicklern, weitere 13,5 Prozent sind den Investoren vorbehalten.

Kritik am Gesamtkonzept

Die Idee, biometrische Daten zur Identifizierung zu verwenden, ist nicht neu. So wird beispielsweise bei neueren Ausweispapieren häufig ein Fingerabdruckscan integriert. Schon hier gab es grundsätzliche Kritik von Datenschützern, die sich grundsätzlich gegen eine solche Idee stemmen. Denn da es sich um potenziell unveränderliche Merkmale handelt, können diese nicht zurückgenommen oder gesperrt werden, wenn sie Unbefugten in die Finger fallen und missbräuchlich verwendet werden.

Es gibt jedoch auch konkrete Vorwürfe gegen WorldCoin. Das Unternehmen setzt beim Generieren des Hash-Wertes auf KI, genauer: ein neuronales Netz. Dieses Netz musste zunächst mit genügend Trainingsdaten versorgt werden. Dazu sammelte das Unternehmen rund 500.000 Scans, viele davon in Entwicklungsländern, wo die gescannten Menschen zum Teil nicht oder nicht ausreichend über die Verwendung der Daten aufgeklärt worden sein sollen. Zudem seien mehr persönliche Daten als nötig erhoben worden.

TFH-CEO Blania verwies auf die Verantwortung von Subunternehmern, die man beauftragt hatte. Letztlich handele es sich nur um Anlaufschwierigkeiten in einer frühen Testphase. Die erhaltenen Scannerdaten würden letztlich wieder gelöscht, nur der Hashtag bleibe erhalten, weitere persönliche Daten seien bei WorldCoin nicht vorhanden.

Blick in die Silberkugel

Ausweislich der World-App sind bereits mehr als zwei Millionen Menschen bei WorldCoin registriert. <Q>WorldCoin
Ausweislich der World-App sind bereits mehr als zwei Millionen Menschen bei WorldCoin registriert. WorldCoin

Als nächstes sollen in mehr als 35 Städten in über 20 Ländern die Silberkugeln beispielsweise in Shopping-Malls, Supermärkten und Universitäten aufgestellt werden, um weitere Nutzer zu generieren. Eine davon findet sich auch im Berliner Einkaufszentrum Alexa. Die derzeit verfügbare Flotte von 250 Orb-Scannern werde bis Jahresende auf 1.500 Stück aufgestockt, kündigte Blania an. Jede Woche solle so eine neue Stadt hinzukommen. Offensichtlich ist auch geplant, die Aktionen an den ausgewählten Orten jeweils zeitlich befristet durchzuführen und dann weiterzuziehen.

Ansonsten stehen hinter der Zukunft von WordCoin gleich mehrere Fragezeichen. Ein tragfähiges Business-Modell ist derzeit nicht zu erkennen, das Unternehmen lebt ausschließlich von Venture Capital. Bei der Frage nach der Relevanz im Markt ist zum einen die Akzeptanz eines biometrischen Merkmals ein kritischer Faktor, als auch die Möglichkeit, die World ID anstelle anderer Identifikationsverfahren in bestehende Prozesse und Dienste einzubinden. Ein in sich geschlossenes System, das andere Lösungen verdrängen will, dürfte heutzutage kaum noch große Erfolgs-Chancen haben – auch wenn mit dem ChatGPT-Erfinder eine Persönlichkeit dahintersteht, die in der Lage ist, weltweite Aufmerksam zu generieren. hj

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