Anzeige
KOMMENTAR13. Juli 2015

Das deutsche Bankwesen in der Tiefenentspannung

Maik Klotz
Maik Klotz

Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt? Das könnte der Leitspruch manch einer deutschen Bank sein. Wenigstens wäre es konsequent wenn dieser Spruch in großen Lettern den Kunden beim Betreten einer Filiale ent­gegen kommt. Obwohl immer mehr Dienste und Produkte, die einst Banken vorenthalten waren von bankfremden Unternehmen kommen, betreibt man Selbstbeweihräucherung und lobt sich selbst immer wieder für die Innovationsfreude und Kundenzentrierung.

von Maik Klotz

Schaut man sich die Werbung des ein oder anderen Kreditinstituts an, muss man unweigerlich den Kopf schütteln, hat doch das gezeigte so rein gar nichts mit der Realität zu tun. Die oft heraufbeschworene Nähe zum Kunden gibt es immer weniger und das deutsche Bankwesen läuft Gefahr noch noch zum Zahlungsabwickler degradiert zu werden, während das Kundenfrontend von anderen kommt.

Der Reihe nach.

Um zu verstehen was schief läuft müssen wir uns auf eine Zeitreise in das Jahr 1995 begeben. Die Art und Weise wie wir damals mit Geld und unseren Finanzen umgegangen sind unterscheidet sich dramatisch im Vergleich zu heute. Die finanzielle Situation der Deutschen war bis Mitte der 90iger Jahre noch recht übersichtlich. In der Regel war das Ausgabeverhalten der Deutschen relativ homogen. Einmal die Woche ging der Otto Normal Verbraucher zur Bank um sich Bargeld zu holen, bezahlt wurde fast immer in bar. Die Kartenzahlung war wenig verbreitet.

Autor Maik Klotz
Geboren 1975. Schulzeit und Ausbildung hinter mich gebracht, zur Freude aller. Trotzdem was gelernt. Heute arbeite ich als Head of Business Development im Bereich Mobile Loyalty. Ich bin Sprecher, Autor und Berater zu den Themen Mobile, Banking und Payment. Mein Fokus liegt auf dem Anwender. Findet mich auf XING oder folgt mir bei Twitter :-)
Ein Blick in die Geldbörse reichte aus, um einen sofortigen Überblick über seinen finanziellen Status Quo zu bekommen. Überzog man das Konto gab es einen bösen Blick und mahnende Worte vom Bankangestellten. Den E-Commerce gab es nicht und die verschiedenen Zahlungsströme konnte man an einer Hand abzählen, denn neben dem Dauerauftrag für die Miete oder Hypothek gab es nicht viel. Eine handvoll Versicherungen, die allesamt beim befreundeten Versicherungsvertreter abgeschlossen wurden und die Kosten für Telefon und Strom. Viel mehr Überweisungen gab es nicht. Onlinebanking stand in den Kinderschuhen und wurde über BTX, dem Vorläufer des Internets von eigens wenigen Computerfreaks (heute Nerds) durchgeführt. Das aufregendste im Zahlungsverkehr waren vermutlich Produkte wie Gewinnsparen oder das erste Knax Konto.

20 Jahre später

Heute sind die Zahlungsströme viel komplexer geworden. Eingekauft wird schon lange nicht mehr nur stationär sondern zu großen Teilen online. Bezahlt wird auf unterschiedliche Art und Weise, online mit Kreditkarte, PayPal, Rechnung oder Lastschrift und im stationären Handel Bar oder mit Karte. In Zukunft bezahlen wir zusätzlich mobil mit dem Smartphone oder der Smartwatch. Heute haben wir alleine in Deutschland 3 Milliarden EC-Karten Transaktionen und auch wenn wir Deutschen noch immer am liebsten Bar bezahlen, steigen barlose Zahlarten stetig an. Auch sind es heute deutlich mehr Zahlungsströme als es vor 20 Jahren der Fall war. Zu den üblichen Lebenshaltungskosten kommen Ratenkredite für Luxusartikel. Jeder zehnte Deutsche ist inzwischen hoch verschuldet mit einer Tendenz nach oben. Schon heute bekommt man beim Einkaufen einen Ratenkredit noch bevor er sich für ein Produkt entschieden hat. Die Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt quasi alles haben zu können führt zu einem Verlust der Übersicht. In einem vor wenigen Wochen durchgeführten qualitativen User-research wurde das deutlich: die wenigsten Interviewten konnte die Fixkosten benennen. Oft wurde mehr als 50% der regelmäßigen Ausgaben vergessen zu nennen.

Die Angst vor Verschuldung und nicht Herr über seine Geldströme zu sein ist allgegenwärtig. Auch sinkt die Bindung zur Hausbank. Hohe Zinsen für Dispositionskredit, Gebühren beim Geld Abheben, Kosten für die Kontoauszüge per Post oder Kontoführungsgebühren führen zu einer stetig wachsenden Unzufriedenheit. Gerade in der Gruppe der Millennials wächst die Frustration über die eigene Bank und der einzige Grund nicht zu wechseln wird oftmals der damit verbundenen Aufwand zum Ändern aller Daueraufträge angegeben. Gleichzeitig, so scheint es, passiert bei den Banken wenig. Die Innovationskurve ist nicht als solche zu erkennen und wichtige banknahe Dienste werden von Unternehmen veröffentlicht, die in der Vergangenheit nie etwas mit Finanzdienstleistungen zu tun hatten. Mobiles Bezahlen zum Beispiel wurde erst von einigen Startups, wenn auch erfolglos, angegangen, bis dann Apple und Google das Thema mobiles Bezahlen besetzt haben. Banken haben sich hier nicht mit Rum bekleckert. Peer-to-Peer Payment wird von Startups wie Payfriendz besetzt oder vermutlich fester Bestandteil mobiler Betriebssysteme. irgendwann werden wir dann Geld am iPhone via iMessage verschicken. Bei Google funktioniert das versenden von Geld schon heute per E-Mail, zwar nur in den USA, aber immerhin. Und PayPal gibt es da ja auch noch. Warum man also ein nationales Produkt wie Paydirekt ausgerechnet 10 Jahre zu spät bringt, man weiß es nicht. Selbst für die Bargeldversorgung braucht man die Hausbank auch nicht mehr. Frisches Geld gibt es bei Shell an der Zapfsäule oder bei REWE direkt beim Einkaufen.

Immer mehr degradiert sich das deutsche Bankwesen zum reinen Zahlungsabwickler. Jahrelang hat man Startups belächelt und sich als unersetzliches Frontend zum Kunden gesehen. Heute werden sie eines besseren belehrt, denn nicht nur kleine Startups entdecken den Finanzbereich für sich, sondern eben auch die ganz großen wie Apple, Google oder Facebook. Und Entwicklungen, wie die von Alibaba, die vor kurzen mit MYbank eine Bank für den kleinen Mann gründete, sollten auch hierzulande die ein oder andere Bank aus der Tiefenentspannung holen. Sich aus der Komfortzone zu bewegen scheint aber zu viel verlangt. So werden wir in den nächsten Jahren die Banken in einer nie dagewesene Krise erleben. Das geht nicht von heute auf morgen, aber irgendwann wird man sich dann fragen warum der Konsument eigentlich kein Girokonto mehr braucht.

Alles verloren? Sicher nicht

Es gibt eine einfache Lösung und die heißt anfangen. Zweifelsohne sind Banken keine Startups und große Konzerne lassen sich schwieriger lenken als ein kleines Unternehmen. Die Konzerngröße ist aber ein lösbares Problem, wie man an Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple sieht, die trotz der Konzerngröße immer wieder neue, innovative Produkte auf den Markt bringen. Selbst in Branchen, in denen sie vorher nie aktiv waren wie zum Beispiel im Bereich des Mobile Payments. Wir dürfen uns nicht von der Angst leiten lassen zu scheitern.

In den USA nennt man das “German Angst”, die Angst davor zu scheitern. Und ja, man kann scheitern. Zum Erfolg scheitern. Das passiert vielleicht gerade mit PayDirekt, dem bankübergreifenden Versuch einen Onlinebezahldienst zu etablieren. Auch wenn PayDirekt eher an den erfolglosen Versuch, eine europäische Suchmaschine im Kampf gegen Google zu positionieren, erinnert. Nicht das scheitern ist wünschenswert sondern nicht aufzugeben. In England ist man uns deutlich voraus was dieses Thema betrifft. Barclays allen voran probiert immer wieder neue Themen aus und schafft es so auch den Konsumenten für sich zu begeistern. Sei es mit der Peer-to-Peer App Pingit oder den unterschiedlichen NFC-Geräten, wie einem Armband oder Schlüsselanhänger, mit denen Konsumenten kontaktlos an der Kasse zahlen können.aj

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert