STRATEGIE21. September 2023

Die Verheißung unstrukturierter Daten für das Finanzwesen – Rede von Bundesbanker Prof. Wuermeling

Gibt es in der Zukunft überhaupt noch Banken? ... fragt Bundesbanker Prof. Wuermeling
Prof. Dr. Joachim Wuermeling Bert Bostelmann

Auf der Veranstaltung BaFinTech 2023 sprach Prof. Wuermeling von der Bundesbank  über Big Data und die Chancen und Risiken bei der Nutzung unstrukturierter Daten für Banken und das Finanzsystem insgesamt. Die gezielte Analyse von unstrukturierten Daten trägt zur Kosteneffizienz, Automatisierung, Betrugsprävention und einem verbesserten Risikomanagement bei. Doch gehen mit diesen Neuerungen auch Risiken einher. Datenqualität und -kompetenz sind hier das A und O. Eine Zusammenfassung seiner Rede.

von Professor Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank

Der Zukunftsforscher und Autor John Naisbitt prägte folgenden bemerkenswerten Satz: Wir ertrinken in Informationen, aber hungern nach Wissen.

Etwa 80% der von Unternehmen gesammelten Daten sind unstrukturiert und diese Menge belief sich 2022 auf beachtliche 82 Zettabyte weltweit. Das ist eine Zahl mit 21 Nullen! Für 2027 prognostizieren Experten etwa 228 Zettabyte an unstrukturierten Daten.

Unternehmen können durch gezielte Analyse dieser Datenströme mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen wichtige Erkenntnisse für Prognosen, Risikobewertungen und Entscheidungen gewinnen. Das ist die Verheißung unstrukturierter Daten, die insbesondere für das Finanzwesen von Bedeutung sind.

Wir als Bundesbank nutzen selbst unstrukturierte Daten und ermutigen die Banken, sie zu nutzen.”

Was sind die Treiber für die Nutzung von Big Data in der Finanzindustrie?

Als Institutionen der Finanzstabilität haben BaFin und Bundesbank nicht nur die Verantwortung, den Finanzsektor zu überwachen, sondern auch, die Entwicklungen und Herausforderungen der modernen Datenlandschaft zu verstehen.

Big Data ist heute ein omnipräsenter Begriff, der im Wesentlichen den rasanten Anstieg und die Vielfalt von Daten umfasst, die für herkömmliche Analysemethoden oft zu umfangreich sind. Diese Datenwelt ist durch drei Hauptelemente geprägt: Die explosionsartige Zunahme der Daten, innovative Speichertechnologien wie Cloud-Dienste, die die schnelle Verarbeitung dieser enormen Datenmengen erlauben, sowie Fortschritte in Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, die die Analyse sehr komplexer Daten ermöglichen.

Ein weiterer bedeutender Aspekt dieses Datenzeitalters ist der Wandel von aggregierten Informationen hin zu granularen, detaillierten Daten.

Aber nicht alle Daten sind gleich. Einige sind klar strukturiert, andere sind weniger klar definiert. Und dann gibt es unstrukturierte Daten, die weder klar geordnet noch klar definiert sind. Diese können oft nicht ohne weiteres in traditionelle Datenbanksysteme eingepflegt werden.

Insbesondere für die Bundesbank stellt der Übergang von den strukturierten Daten zu den großen, unstrukturierten Datenmengen einen großen Schritt dar. Als “Bank der Banken” tragen wir dabei eine erhebliche Verantwortung.

Unstrukturierte Daten sind somit sowohl eine Herausforderung als auch eine großartige Chance für uns. Sie können wertvolle Einsichten liefern, damit wir unsere Aufgaben noch effektiver erfüllen können.”

Wie nutzen der Finanzsektor und die Bundesbank unstrukturierte Daten?

In der Bundesbank und im Finanzsektor gibt es zahlreiche Anwendungen, die unstrukturierte Daten analysieren. Ihre Menge und Komplexität machen KI und maschinelles Lernen unverzichtbar.

Die Analyse mittels KI hat sich von der Kundenschnittstelle, dem Front-End, bis in den Kern der Banken bewegt. Am Front- sind es vor allem kunden- und produktorientierte Anwendungen wie zum Beispiel Chatbots. Im Back-End dominieren analytische sowie prozess- und risikoorientierte Anwendungen. Besonders im Bereich Kreditwürdigkeitsprüfung, Betrugserkennung und Risikomanagement spielen sie eine Rolle.

Hier unser erster analytischer Anwendungsfall aus dem Inneren der Bundesbank. Stellen Sie sich ein System vor, das täglich Tausende von Nachrichtenartikeln durchforstet. Dieses System, das wir “BUBA-Bot” nennen, stammt aus unserem Zentralbereich Märkte und nutzt neuronale Netze und Webscraping, um wertvolle Marktinformationen zu liefern.

Das Tool ist schon seit einigen Jahren in Betrieb. Durch Sentimentanalysen werden die Artikel bewertet und mittels KI thematisch klassifiziert. Die Daten kombinieren wir anschließend mit Finanzmarktdaten und machen sie für Fragestellungen nutzbar, die im Bereich „Market Intelligence“ und Marktanalyse relevant sind.

Und hier kommt der spannendste Teil: Der BUBA-Bot integriert aktuell eine ChatGPT KI. Dies ermöglicht es den Nutzern, mit der KI über aktuelle weltweite Entwicklungen zu diskutieren und Einschätzungen der KI zur Nachrichtenlage zu erhalten.

Betrachten wir als konkretes Anwendungsbeispiel die Geldwäschebekämpfung. Stellen Sie sich vor, KI-Systeme könnten nicht nur eine Vielzahl von Transaktionen wie Aus- und Inlandszahlungen, Wertpapiertransaktionen und Kreditanträge durchsuchen, sondern auch unstrukturierte Daten wie Audio- und Videoaufzeichnungen sowie Geodaten erfassen. Durch den Abgleich dieser Informationen mit anderen verfügbaren internen und externen Datenquellen können Auffälligkeiten und Anomalien erkannt werden. In diesem Kontext wird die Technologie besonders effektiv, wenn relevante Daten mehrerer Organisationen zusammengeführt werden, wie es bei der gemeinsamen Nutzung von Daten durch über 2000 Finanzbanken in den USA der Fall ist. Diese kollektive Verwendung ermöglicht eine noch effektivere Aufspürung von Geldwäsche.

In der Versicherungsbranche gibt es Unternehmen, die sich auf die Analyse dieser Art von Daten spezialisiert haben. Sie kombinieren unterschiedliche Datenquellen und setzen fortschrittliche Analysemethoden ein. Und die Ergebnisse? Eine beeindruckende Reduzierung der Betrugsfälle und die Enttarnung organisierter Betrugsringe. KI wird darüber hinaus auch eingesetzt, um Schadensfälle besser zu bewerten, die Preisgestaltung zu optimieren und den Versicherungsschutz zu personalisieren.

Wie verändern unstrukturierte Daten das Finanzsystem und den Wettbewerb?

Unstrukturierte Daten bergen große Chancen für unser Finanzsystem. Datenbasierte, analytische Ansätze ermöglichen präzisere Entscheidungen, etwa bei der Bonitätsprüfung oder der Kapitalanlage. Sie verbessern den Schutz vor Betrug oder Cyberattacken. Dies führt insgesamt zu stabileren Banken.

Mit Zugang zu wertvollen Markt- und Aufsichtsdaten können die Zentralbanken die Vorteile der KI nutzen, um ihren Auftrag zur Wahrung von Preis- und Finanzstabilität noch besser zu erfüllen.

Die Vorteile summieren sich zu einem insgesamt stabileren Finanzsystem, das durch die Analyse unstrukturierter Daten gestärkt wird. Doch wir dürfen uns nicht in einem naiven Fortschrittsglauben verlieren, sondern müssen auch die Risiken im Blick behalten.”

Beim Maschinellen Lernen bestimmt die Qualität der Daten den Erfolg unserer Algorithmen. Unvollständige oder fehlerhafte Daten bergen das Risiko unzuverlässiger Ergebnisse. Genau hier bringt der Zentralbereich Daten und Statistik der Bundesbank seine wertvolle Expertise ein.

Angesichts der Flut an unstrukturierten Daten könnten wir ohne tiefgreifende Expertise der “blinden” Datenanalyse anheimfallen und einer Informationsillusion erliegen. Es genügt nicht, Daten zu besitzen – wir müssen sie auch richtig nutzen und verstehen können.

Ein nicht zu vernachlässigendes Risiko ist die öffentliche Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz. Laut einer Allensbach-Studie finden 58% den Begriff “Künstliche Intelligenz” unsympathisch und nur 23% sehen eine effektive Regulierung als realisierbar. Gerade im Sektor des Finanzwesens, in dem Vertrauen eine wichtige Rolle spielt, könnten solche Akzeptanzprobleme die Technologieeinführung deutlich behindern.

Schließlich ist die Funktionsweise von KI komplex. Sie kann uns durch unerwartete Fehler und prozyklische Effekte überraschen. Diese Herausforderungen können weitreichende Auswirkungen auf unsere Finanzinstitutionen und die gesamte Stabilität des Systems haben.

Hier kommt wieder der Mensch ins Spiel. Wir sind es, die letztlich die Verantwortung für Entscheidungen tragen. Dabei bleibt es.

Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.pp

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