STRATEGIE31. Juli 2023

Warum Bank- und Finanzriesen in Quantencomputing investieren sollten

Nir Minerbi ist CEO und Mitgründer von Classiq, einem Unternehmen mit Fokus auf Quantencomputing und deren Algorithmen.
Classiq

Manche mögen Quantencomputing als Science-Fiction abtun. Doch die Technologie entwickelt sich immer mehr zur Realität, und zwar so sehr, dass viele der größten Banken der Welt, darunter Standard Chartered, JPMorgan Chase und HSBC, in diese Technologie investieren und ihr Potenzial erforschen. Weshalb also beschäftigen sich die Finanzriesen mit dieser neuen wissenschaftlichen Technologie und welchen Nutzen haben sie davon?

von Nir Minerbi, CEO und Mitgründer von Classiq

Quantencomputing birgt ein enormes Potenzial für die Finanzbranche. Sobald die Technologie vollständig realisiert ist, können anspruchsvolle Berechnungen in einem Bruchteil der derzeit benötigten Zeit durchgeführt oder Finanzmodelle verarbeitet werden, die für die heutige Technologie zu komplex sind. Die Finanzbranche erforscht bereits das Potenzial von Quanten für die Optimierung von Anlageportfolios, indem sie Arbitragemöglichkeiten schneller findet und mehrere Variablen gleichzeitig berechnet. In ähnlicher Weise könnte die Technologie maschinelle Lernmodelle für die Kreditwürdigkeitsprüfung und Risikoanalyse unter Verwendung immer größerer Datensätze unterstützen. Doch das sind nicht die einzigen Möglichkeiten.

Genauere Prognosen erstellen

Die Finanzindustrie hat gute Chancen, als erste Branche den wirtschaftlichen Vorteil des Quantencomputings zu nutzen und in kürzester Zeit positive finanzielle Resultate zu erzielen.”

Das liegt daran, dass viele der Quantenalgorithmen, die den Finanzinstituten zugutekommen würden, bereits geschrieben wurden und nachweislich schneller und besser funktionieren als klassische Algorithmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Quanten-Hardware mit genügend Qubits hergestellt wird, um diese Algorithmen auszuführen.

So werden beispielsweise Monte-Carlo-Simulationen in fast allen Finanzanalysen verwendet, insbesondere zur Vorhersage der Preise komplexer Derivate und Aktienkurse. Bei der Monte-Carlo-Methode werden mit Hilfe von Zufallszahlen viele Szenarien simuliert, und diese Ergebnisse werden dann verwendet, um die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses zu schätzen. Je mehr Szenarien man durchspielen kann, desto genauer wird das Ergebnis sein.

Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Quantencomputing ist eine Quantenversion eines Monte-Carlo-Algorithmus in der Lage, mehr Simulationen gleichzeitig durchzuführen, was bedeutet, dass Finanzanalysten in kürzerer Zeit zu einer genaueren Antwort kommen können.”

Finanzinstitute sind sehr daran interessiert, Anwendungsfälle wie diese zu untersuchen, da die potenziellen Vorteile auf der Hand liegen. Selbst wenn das Ergebnis einer Quanten-Monte-Carlo-Simulation nur um einen Bruchteil eines Prozents genauer ist als eine herkömmliche Simulation mit klassischer Datenverarbeitung, könnte diese höhere Genauigkeit angesichts der großen Summen, die auf dem Spiel stehen, zu Millionen – ja sogar Milliarden – Euro an Einnahmen durch bessere Renditen und Gewinne führen. Die Fähigkeit, bessere Investitions- oder Risikomanagemententscheidungen zu treffen, wird diesen Finanzinstituten auch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.

In Zukunft könnte Quantencomputing sogar bei den komplexesten Aufgaben helfen, die Finanzinstitute zu bewältigen haben, z. B. beim Hochfrequenzhandel, bei dem schnelle, präzise und äußerst anspruchsvolle Entscheidungen in kürzester Zeit getroffen werden müssen.”

Sicherheit im Quantum-Zeitalter

Ein anderer Grund, warum sich die Finanzbranche mit Quantentechnologie beschäftigt, sind die Risiken, die sie birgt. Es ist seit langem bekannt, dass Quantencomputer in der Lage sein werden, die Verschlüsselungsprotokolle zu knacken, die zur Sicherung digitaler Werte verwendet werden, einschließlich der Verschlüsselungen, die zum Schutz von Finanzdaten und Bankkonten eingesetzt werden.

Die Entschlüsselung mit Hilfe von Quantencomputern gilt daher als ein großes Sicherheitsrisiko für zukünftige Finanzsysteme.”

Allerdings wird Quantencomputing in Zukunft auch eine Schlüsselrolle bei der Sicherung dieser Systeme spielen. Die Technologie könnte eingesetzt werden, um festzustellen, ob in Konten eingebrochen wurde, und um betrügerische Aktivitäten schneller und einfacher zu erkennen.

Autor Nir Minerbi, Classiq
Nir Minerbi startete seinen Werdegang als Kadett im Talpiot Excellence Program von Juli 2009 bis Juli 2012. Danach begann er eine Karriere bei den Israel Defence Forces, die über 6 Jahre andauerte und bei der er mehrere Positionen innehielt: Von 2012 bis 2014 arbeitete Nir als Systemanalytiker bevor er von 2014 bis 2016 als Embedded Reverse Engineer für die IDF tätig war. Von 2016 bis 2018 war er als Teamleiter bei der Einheit 8200 für ein großes Team von Forschern und Ingenieuren verantwortlich. Im August 2018 wechselte er zu KayHut und war dort bis August 2019 als Projektmanager tätig. Im Dezember 2019 wurde er Mitbegründer von Classiq Technologies (Website) und ist seither CEO des Unternehmens.
Auch die derzeitigen kryptografischen Protokolle stützen sich auf Zufallszahlengeneratoren (RNGs), um Sicherheitsschlüssel zu erstellen. Die heutigen RNGs sind jedoch nicht wirklich zufällig und beruhen im Allgemeinen auf einer Art Algorithmus – und genau diese Algorithmen stellen eine Schwachstelle dar, da Quantencomputer in der Lage sein werden, sie zu lösen. Dennoch werden Quantencomputer aufgrund ihrer Eigenschaften in der Lage sein, echte Zufallszahlen zu generieren, und könnten daher zur Verbesserung der Verschlüsselung eingesetzt werden.

Organisationen und Regierungsbehörden untersuchen bereits neue Sicherheitsstandards, die gegen Quantenentschlüsselung resistent sein werden.

Das US-amerikanische National Institute for Standards of Technology hat im vergangenen Jahr die ersten quantenresistenten kryptografischen Algorithmen angekündigt, die Teil seiner neuen Verschlüsselungsnorm werden sollen.”

Um sich auf die Entschlüsselung durch Quantencomputer vorzubereiten, sollten Banken und Finanzunternehmen diese neuen Methoden untersuchen und sich darauf vorbereiten, ihre Verschlüsselung auf diese quantenresistenten Standards umzustellen, sobald diese fertiggestellt sind, um den Schutz ihrer Daten zu gewährleisten. Diejenigen Finanzdienstleister, die diese Umstellung frühzeitig vornehmen, haben einen Wettbewerbsvorteil, da sie ihren Kunden und Anlegern versichern können, dass ihre Verschlüsselungen von Quantencomputern nicht geknackt werden können.

Wie sollten sich Finanzunternehmen neben der Untersuchung von Quantensicherheit sonst noch auf das Quantenzeitalter vorbereiten?

Auf Quantencomputing vorbereitet sein

Für Finanzunternehmen ist es wichtig zu untersuchen, wie sich das Einsetzen des Quantencomputings auf ihre Kernkompetenzen und diejenigen Bereiche des Finanzwesens auswirken wird, in denen sie sich besonders auszeichnen.

Um diese Kompetenzen – und den damit verbundenen Wettbewerbsvorteil – zu schützen, sollten die Finanzinstitute neue Verfahren, Algorithmen und Computercodes entwickeln, die auf Quantentechnologie basieren.”

Anschließend können sie diese Prozesse patentieren und einen patentrechtlichen Schutzzaun um diese Kompetenzen errichten, um sicherzustellen, dass ihre wichtigsten Geschäftsabläufe geschützt sind.

Um quantenfähige Patente zu entwickeln, sollten Banken in ihre Quantenkompetenz investieren. Beispielsweise, indem sie Quantenexperten und -wissenschaftler einstellen oder ihre Finanzanalysten im Bereich der Quantentechnologie schulen. Das Schreiben von Quantencomputercode kann eine Herausforderung sein, da er sich stark von der klassischen Programmierung unterscheidet, aber moderne Anbieter von Quantensoftware entwickeln Lösungen, die einige der Herausforderungen abstrahieren und den Zugang für diejenigen erleichtern, die keine Quantenkenntnisse haben. Wenn diese Quantenteams Quantencode für ihre Organisationen entwerfen, sollten sie auch untersuchen, welche Quantencomputer, die sich derzeit in der Entwicklung befinden, am besten mit ihrem Code funktionieren und die genauesten Ergebnisse mit der geringsten Fehlerquote liefern.

Um sich auf die Quantentechnologie vorzubereiten, bedarf es zwar noch etwas Zeit und weitere Investitionen, aber Finanzunternehmen sollten schon jetzt anfangen, sich damit auseinanderzusetzen.

Auch wenn voll funktionsfähige Quantencomputer möglicherweise erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen, sollten Banken darauf vorbereitet sein, diese Technologie in ihre bestehenden Systeme zu integrieren – denn das wird nicht von heute auf morgen möglich.”

Die Änderung der Art und Weise, wie diese Institute ihre Berechnungen durchführen und Finanzentscheidungen treffen, z. B. durch die Umstellung auf eine Quanten-Monte-Carlo-Simulation, wird keine triviale Aufgabe sein. Aber diejenigen Unternehmen, die diese Umstellung rechtzeitig in Angriff nehmen, werden gegenüber ihren langsameren Konkurrenten einen beträchtlichen First-Mover-Vorteil genießen können.Nir Minerbi, Classiq

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