STRATEGIE7. Dezember 2023

Wie verändert Quantencomputing das Banking? Bundesbanker Prof. Wuermeling

Gibt es in der Zukunft überhaupt noch Banken? ... fragt Bundesbanker Prof. Wuermeling
Prof. Dr. Joachim Wuermeling Bert Bostelmann

Bei Quantencomputing wissen wir noch nicht ganz genau, ob wir vor dem Mount Everest, dem Matterhorn oder dem kleinen Feldberg in der Nähe von Frankfurt stehen. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass das ein echter Gigant sein könnte. In seiner Rede auf der Handelsblatt-Tagung BankenTech in Frankfurt am Main am 7.12.2023 wagt Prof. Wuermeling von der Bundesbank einen Blick in die Zukunft. Dabei diskutiert er die Frage: Wie verändert Quantencomputing das Banking?  Das Spektrum reicht vom technologischen Hintergrund über die Chancen und Risiken der Technologie bis zur Arbeit mit Quantentechnologien in der Deutschen Bundesbank. Eine Zusammenfassung seiner Rede.

von Professor Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank

Heute machen wir einen kleinen Quantensprung weg von dem Tagesgeschäft einer Zentralbank. Quantentechnologien haben wir seit der Einrichtung unseres Trendradars im Jahr 2019 auf dem Schirm. Anfangs haben wir sie nur beobachtet, 2021 sind wir in eine systematische Bewertung des Trends eingestiegen. Seit 2022 arbeiten wir aktiv an den ersten Pilotprojekten, und Quantentechnologien werden bei uns in der Deutschen Bundesbank von der IT als Technology Push getrieben, das bedeutet, dass wir aktiv nach Einsatzmöglichkeiten suchen.

Wissenschaftlicher Kontext

Quantencomputing ist kein neuer Begriff in Wissenschaft und Informatik. Quantenrechner wurden schon vor Jahrzehnten theoretisch konzipiert. Auch die Algorithmen für Quantenrechner wurden schon vor Jahrzehnten entwickelt. Die zwei prominentesten Quantenalgorithmen dürften Shor und Grover sein.

Der Shor-Algorithmus – ein Verfahren für die Primfaktorzerlegung einer Zahl, wurde 1994 von Peter Shor entwickelt und ist noch nicht allgemein auf aktueller Quantencomputer-Hardware implementierbar. 1996 wurde von Lov Grover der Grover-Algorithmus entwickelt. Dieser könnte in Zukunft bei der Suche in unsortierten Datenbanken nützlich sein.

Seit den ersten theoretischen Grundlagen hat Quantencomputing riesige Fortschritte gemacht. Bereits 2011 hat D-Wave den nach eigenen Angaben ersten kommerziell verfügbaren Quantencomputer vorgestellt. Heute bieten bereits verschiedene Anbieter ihre Hardware über Cloud Services an.

Wir befinden uns bei Quantencomputing an einem Punkt, wo die aktuell realisierbare Quantenhardware das tatsächlich nutzbare Potenzial der Technologie limitiert. Vieles deutet darauf hin, dass wir bereits 2030 über leistungsstarke, fehlerarme Quantenrechner verfügen könnten.

Vergleich zu klassischem Computing

Klassische Rechenarchitekturen haben sich seit dem Umstieg auf transistor-basierte Technik stark evolutionär entwickelt. Seitdem setzen wir bei klassischem Computing auf Halbleitertechnik. Bei Quantencomputern gibt es diesbezüglich noch keine präferierten Technologien.

Ein anderer, wesentlicher Unterschied ist folgender: In der Quanteninformatik arbeiten wir mit Qbits, die sich ganz wesentlich von klassischen Bits unterscheiden – das zeigt auch schon die Art und Weise, wie wir diese Qbits konstruieren können.

Wir können Qbits beispielsweise mit Supraleitern, kalten Atomen, Ionenfallen oder über Diamanten implementieren. Die Hardwareumsetzungen haben derzeit unterschiedliche Reifegrade. Weil es noch keine einheitliche Implementierung gibt, haben wir auch noch kein standardisiertes Rechenmodell.

Auch ist es derzeit noch schwierig, die Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Architekturen zu bewerten. Qbit-Zahlen sind kein alleinstehendes Leistungsmerkmal und können nur bedingt als Kennzahl für Leistungsvergleiche verwendet werden.

Deterministisch vs. probabilistisch

Quantencomputer arbeiten im Kern anders als klassische Computer. Klassische Rechenarchitekturen sind deterministisch: Das heißt, dieselbe Eingabe eines Programms führt immer zur selben Ausgabe.

Quantencomputer arbeiten dagegen probabilistisch. Das heißt, je häufiger ich ein Programm auf einem Quantencomputer ausführe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, das richtige Ergebnis zu bekommen.

Zwischenfazit

Quantencomputing-Hardware entwickelt sich aktuell revolutionär – und das macht Vorhersagen zur Time-to-Market schwierig. Aus unserer Sicht gibt es keine „entweder / oder“ Diskussion: Quantencomputing ist eine komplementäre Technologie zu klassischen Rechnern. Quantencomputer werden klassische Rechner nicht ersetzen, sondern bei speziellen Aufgaben unterstützen.

Wenn sie leistungsstark werden, können Probleme gelöst werden, die auf klassischer Architektur als zeitlich unlösbar gelten. Das hybride Quantencomputing wird revolutionäre Auswirkungen haben und unglaubliches Potenzial für Innovation bieten.

Globaler Kontext

Das Potenzial haben die Regierungen vieler Länder erkannt, und die öffentliche Hand fördert aktiv Quantentechnologien. Die Bundesregierung hat im April 2023 das Handlungskonzept Quantentechnologien veröffentlicht. Sie fördert Quantentechnologien mit drei Milliarden Euro. Aktuell gibt es ein großes Momentum in der Industrie, Quantentechnologien zu kommerzialisieren.

Quantencomputing Usecases werden bereits in der Industrie produktiv umgesetzt. Quantencomputing über Cloud Services ist der aktuell lohnenswerteste Ansatz, um erste Proof-of-Concepts umzusetzen.

Bevor der großflächige Einsatz von Quantencomputing möglich ist, sehe ich folgende Herausforderungen:

  1. Wir haben aktuell mit einem Fachkräftemangel im Quantencomputing zu kämpfen.
  2. Viele Fragen auf der Hardware-Ebene sind noch offen – vom Standort bis zum Betrieb der Rechner

Risiken von Quantencomputing

Die Risiken, die mit Quantencomputing einhergehen, übertragen sich unausweichlich auf die Finanzbranche.

Der Shor-Algorithmus ist deshalb so prominent, weil er das Krypto-System RSA brechen kann. Dieser Algorithmus ist heute aber noch nicht auf Quantencomputern einsetzbar. Derzeit existiert kein kryptographisch-relevanter Quantencomputer. Experten nehmen aber an, dass um das Jahr 2030 ein kryptographisch relevanter Quantencomputer existieren wird.

Ab diesem Zeitpunkt sind Verschlüsselungs- und Signaturverfahren wie RSA nicht mehr als sicher einzustufen. In der Finanzbranche setzen wir an unzähligen Stellen auf genau diese Verfahren.

Es ist jetzt notwendig, proaktiv unsere Systeme zu schützen, bevor Quantencomputer das Niveau erreicht haben. Die Kritikalität der Migration zu quantensicheren Verschlüsselungsverfahren spiegelt sich deshalb in den Quantencomputing-Strategien von Regierungen wieder.

Die Bundesregierung hat bis 2026 „das Einleiten der Migration zu Post-Quanten-Kryptografie in (…) sicherheitskritischen Bereichen“ als Meilenstein definiert. Quantensichere Kryptographie und die damit engverbundene Kryptoagilität sind Themen, die wir jetzt angehen müssen.

Chancen von Quantencomputing

Der Finanzmarkt ist ein zahlengetriebener Wirtschaftszweig und auch einer, der auf lange Frist direkt von Quantenrechnern profitieren könnte. Auch wir als Deutsche Bundesbank teilen diese Einschätzung.

In der Finanzbranche wird bereits der Einsatz von Quantenhardware und -algorithmen bei Portfoliooptimierungen getestet. Die Hardware ist allerdings noch nicht geeignet, um großflächig produktive Use-Cases im Finanzwesen umzusetzen.

Quantencomputing ist keine Plug-and-Play Lösung. Die Technologie ist ein Expertenthema, und es gibt kein One-Size-Fits-All. Unterschiedliche Implementierungen erzeugen ein zusätzliches Komplexitätslevel. Daher sind Co-Creation und Zusammenarbeit der Fachexperten essentielle Erfolgsfaktoren.

Quantencomputing bei der Deutschen Bundesbank

Als Teil des Finanzwesens ist es wichtig, dass wir durch eine innovative Aufstellung der Deutschen Bundesbank “quantenready” werden. Potenzial für die Technologie identifizieren wir in den folgenden Bereichen:

  1. Verbesserung der eigenen Fähigkeiten
  2. Überwachung des Finanzsystems
  3. Steigerung der Cyber-Security

Mit Abschluss unserer Studie zum Quantencomputing im Juni 2022 haben wir über 30 für uns relevante Use-Cases identifiziert. 2022 sind wir auch mit unserem ersten Proof-of-Concept gestartet.

BISIH Project Leap

In Kooperation mit dem Innovation Hub der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der Banque de France haben wir beim Project Leap ein Proof-of-Concept zum Thema Post-Quanten-Kryptographie und Kryptoagilität entwickelt.

Project Leap ist ein technisches Innovationsprojekt. Wir haben nicht nur einen Bericht geschrieben, sondern aktiv mit quantensicheren Verschlüsselungsalgorithmen, Signaturverfahren und Cloud-Infrastruktur experimentiert.

Kompetenzaufbau

2023 haben wir unser eigenes Quantencomputing-Team gegründet. Es befasst sich mit der Umsetzung von Use-Cases und wird gemeinsam mit Technologiepartnern an Anwendungsfällen zu Quantentechnologien arbeiten. Zudem arbeiten wir aktiv an quantenverschlüsselten, abhörsicheren Kommunikationsteststrecken. Ende November 2023 haben wir erste Tests im Bereich Quantum-Key-Distribution mit dedizierter Hardware in unserer eigenen IT-Infrastruktur abgeschlossen.

Fazit

Wir gehen als Deutsche Bundesbank davon aus, dass Quantencomputing die Finanzbranche nachhaltig verändern wird. Das größte Risiko sehen wir aktuell darin, sich nicht mit Quantencomputing zu beschäftigen.

Als Bundesbank definieren wir Quantencomputing als disruptive Schlüsseltechnologie. Wir müssen verstehen, wie sich Quantencomputing auf das Finanzsystem auswirken wird. Dafür beschäftigen wir uns aktiv mit der Technologie und sehen uns als Teil der Community. Wir wollen proaktiv handeln, um bei der Gestaltung der Technologie aktiv mitzuwirken. Quantencomputing ist schon jetzt im Bankwesen angekommen.

Die vollständige Rede können Sie hier nachlesen.pp

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