STRATEGIE29. Februar 2024

Was bringen eigentlich “Digitale Zwillinge” bei Versicherern?

Digitale Zwillinge bei Versicherungen: Dr. Kay Müller-Jones, Tata Consultancy Services, rät zur raschen Nutzung.
Dr. Kay Müller-Jones, Tata Consultancy ServicesTata Consultancy Services

Digitale Zwillinge sind aktuell dabei, Medizin, Fertigung, Logistik und Mobilität zu revolutionieren – aber gehören sie auch in den Werkzeugkasten eines Versicherers? Dr. Kay Müller-Jones, Managing Partner in der Global Consulting Practice bei Tata Consultancy Services (TCS), ist davon überzeugt. Gerade um die Herausforderungen der digitalen Transformation erfolgreich zu bewältigen. Das Plädoyer.

von Dr. Kay Müller-Jones, Managing Partner in der Global Consulting Practice bei Tata Consultancy Services (TCS)

Die digitale Transformation hat in vielen Branchen zu wegweisenden Entwicklungen geführt, insbesondere durch den Einsatz von digitalen Zwillingen. Wir haben bereits virtuelle Abbilder der Haut, des Darms und des Herzens, die helfen werden, mit neuen medizinischen Behandlungsmethoden die Patientenversorgung zu verbessern. Im Leistungssport dienen sie dazu, die Grenzen immer weiter nach oben zu schieben. Digitale Zwillinge von ganzen Fabrikhallen ermöglichen Vorhersagen, wann Maschinen repariert werden müssen und wie sich Produktionsprozesse optimieren lassen.

Der Einsatz Digitaler Zwillinge als Sinnbild eines virtuellen, digitalen Spiegels der Realität beschränkt sich jedoch nicht nur auf physische Objekte. Zunehmend werden sie auch für die Dienstleistungsbranche interessant: Telekommunikationsunternehmen nutzen sie bereits, um ihre Kundenprozesse in Vertrieb und Service zu optimieren.

Digitale Zwillinge erlauben die Darstellung und Simulation komplexer Prozesse und Interaktionen der verschiedenen Akteure in einer Geschwindigkeit, die sich mit klassischen Methoden der Prozessanalyse und -optimierung nicht erreichen lassen.”

Und die EU arbeitet gar bereits an einem Modell der gesamten Erde, um Vorgänge von Mensch und Natur besser zu beobachten, zu modellieren und vorherzusagen.

Ungeahnte Möglichkeiten für Versicherer

Nun erreichen Digitale Zwillinge auch die Versicherungswirtschaft – mit noch ungeahnten Möglichkeiten.

Versicherungen müssen die Geschwindigkeit ihrer digitalen Transformation dringend erhöhen.”

Moderne „InsurTechs“ mit digitaler DNA befinden sich auf der Überholspur, zudem bremsen veraltete Infrastrukturen, fehlende Mitarbeiter sowie fehlendes Technologie-Know-how die dringend benötigte Digitalisierung aus.

Doch warum hinken gerade Versicherer hinterher? Das hat gleich mehrere Gründe: Für die Vielzahl komplexer Versicherungsprodukte ist ein hohes Maß an fachlichem Know-how erforderlich. Gleichzeitig sind sie Regularien wie den Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT) der BaFin unterworfen. Das zwingt sie zu besonderer Achtsamkeit bei der Ausgestaltung ihrer Produkte und unterstützender IT-Systeme, wodurch sich der Transformationsprozess verlangsamt.

Insgesamt hat dies zur Entwicklung entsprechend hoch entwickelter IT-Lösungen und IT-Infrastrukturen geführt, die über die Jahrzehnte gewachsen und mittlerweile technologisch veraltet sind.”

Autor Dr. Kay Müller-Jones, Tata Consultancy Services
Dr. Kay Müller-Jones leitet die Consulting Practice von Tata Consultancy Services, TCS, (Website) in Deutsch­land und ist ver­ant­wort­lich für die Un­ter­neh­mens- und IT-Be­ra­tung in Deutsch­land, Ös­ter­reich und der Schweiz. Be­vor er 2008 zu TCS kam, hat­te Dr. Mül­ler-Jo­nes ei­ne füh­ren­de Rol­le in der Be­ra­tungs- und IT-Bran­che in­ne: Er war Busi­ness Unit Lea­der und Chief Tech­no­lo­gy Of­fi­cer im Tech­no­lo­gy Com­pe­tence Cen­ter bei Lo­gi­ca Deutsch­land und Nie­der­las­sungs­lei­ter bei Cap­ge­mi­ni sd&m in Ber­lin. Zu­vor lei­te­te er das Ber­li­ner Start-up Ber­med und war dort für die Pro­dukt­ent­wick­lung im Be­reich Te­le­me­di­zin ver­ant­wort­lich. Dr. Mül­ler Jo­nes er­hielt sein Di­plom und sei­nen Dok­tor­ti­tel in In­for­ma­tik von der Uni­ver­si­tät Hamburg.
Ihre Modernisierung muss daher wohlüberlegt und in ihren Auswirkungen verstanden sein. Auch wenn viele Versicherer ihre Reise in Richtung Cloud bereits gestartet haben, ist dennoch die Gefahr groß, den zunehmend rasanteren technologischen Entwicklungen hinterherzulaufen und insbesondere von neuen Wettwerbern überholt zu werden, die sich diese unmittelbar zu Nutze machen – ohne Alt-IT-Systeme berücksichtigen zu müssen.

Agiler entlang der gesamten Wertschöpfung

Versichern bleibt damit nichts anderes übrig, als das Tempo bei der Digitalisierung signifikant maßgeblich zu erhöhen, gleichzeitig wissend, dass gerade IT-Experten für die Umsetzung fehlen.

Die digitale Zwillingstechnologie bietet hier enorme Chancen für Dienstleister wie Versicherer, sich diesen Herausforderungen an Komplexität zu stellen und neue Lösungswege aufzuzeigen.”

Damit kann sie ein wichtiger Baustein einer zukunftsgerichteten digitalen Transformation sein. Denn letztendlich geht es um eines: durch weitestgehende Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette flexibler und agiler und damit auch wettbewerbsfähiger zu werden.

Doch wie können Digitale Zwillinge konkret zum Einsatz kommen? Eine Auswahl:

1.Für die Risikobewertung können Versicherer weit komplexere Szenarien als bisher simulieren, wie zum Beispiel Naturkatastrophen oder Marktveränderungen, um die Auswirkungen auf ihr Portfolio besser zu verstehen. Neue Möglichkeiten der Simulation gepaart mit Massendatenauswertung mittels Künstlicher Intelligenz ermöglichen ihnen, Risiken besser einzuschätzen, Prämien angemessen zu kalkulieren und geeignete Versicherungsprodukte zu entwickeln.

2.Im Bereich der Produktmodellierung lässt sich der gesamte Produktlebenszyklus mittels Personas abbilden und ihre Produktbedarfe für verschiedene Lebensphasen simulieren. Denn ein Studierender hat grundlegend andere Versicherungsbedürfnisse als ein frischvermähltes Paar, angehende Eltern oder ein Rentner.

Komplexere Wirkungszusammenhänge können so transparent gemacht und schnell verschiedenste Szenarien berechnet werden.”

Das schafft Flexibilität und beschleunigt den Entwicklungs- und Optimierungsprozess enorm.

3.Dies hilft dann auch, um Kunden personalisierte Angebote und Dienstleistungen anzubieten – das stärkt das Vertrauen der Kunden und verbessert die Kundenbindung.

4.In der Schadensbearbeitung lassen sich Digitale Zwillinge nutzen, um den Schaden von Versicherungsobjekten wie beispielsweise Gebäuden, Flugzeugen oder Autos besser und schneller zu analysieren. Eine schnelle Schadensregulierung wirkt sich positiv auf das Kundenerlebnis aus. Gleichzeitig bieten umfangreiche Analysemöglichkeiten Schutz vor Betrug und helfen, die Kosten für die Wiederherstellung so gering wie möglich zu halten.

4.Digitale Zwillinge können für die interne Prozessoptimierung zum Einsatz kommen etwa in der Schadensbearbeitung, Kundenbetreuung oder im Vertrieb.

Durch die Analyse von Prozessdaten lassen sich Optimierungspotenziale identifizieren und Effizienzverbesserungen auch mithilfe von Automatisierung vornehmen.”

Dadurch werden Mitarbeiter entlastet und können sich auf andere wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren.

Cloud-basierte Plattformen und Werkzeuge zur Datenanalyse machen den Einsatz Digitaler Zwillinge erst möglich. Die rasanten Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz oder auch dem Quantencomputing verheißen ebenfalls bisher nicht da gewesene Möglichkeiten, um auch sehr komplexe Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen und verschiedenartigste Szenarien zu berechnen. Dadurch nimmt der Nutzen von Digitalen Zwillingen stetig zu, gerade wenn es darum geht, Entscheider bei unternehmenskritischen Entscheidungen effektiv zu unterstützen.

TwinXTM
TCS bietet eine Lösung: TwinXTM (Website) spezialisiert sich auf die Erstellung und Verwaltung von digitalen Zwillingen. Die Plattform ermöglicht es Unternehmen, digitale Zwillinge von Produkten, Anlagen oder Prozessen zu erstellen und diese in Echtzeit zu simulieren. Das hilft Unternehmen, ihre Produkte und Prozesse zu optimieren und Risiken besser zu bewerten.

Zusammenfassung

Digitale Zwillinge können Versicherern einen signifikanten Mehrwert bieten, um beispielsweise Risiken, Kundenprofile und Geschäftsprozesse weitestgehend digital abzubilden, zu simulieren und zu optimieren. Komplexe Szenarien lassen sich dann im Regelbetrieb sogar hochgradig automatisiert ausführen und Mitarbeiter entlasten. Digitale Zwillinge unterstützen auch bei kritischen Entscheidungen, indem sie Wirkungszusammenhänge transparent und durch leistungsfähige Analysemöglichkeiten bewertbar machen. Das Ergebnis:

Die gewonnene Agilität und die schnelle Anpassungsfähigkeit schaffen einen erhöhten Innovationsgrad von Produkten und ein verbessertes Kundenerlebnis.”

Die entscheidende Grundlage dafür: Daten – je mehr und je detaillierter, desto besser. Und hier haben Versicherer einen großen Vorteil. Sie sind die Branche mit einem immensen Know-how im Umgang damit. Denn sie arbeiten längst mit einer riesigen Menge an Daten, die sie für die digitale Transformation nutzen können und müssen – ein wertvoller Schatz, den es dringend weiter zu heben gilt. Da sich Risiken, Kundenbedürfnisse und regulatorische Anforderungen im Laufe der Zeit allerdings ändern, ist es wichtig, dass Digitale Zwillinge kontinuierlich Zugriff auf aktuellste Daten haben. Nur so können sie sich an Veränderungen schnellstmöglich anpassen und stets ein genaues Abbild der realen Welt bieten, um eine fundierte und nachvollziehbare Grundlage für geschäftskritische Entscheidungen zu bieten.

Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass die Implementierung von Digitalen Zwillingen Investitionen erfordert – nicht nur finanziell.”

Hierzu gehört auch der Aufbau von umfangreichen Kompetenzen im eigenen Team. Eine lohnende Investition, um dem Wettbewerb zu begegnen, der die Möglichkeiten des rasanten technologischen Wandels schon bereits heute nutzt.

Mit Technologieplattformen schnell startklar

Es ist an der Zeit, dass Versicherungen den Einsatz digitaler Zwillingstechnologie vorantreiben, um ihre digitale Transformation schneller umzusetzen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit in der sich ständig und rasant weiterentwickelnden digitalen Landschaft zu sichern. Ja, sie hinken noch hinterher! Aber das Gute ist:

Versicherer können bereits heute auf umfangreiche technologische Lösungen aus einem soliden Mix aus Cloud- und KI-Technologien direkt aufbauen, ohne selbst eigene Lösungen entwickeln zu müssen.”

Das ermöglicht ihnen eine digitale Transformation im Zeitraffer – und ein Weg führt so oder so nicht daran vorbei.Dr. Kay Müller-Jones, Tata Consultancy Services

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