STRATEGIE24. August 2023

KI in der Finanzwelt: Zwischen Potenzial und Trägheit

KI in der Finanzwelt: Sladjana Schmidt ist Principal AI Strategist bei der appliedAI Initiative
Sladjana Schmidt ist Principal AI Strategist bei der appliedAI InitiativeappliedAI Initiative

KI bietet ein großes Potenzial für die Finanzwelt und wird über den zukünftigen Erfolg entscheiden. Doch die erfolgreiche Integration erfordert einen ganzheitlichen Ansatz und den Schulterschluss zwischen IT und dem restlichen Unternehmen.

von Sladjana Schmidt und Dr. Philipp Hartmann, appliedAI Initiative

Künstliche Intelligenz ist für die Finanzwelt relevant: Hier sind signifikante Investitionen in Digitalisierung und neue Technologien notwendig.

Doch für die Mehrheit der deutschen Finanzunternehmen spielt KI noch eine zu kleine Rolle. Bei Unternehmen, die die Technologie bereits integriert und erste Prototypen gebaut haben, scheitert es im nächsten Schritt am Proof of Concept.”

Wo Banken von KI profitieren sollten

KI in der Finanzwelt:: Dr. Philipp Hartmann ist Director of AI Strategy der appliedAI Initiative
Dr. Philipp Hartmann ist Director of AI Strategy der appliedAI InitiativeappliedAI Initiative

Was kann KI? Von einfacher Automatisierung bestehender Prozesse, Transformation von Geschäftsmodellen, große Datenmengen analysieren, Risikomuster identifizieren, Vorhersagemodelle entwickeln. KI-Algorithmen nutzen historische Daten, Marktindikatoren, um beispielsweise ein Kreditrisiko, Marktrisiko, operationelles Risiko oder Liquiditätsrisiko zu bewerten und damit Entscheidungen zu unterstützen.

Einige der Anwendungsfelder mit dem höchsten Geschäftswert sind:

Kundenanalyse und -bindung. Mittels KI können Kundendaten in kleinere Segmente unterteilt werden, um personalisierte Marketing- und Vertriebsstrategien zu entwickeln und ein besseres Verständnis der Kundenbedürfnisse und -präferenzen zu erhalten.

Zudem können Transaktionsdaten analysiert werden, um Einblicke in das Kaufverhalten der Kunden zu gewinnen und gezielte Empfehlungen für weitere Produkte oder Dienstleistungen zu geben. Durch KI-gestützte Analysen werden frühzeitig Anzeichen für eine mögliche Kundenabwanderung erkannt – geeignete Maßnahmen können ergriffen werden, um Kunden zu halten. KI kann Unternehmen dabei unterstützen, das Kundenerlebnis zu verbessern, indem es Feedback analysiert und personalisierte Lösungen zur Optimierung von Service und Support bietet.

Risikominimierung. KI kann verdächtige Transaktionen und ungewöhnliches Verhalten identifizieren, um Betrug und Geldwäsche vorzubeugen. Sie kann bei der automatisierten Kreditprüfung und -genehmigung helfen, um den Prozess effizienter und genauer zu gestalten. KI-Modelle können Kreditportfolios analysieren, um Risiken zu bewerten und strategische Entscheidungen für das Kreditmanagement zu unterstützen.

Chatbots. Bisher waren Chatbots wenig hilfreich. Doch die Entwicklung der KI im Bereich Sprachmodelle in den letzten Monaten erlaubt es, persönliche Ko-Piloten der Kunden zu bauen und sie dabei unterstützen, ihr Finanzwissen zu steigern und ihr Vermögen besser zu verwalten. So können KI-Lösungen Banken dabei unterstützen, kundenzentrierter zu werden.

Digitalisierte Prozesse. Darüber hinaus können KI-Lösungen eingesetzt werden, um bestehende Prozesse in Organisationen zu digitalisieren und Effizienzsteigerungen zu erzielen. Beispiele hierfür sind die Optimierung der Personalproduktivität sowohl im Service- als auch im Backoffice-Bereich, die Anlageoptimierung, die Cash-Management-Optimierung und die geografische Analyse von Filialstandorten.

Wo bleibt der sichtbare Mehrwert? … die Hinternisse!

Warum ist die Finanzbranche hier nicht schon viel weiter? Es gibt einige Hindernisse, die die Fortschritte bei der Einführung von KI in Finanzinstituten bremsen: Die Branche ist stark reguliert und mit dem „AI Act” der Europäischen Union kommen weitere Herausforderungen auf die Unternehmen zu. Zusätzlich kämpfen viele Organisationen mit der Modernisierung von veralteten Legacy-Systemen und stecken zum Teil noch in einer sehr frühen Digitalisierungsphase.

Autoren: Sladjana Schmidt & Dr. Philipp Hartmann, appliedAI Initiative
Sladjana Schmidt ist Principal AI Strategist bei der appliedAI Initiative (Website). Vor ihrer aktuellen Rolle war Frau Schmidt als Head of Digital Transformation & Innovation bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall tätig. Ihr akademischer Hintergrund umfasst ein Masterstudium der Computational Linguistics an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Dr. Philipp Hartmann ist Director of AI Strategy der appliedAI Initiative (Website). 2018 startete er als Senior AI Strategist und übernahm bereits 2019 durch seine umfassenden Kenntnisse im Bereich KI-Strategie die Rolle des Directors. Vor seiner Arbeit bei appliedAI war Dr. Hartmann als Senior Associate bei McKinsey & Company tätig und promovierte an der TU München zu Wettbewerbsfaktoren beim Einsatz von KI.

Nicht zuletzt hindern organisatorische, nach Funktionen getrennte Silos den Einsatz von KI. Das Feld muss gut sortiert werden, der Nutzen für die Organisation transparent gemacht und strategische Prioritäten gesetzt werden.

Die Rolle von IT muss neu definiert und Silos aufgebrochen werden

KI-Lösungen sinnvoll in bestehende Systeme und Prozesse zu integrieren, stellt für viele Organisationen mit Legacy-Systemen ein Problem dar. IT-Abteilungen müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter über fundiertes Wissen verfügen, KI effektiv einzusetzen. Dies umfasst Kenntnisse in Machine Learning Operations (MLOps), den Umgang mit den dafür notwendigen Tools und ein tiefgreifendes Verständnis von KI.

Insgesamt erfordert der Einsatz von KI insbesondere im Risikomanagement einer Bank eine enge Zusammenarbeit zwischen Experten aus dem Geschäftsfeld, Informatikern, Fachexperten für Risikomanagement und Compliance sowie Rechtsexperten.”

Nur so können die besonderen Anforderungen des „AI Act”, die Risikoklassifizierung, die Model-Erklärbarkeit, ethische Grundsätze, das Datenmanagement und die MLOps erfolgreich erfüllt werden.

KI-Initiativen müssen aus der C-Level-Ebene kommen

Zur Herausforderung, das KI-Team im Unternehmen an passender Stelle zu verorten, kommen in komplexen Organisationen auch Macht- und Politikdiskussionen zur begehrten KI-Ownership hinzu.”

So wird es schwierig, erste Erfolge im Bereich KI zu erzielen. Um KI auf einem höheren Niveau in einer Organisation umzusetzen, müssen KI-Initiativen sich stattdessen von Bottom-up Initiativen einzelner IT- oder Fachbereiche zu einer strategischen Priorität auf Top-Down-Ebene entwickeln. Es bedarf einer starken Unterstützung auf C-Level-Ebene, bei der alle Führungskräfte an einem Strang ziehen.

Interne IT wird Teil eines Technologie-Ökosystems und muss strategische „Make-or-Buy”-Entscheidungen unterstützen

Die Entscheidung zwischen „Make” oder “Buy” – also ob eine Bank auf aufwändige Eigenentwicklung setzt oder bereits auf dem Markt vorhandene Modelle und Lösungen nutzt, unterliegt einem stetigen Wandel aufgrund der hohen Entwicklungsdynamik bei verfügbaren Lösungen. Der “Sweet Spot” sind KI-Anwendungen, die einen hohen strategischen Wert haben und für welche die Unternehmen über die richtigen Kompetenzen und Daten verfügen, um sie zu entwickeln – diese sind typischerweise Anwendungen, die intern entwickelt werden.

Um eine zunehmend fragmentierte Partnerschaftslandschaft zu managen, müssen Finanzinstitute proaktiv die End-to-End-Verantwortlichkeiten und -Kontrollen, z. B. in Bezug auf Haftung und Datenaustausch, über viele Anbieterbeziehungen hinweg ermitteln und verwalten und mehr in das Anbietermanagement investieren.

Human-in-control: Die Entscheidungsgewalt muss beim Menschen liegen

Verantwortlichkeit, Transparenz, Fairness und Diskriminierung sind wichtige Aspekte, die bei der Implementierung von KI berücksichtigt werden müssen. Nur so entwickeln sich KI-Systeme im Einklang mit den gesellschaftlichen Werten und Normen.

Die Einbindung des Menschen in KI-Systeme ist ein wichtiger Faktor, um die Kontrolle und Verantwortung über Entscheidungen zu gewährleisten.”

Konzepte wie “Human-in-control” und “Human-in-the-loop” betonen die Notwendigkeit, dass Menschen die endgültige Entscheidungsgewalt behalten und in den Entscheidungsprozess von KI-Systemen einbezogen werden. Dies dient dazu, mögliche Fehler oder unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden und die Transparenz sowie Vertrauenswürdigkeit von KI-Systemen zu stärken.

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die technische, rechtliche, ethische und soziale Aspekte berücksichtigt. Es ist wichtig, dass Organisationen und Stakeholder gemeinsam an Lösungen arbeiten, um die Implementierung von KI auf verantwortungsvolle und nachhaltige Weise voranzutreiben. Hier spielt der IT-Bereich auch eine große Rolle.

Der Einsatz von KI erfordert auch den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer speziellen Tool Chain.”

Diese Tool Chain umfasst die Auswahl und Implementierung von KI-Algorithmen, die Entwicklung von Trainingsdaten und die Konfiguration der KI-Modelle. Die Tool Chain muss den hohen Anforderungen der Finanzbranche entsprechen und den Einsatz von KI-Technologien optimal unterstützen.

Darüber hinaus stellen der Live-Betrieb von KI-Modellen und die damit verbundenen MLOps spezielle Anforderungen an die IT-Abteilung. Regelmäßige Modellkontrollen sind erforderlich,

… um potenzielle „Modeldrifts“ und „Biases“ zu identifizieren.”

Dies bedeutet, dass die Modelle regelmäßig überwacht und aktualisiert werden müssen, um eine konsistente und zuverlässige Leistung sicherzustellen. Die IT-Abteilung muss diese Überwachungsprozesse in den bestehenden Development and Operations-Betrieb (DevOps) integrieren. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass alle relevanten rechtlichen und regulatorischen Vorschriften eingehalten werden.

The winner takes it all

KI ändert alles – Risikomanagement, grundlegende Bankprozesse, Automatisierung. IT-Bereiche müssen sich dieser Veränderung aktiv stellen. Die Bereitstellung von Ressourcen für lebenslanges Lernen und enge Zusammenarbeit zwischen den KI-Experten und den Fachbereichen sind entscheidend. So können Sie den Herausforderungen und Chancen der KI-Revolution gerecht werden.Sladjana Schmidt und Dr. Philipp Hartmann, appliedAI Initiative

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