STRATEGIE6. November 2023

„Projekte genießen keinen guten Ruf“ – Interview mit Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank

Projektarbeit ist auf dem Vormarsch. Angestellte verbringen heute schon jede dritte Stunde, die sie für die Arbeit aufbringen, in einem Projekt. Sie übernehmen also immer weniger feste Aufgaben. Stattdessen arbeiten sie dort, wo ihre Expertise gefragt wird. Doch diese neue Art zu arbeiten hat auch ihre Schattenseiten. „Wir haben manchmal das Gefühl, dass nichts fertig wird“, sagt Tanja Micheel-Scharifi von der SozialBank im Gespräch mit Christian Kühne von der Unternehmensberatung Ambior.

Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank
Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank SozialBank

Frau Micheel-Scharifi, Studien zeigen, dass zwei von drei Transformationsprojekten scheitern. Warum ist das so und wie gehen Sie damit um?

Micheel-Scharifi: Ich halte die Zahl für etwas übertrieben. Aber es stimmt schon, dass man in einem großen Transformationsprojekt viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten muss. Gelegentlich fällt dabei auch mal einer runter. Das heißt aber nicht, dass ein Projekt deshalb gleich scheitert. Es ist völlig normal, dass sich Meilensteine verschieben. Die Projektleitung muss aber erkennen, was das bedeutet, und gegebenenfalls eingreifen.

Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass ein Projekt erst dann als erfolgreich gilt, wenn alles genauso läuft wie geplant.”

Wie meinen Sie das, müssen Sie mit den Projekten nicht mehr fertig werden?

Micheel-Scharifi: Doch, doch. Unser Mindset ist aber ein anderes. Wenn wir einen Projektplan schreiben, dann stehen da natürlich alle wichtigen Meilensteine bis zum Rollout drin. Würden wir aber sagen, dass wir erst weitermachen, wenn immer die 100 Prozent erreicht sind, dann ließe sich wohl kaum ein Termin wirklich halten. Viel wichtiger ist zu fragen, ob das, was noch fehlt, das Projekt gefährdet oder ob wir trotzdem weitermachen können. Die entscheidende Frage ist deshalb nicht, ob die Lösung perfekt ist, sondern ob sie stabil läuft. Ich gebe aber zu, dass wir dadurch manchmal das Gefühl haben, dass nichts fertig wird.

Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Micheel-Scharifi:

Eine Migration des Kernbanksystems ist ein gutes Beispiel. Die findet zu einem bestimmten Stichtag statt. Und einen Tag später muss die Bank immer noch funktionieren. Ob wirklich alle geplanten Features drin sind oder ob wir sie später nachliefern, ist zweitrangig. Wir müssen generell mehr in MVPs denken und weniger in ganz großen Würfen.”

Christian Kühne, Ambior
Christian Kühne, Ambior Ambior

Kühne: Wobei das schon nahe an der idealen Vorstellung ist. Mir begegnen häufig Projekte, die sich zwar schon agil nennen. In Wahrheit sind es aber viele kleine Wasserfälle statt eines großen, wie bisher. Den Riesensprung haben viele Banken noch vor sich. Dahinter steckt ein gigantischer Kulturwandel. Wer in einem Projekt arbeitet, trifft praktisch ständig andere Leute. Damit geht es schon los. Das ist etwas völlig anderes als in einem Team zu arbeiten, das sich in und auswendig kennt und weitgehend immer das gleiche tut.

Micheel-Scharifi: Das stimmt. Sich gegenseitig zu vertrauen, fällt unter bekannten Gesichtern sicher viel leichter als in einem Team, das sich gerade erst kennenlernt. Das gilt vor allem, wenn schwierige Entscheidungen anstehen oder Risiken abgewogen werden müssen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen viel mehr Druck aushalten. Darum sollten Führungskräfte darauf achten, kein zusätzliches Öl ins Feuer zu gießen. Ihre Aufgabe verändert sich auch, weg vom Führen, hin zum Coachen.

Kühne: Ich glaube, es geht auch viel um symbolisierte Verantwortung. Häufig darf das Team zwar entscheiden. Wenn es schiefgeht, ist es aber immer noch der Projektleiter, der mit dem Kopf in der Guillotine steckt.

Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank
Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank SozialBank

Tanja Micheel-Scharifi ist Bereichsleiterin Marktfolge bei der SozialBank (Website). Seit 2016 hat sie zudem als Bereichsleiterin Organisation und IT gewirkt sowie als Chief Transformation Officer und als Programmleiterin für die Migration des Kernbanksystems. Zuvor war sie bei der VR FinanzDienstLeistung und der readybank beschäftigt. Ihre Karriere begann sie im Jahr 2000 bei der WestLB als Datenbankentwicklerin.

Micheel-Scharifi: Ja, das ist mein Risiko als Projektleitung. Daher muss ich nah an den Leuten dran sein, viel nachfragen und Vertrauen schenken. Die Entscheidungen würden aber auch nicht besser, wenn die Köpfe der Projektmitarbeitenden in der Guillotine stecken würden. Das darf einfach nicht mehr passieren, darum müssen sich Banken eine andere Fehlerkultur antrainieren.

Womit haben die Angestellten in der Projektwelt am meisten zu kämpfen?

Kühne: Unruhige Führungskräfte, wie Tanja es grad beschrieben hat, gehören sicher dazu. Aber auch, dass sich das geforderte Know-how vom rein Fachlichen hin zu mehr Methodensicherheit entwickelt. Gemeint sind Methoden, die ich im Projekt brauche. Methodenstarke Projektleiter, die auch wirklich Projekte leiten und das nicht nebenbei tun, gibt es nicht ausreichend in Banken. Das heißt, viele Kolleginnen und Kollegen spüren, dass immer mehr auf sie einprasselt, aber es gibt niemanden, der all das auffängt und im besten Fall von ihnen fernhält.

Micheel-Scharifi: Richtig. Alles wird digitaler, es gibt viel mehr Anknüpfungspunkte und damit auch viel mehr, was einen ablenkt. Darum müssen wir in den Teams, aber auch als Organisation insgesamt, resilienter werden.

Wenn wir morgen immer noch dasselbe machen wie heute, schafft das zwar Stabilität – und vielen ist das auch wichtig, weil sie zeigen können, wie gut sie sind. Ich halte das aber für eine falsche Sicherheit.”

Kühne: Wenn wir ehrlich sind, genießen Projekte auch keinen guten Ruf. Weil sie, verglichen mit den geordneten Abläufen innerhalb der Linie, viel chaotischer aussehen. Wie damals in der Schule, wenn es plötzlich hieß: Jetzt machen wir Teamarbeit. Viele wollen das nicht, weil sie schlechte Erfahrungen damit gesammelt haben und ihre Zeit nicht vertrödeln wollen. Und einige Bereiche in Banken haben das noch gefördert, weil sie viele Projekte wie eine lästige Pflicht behandelt haben. Wer will schon in einem langweiligen Projekt sitzen, mit dem keiner glänzen kann?

Micheel-Scharifi: Da gebe ich Christian recht. Das betrifft aber nicht nur Banken. Viele Firmen müssen sich damit beschäftigen, wie sie so etwas wie eine Projektkultur entwickeln.

Was schlagen Sie konkret vor?

Kühne: Ich glaube, es kommt vor allem darauf an, dass Profis die Projekte leiten. Wenn das wie bisher die besonders guten Abteilungsleiter tun, die nebenbei ihren eigenen Laden managen, dann entstehen automatisch Interessenkonflikte. Und jede Bank braucht ihre Standards. Wichtig ist, dass sich die Ergebnisse aus einem Projekt in einem anderen reproduzieren lassen. Damit meine ich die Qualität, nicht die konkreten Inhalte.

Wenn die einzelnen Projektteams sehen, dass wirklich jedes Projekt auf dem gleichen Niveau abläuft, fassen sie automatisch auch das nötige Vertrauen.”

Welche Standards sollten das sein?

Christian Kühne, Ambior
Christian Kühne, Ambior Ambior

Christian Kühne ist Gründer und Partner bei Ambior (Website). Die Unternehmensberatung ist spezialisiert auf methodisches Projektmanagement und Prozessmanagement. Seit 2012 ist Kühne mit mehreren Unternehmen selbständig. Zuvor war der Wirtschaftsinformatiker unter anderem als Consultant für digitale Transformation tätig. Seine Karriere begann bei der LBBW im Bereich Organisation und IT (Org/IT) und IT Financial Markets.

Kühne: Dafür will ich keine Vorgaben machen. In den meisten Fällen fahren Banken am besten, wenn sie sich aus den verschiedenen Methoden, wie ein Projekt abläuft, ein eigenes Set bauen, auf das sie immer wieder zugreifen. Dazu gehören die richtigen Gremien, Abläufe um die Projekte herum, Tools. Wenn jeder Projektleiter das selbständig macht, entsteht das, was wir bei Low Code und No Code in der IT manchmal sehen: eine Schatten-IT, gemanagt von Leuten, die vorher noch nie Software selbst entwickelt haben und jetzt in dieselben Fallgruben fallen wie die IT-Kollegen vor ihnen. Ich würde dafür so etwas wie ein zentrales, methodisch starkes Projektmanagement Office einführen.

Micheel-Scharifi: Einen ganz praktischen Tipp möchte ich noch ergänzen. Weil viele der agilen Methoden aus der Software-Entwicklung kommen, kann es sich lohnen, in der IT auch nach Ideen zu suchen, um die beschriebene Unsicherheit aufzufangen. Pair Programming, gemeinsames Programmieren, ist so ein Beispiel. Wir haben das adaptiert und nennen das „Pair Casing“. Dabei bearbeiten Zweierteams zusammen einen konkreten Fall. Das kostet zunächst zwar viel Zeit, bringt aber sehr schnell sehr viel Sicherheit ins Geschäft. Genau das, was wir brauchen.

Kühne: Pair Casing gefällt mir. Damit nimmt die Bank Rücksicht darauf, dass es so etwas wie ein menschliches Funktionieren gibt, das sich von einem mechanischen unterscheidet. Wir sind eben keine Roboter, sondern zum Glück noch menschlich – und wir müssen uns immer neu gewöhnen, wenn wir in anderen Kontexten arbeiten. Damit sicher umzugehen, kann man aber lernen und wir müssen das auch. Denn wenn mehr Leute entscheiden, können sich auch mehr Leute irren.

Micheel-Scharifi: Uns kann ständig etwas passieren, grad weil wir wollen, dass innerhalb der Projekte entschieden wird und nicht in der Hierarchie. Das darf die Leute aber nicht aus der Bahn werfen. Anders als in der Schule, um das Beispiel noch mal aufzugreifen, gibt es bei uns keine schlechte Note, wenn nicht alle Aufgaben richtig gelöst werden.

Es ist erstaunlich, wie verankert der Gedanke ist, dass Fehler etwas Schlechtes sind. Dieser Makel, der dem Fehler anhaftet, muss aus den Köpfen wieder raus.”

Aber wenn etwas schiefgeht, können Sie doch auch nicht einfach sagen: Dann ist das halt so.

Micheel-Scharifi: Das meine ich auch nicht so. Wenn etwas passiert, müssen wir es ausbügeln, ist doch klar. Was ich meine, ist, wie jemand mit Fehlern umgeht, bevor sie passieren. Die einen sagen dabei: Haben wir wirklich an alles gedacht? Und die anderen sagen: Zeig mir das doch einfach, dann fange ich schon mal an. Bei uns gibt es Werkstudenten, die fragen uns, habt ihr ein Youtube-Video dazu? Die wollen keine Schulungen, die wollen sofort selber machen.

Kühne: Kultur ist ein ganz großes Thema, grad bei den jungen Leuten. Okay, da bin ich nicht der erste, der das sagt. Was mir aber auffällt, ist genau das: Viele aus der jüngeren Generation fangen viele Dinge an, bringen sie aber nicht immer auch durchs Ziel. Das ist ein Problem, weil Projekte sehr häufig auch lange Fleißphasen beinhalten, die viel mit Excel und Vorlagen zu tun haben. Das ist nicht hipp und fancy und wird deshalb häufig auch schnell wieder langweilig.

Micheel-Scharifi: Die Gefahr sehen wir auch, darum versuchen wir schon im Vorstellungsgespräch keine falschen Erwartungen zu wecken. Wir sind ja auch häufig fremdbestimmt, etwa bei den regulatorischen Themen – da gibt es teilweise keine Übergangsfristen, das muss sofort gemacht werden. Ich habe aber schon das Gefühl, dass die jungen Leute das verstehen und sie lassen sich auch darauf ein, wenn wir uns im Gegenzug darauf einlassen, dass die Gen Z anders arbeitet.

Mein Eindruck ist, dass die jungen Menschen einfach verstehen wollen, wie sie mit ihrer Art zu arbeiten in unsere Art der Arbeit hineinpassen.”

Um eine dieser Arten zu arbeiten bricht derzeit ein wahrer Kampf aus: Home Office. Wie stehen Sie dazu?

Micheel-Scharifi: Junge Leute fordern das ganz klar. Sie wollen selbst entscheiden, wann und wo sie arbeiten. Teilweise zu völlig absurden Zeiten. Was bei uns schon als revolutionär gilt, nehmen sie immer noch wie die alte Welt wahr. Manche Aufgaben allerdings lassen sich in meinen Augen nicht allein im Home Office erledigen, darauf ist das Projektgeschäft nicht ausgelegt.

Kühne: Sehe ich auch so. Wer in der Linie arbeitet, den leiten auch im Home Office etablierte Abläufe. Im Projekt muss ich mich aber viel mehr abstimmen, immer mit anderen Leuten. Alles remote geht da kaum. Und es stellt auch die Führungskräfte vor ein Problem: „Management by Walking Around“ funktioniert nicht mehr. Ich muss gezielt nachfragen, ob alles stimmt. Das kann wie ein Kontrollversuch wirken, obwohl genau das gleiche Gespräch, fände es im Büro statt, als aufrichtiges Interesse wahrgenommen würde.

Würden Sie Home Office wieder abschaffen, wie es viele Unternehmen machen?

Kühne: Nein, das nicht. Ich warne bloß davor, von vornherein zu sagen, dass per default alle im Home Office arbeiten. Das ist wirklich anspruchsvoll. Ich finde auch, dass sich ein Unternehmen vielleicht fragen sollte, ob es auf dem richtigen Weg ist, wenn die Leute gar nicht mehr im Büro erscheinen wollen. Es kommt auf die passende Balance an.

Micheel-Scharifi: Ja. Ich möchte aber trotzdem noch etwas geraderücken, was in der medialen Diskussion manchmal zu scharf formuliert wird. Junge Leute wollen meiner Erfahrung nach ihren Willen nicht gegen alle Widerstände durchdrücken. Sie wollen als jemand wahrgenommen werden, der verantwortlich entscheiden kann, auch und gerade im Sinne der Bank.

Sie sagen nicht: ätsch, ich komme morgen nicht. Sondern sie sagen, dass sie nicht erst fragen möchten, wenn sie von woanders arbeiten wollen. Diese Kompetenz, selbst einzuschätzen, was geht und was nicht, die sollten wir ihnen geben.”

Kühne: (nickt)

Welchen abschließenden Ratschlag haben Sie für die Bankvorstände, damit Projekte einen besseren Ruf bekommen und auch klappen?

Micheel-Scharifi: Ehrlich gesagt, fühle ich mich bei der Frage selbst angesprochen. Ich komme nicht aus dem Kreditgeschäft, muss also aktuell viel nachfragen. Aber ich bringe andere Kompetenzen mit, die sich im heutigen Projektgeschäft auszahlen. Darauf will ich jetzt nicht im Detail eingehen. Was mir aber wichtig ist: Als Führungskraft sollte ich mich nicht zu sehr operativ einschalten. Wer in einer Bank Karriere gemacht hat, tut das aber häufig noch. Ein zweischneidiges Schwert: Einerseits zu verstehen, was gemacht wird. Andererseits sich davor hüten, möglicherweise überholte Vorgaben zu machen. Kurz gesagt, muss ich mich auf die Fachexpertise im Haus einfach verlassen.

Kühne: Ein Vorstand kann das prima unterstützen durch einen Sponsor für jedes Projekt, das im eigenen Haus gemacht wird. Dieser Sponsor ist über dem Projektleiter verantwortlich dafür, dass das Projekt die Ressourcen bekommt, die es benötigt – und das vor allem gegen politische Widerstände auch durchsetzt. Projektleiter können das oft nicht leisten, sie setzen bloß um und müssen nicht mit dem arbeiten, was schließlich dabei herauskommt. Mein Lieblingssatz lautet: „Ich brauch’s nicht.“

Vielen Dank für das Gespräch! Tanja Micheel-Scharifi, SozialBank und Christian Kühne, Ambior

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