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IT-STRATEGIE / IT-PRAXIS20. Februar 2019

Klartext: “RPA entwickelt sich immer häufiger zu einem süßen Gift” – Warum RPA die Transformation behindert

Jakob Freund, CEO Camunda Services

Sechs von zehn Unternehmen im DACH-Raum wollen im Jahr 2020 bereits zwischen zehn und 25 geschäftliche Abläufe von sogenannten Software-Robotern erledigen lassen. Das hat ISG in einer Umfrage ermittelt. Aus den Ergebnissen geht aber auch hervor, dass die Firmen zu viel von Robotic Process Automation  erwarten. Drei Gründe, warum RPA sogar die digitale Transformation gefährden kann.

von Jakob Freund, CEO Camunda Services

RPA steht für Software-Roboter, die Aufgaben automatisch erledigen. Der Begriff rührt daher, dass die menschlichen Eingaben auf der Benutzeroberfläche (GUI) einer Anwendung durch das RPA-Programm simuliert werden. Falls die entsprechende Anwendung eine API zur Verfügung stellt, sollte sie lieber mit einer Workflow-Engine angesteuert werden. Dagegen Software ohne eigene API in einen automatisierten Vorgang zu integrieren, ist der tatsächliche „Sweet Spot“ für einen sinnvollen Einsatz.

RPA als Painkiller einsetzen

Unternehmen nutzen heute noch CRM- oder ERP-Systeme von denen sie wissen, dass ein Update dringend notwendig wäre. Doch müssen die Entwickler erfahrungsgemäß zwischen 12 und 18 Monaten Zeit investieren, die an anderer Stelle fehlt.”

Weil aber keine API zur Verfügung steht, müssen hochqualifizierte Mitarbeiter tägliche viele Stunden darauf verwenden, händisch Daten in diese Systeme einzutragen. Diese Arbeit an einen Software-Roboter abzugeben, erscheint deshalb wirtschaftlich sinnvoll. Dafür eignet sich RPA optimal: Zeitaufwändige manuelle Arbeitsschritte zu ersetzen, die sich auf programmiertechnischer Ebene nicht automatisieren lassen. Auf diese Weise können Abläufe sogar in einen durch eine Workflow Engine durchgängig automatisierten Geschäftsprozess integriert werden (vgl. Abb. 1.).

RPA-Flow integriert in ein BPM-System
RPA-Flow integriert in ein BPM-SystemCamunda Services

So bremst RPA die digitale Transformation aus

RPA entwickelt sich jedoch immer häufiger zu einem süßen Gift. Weil sich eine Lösung verhältnismäßig leicht einrichten lässt, neigen Entscheider dazu, Legacy-IT länger am Leben zu erhalten, als fachlich geboten wäre.”

Vielfach sind diese Systeme veraltet und können mit den heutigen Anforderungen kaum noch mithalten. Banken beispielsweise setzen im Core Banking immer noch Systeme ein, die sie vor der Jahrtausendwende eingeführt haben.

Gegen die modernen Angreifer – FinTechs wie N26 oder Wirecard, Technologiekonzerne wie Amazon oder Google – hat diese Dinosaurier-IT keine Chance mehr. RPA allerdings vermittelt die Illusion, der digitalen Transformation ein Schnippchen schlagen zu können.”

Damit erhöhen die Unternehmen nur ihre technischen Schulden. RPA trägt zur Qualität der technischen Infrastruktur nichts bei, sondern lindert bloß die akuten Schmerzen. Folglich lässt der Druck auf das Top-Management nach, substanziell in die IT-Infrastruktur zu investieren. Das führt mitunter zum nächsten Problem. Um die ohnehin veralteten Systeme herum entsteht eine durch RPA getriebene Schatten-IT, die mit hundertprozentiger Sicherheit im Laufe der Zeit permanente operative Schwierigkeiten heraufbeschwört. Fachabteilungen beginnen beispielsweise damit, eigene Lösungen zu entwickeln, die sich ähnlich schädlich auf das Gesamtsystem auswirken wie die berühmten Excel-Workarounds der 90er-Jahre. Zudem steigen Komplexität und Fehleranfälligkeit an – und das treibt wiederum die Maintenance-Kosten, weil IT-Abteilungen damit beschäftigt sind, Software-Roboter zu pflegen, die sie nicht selbst entwickelt und eingeführt haben.

Autor Jakob Freund, Camunda Services
Jakob Freund ist CEO von Camunda Services. Der Wirtschaftsinformatiker hat das Unternehmen, das eine Open Source-Lösung für Workflow Automation und Decision Management anbietet, 2008 gemeinsam mit Bernd Rücker gegründet. Davor hat Freund unter anderem als Solution Architect und Consultant in der Digitalwirtschaft gearbeitet.

Der massenhafte RPA-Einsatz legt zudem eine organisatorische Schwäche offen. Weil RPA in den Fachabteilungen umgesetzt werden kann, entzieht sich deren Einsatz zunehmend der Kontrolle durch die IT.”

Innerhalb der operativen Einheiten entstehen deshalb so etwas wie „RPA Excellence Center“, in denen die Fachexperten beginnen, Know-how aufzubauen und sich über ihre gesammelten Erfahrungen auszutauschen. Anders ausgedrückt: Sie lernen auf die harte Tour, wie man Software entwickelt. Requirements Engineering, Regressionstests, Deployments, Bugfixing – die Liste der für die Fachabteilungen vollkommen neuen Lernfelder ist lang.

RPA fördert Beharrungskräfte

Ausgerechnet eine der größten Stärken von RPA entwickelt sich zur Falle: der simple und sogar ad hoc zügig zu realisierende Einsatz. Eine Umfrage der Beratungsfirma etventure legt zudem offen, dass sich viele Organisationen ohnehin schon ein zu behäbiges Vorgehen leisten, wenn es darum geht, das eigene Geschäft zu digitalisieren. 58 Prozent der befragten Manager klagen etwa, dass viele Mitarbeiter bestehende Strukturen verteidigen würden. Jeder dritte Entscheider bewertet die Qualität der digitalen Infrastruktur gerade mal als ausreichend oder sogar mangelhaft. In so einem Umfeld kann RPA schnell den Nimbus eines Alleskönners aufbauen.

Dabei muss jedem klar sein, dass RPA eine ziemlich zerbrechliche Angelegenheit ist.

Schon eine nur leicht veränderte Benutzeroberfläche bei einer RPA-gesteuerten Software führt dazu, dass das gesamte System hängt. Besonders pikant ist das bei Software, auf die das Unternehmen hinsichtlich eventueller Aktualisierungen kaum Einfluss nehmen kann.”

In einem harmlosen Fall hat ein Update für den Adobe Reader dafür gesorgt, dass der Software-Roboter den Dienst quittierte. Gravierender aber sind Lösungen in komplexen IT-Landschaften, wenn nicht auf den ersten Blick klar ist, an welcher Stelle eine veränderte GUI den Roboter abstürzen lässt.

Fazit: Ja, aber nicht bei Kernprozessen

Wer Software-Roboter im Unternehmen einsetzen möchte, sollte eine RPA-Policy einführen, die mögliche Einsatzzwecke und deren Grenzen festlegt. Als Faustregel gilt: eher die weniger geschäftskritischen administrativen Prozesse mit RPA beschleunigen. Der Einsatz für die tatsächlichen Kernprozesse hingegen ist bedenklich und sollte vermieden werden. Zudem ist es unerlässlich zu dokumentieren, an welchen Stellen und zu welchem Zweck Lösungen eingesetzt werden.

Solange sich die durch RPA am Leben erhaltenen Systeme nicht abschalten lassen, sollten Integration, Wartung und Kontrolle der Roboterhelfer zentral durch die IT gesteuert werden, damit keine Schatten-IT entsteht oder plötzliche IT-Ausfälle wegen dezentral entwickelter Tools auftreten.”

Mittelfristig aber kommt kein Unternehmen darum herum, die geschäftskritischen Kernprozesse auf eine moderne IT-Infrastruktur zu migrieren.aj

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