STRATEGIE9. Dezember 2021

„Smart Contracts“ auf dem Prüfstand: Urteil zu Remote-Sperren – automatisierte Vertragsabwicklung wackelt

Experte für Smart Contracts: Dr. Christoph Krück, SKW Schwarz
Dr. Christoph Krück, SKW SchwarzSKW Schwarz

Eine der wesentlichen Ideen hinter Smart Contracts ist die automatisierte Abwicklung von Vertrags­verhältnissen. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Az. I-20 U 116/20) zur Remote-Sperrung einer Batterie für ein E-Auto könnte nunmehr die automatisierte Vertragsabwicklung in bestimmten Bereichen in Frage stellen.

von Dr. Christoph Krück, SKW Schwarz 

Ein Verbraucherschutzverein hatte gegen eine Finanzierungs-Tochter von Renault geklagt, die unter anderem Batterien für Elektrofahrzeuge von Renault vermietet. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthielten eine Klausel, die dem Unternehmen das Recht zusprach, im Falle der außerordentlichen Vertragsbeendigung und nach vorheriger Ankündigung eine Sperre für die Wiederauflademöglichkeit der Batterie zu setzen.

Das OLG Düsseldorf erklärte die Klausel für unwirksam, da sich die Finanzierungsgesellschaft über die AGB ein Recht einräumen lasse, das von wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen garantierten Besitzschutzes unangemessen abweiche. Das Sperren der Wiederauflademöglichkeit stelle eine verbotene Eigenmacht dar; dem Kunden werde ein geordnetes staatliches Vollstreckungsverfahren vorenthalten.

Das Gericht machte dabei keinen Unterschied zwischen dem Fall, dass die Sperrung automatisch mittels Blockchain im Rahmen eines Smart Contracts abläuft, und der Situation, dass ein Mitarbeiter die Sperrung mittels Remote-Zugriff auslöst.”

In beiden Fällen sahen die Richter in der Remote-Sperrung eine sogenannte „unrechtmäßige Besitzstörung“ beim Mieter: Der Mieter verfüge zwar noch immer über die Batterie. Er könne diese jedoch nicht mehr bestimmungsgemäß nutzen, weil er sie nicht mehr aufladen und im E-Auto nutzen könne.

Das Argument der Finanzierungsgesellschaft, dass der Mieter jederzeit eine Batterie kaufen könne und dass schließlich auch im Mobilfunkbereich automatische Einschränkungen und Sperrungen von Leistungen zulässig seien, ließ das OLG nicht gelten. Denn anders als hier habe für Mobilfunkverträge, so das Gericht, der Gesetzgeber ausdrücklich Vorgaben gemacht und die Sperrung unterläge hier auch sehr engen Voraussetzungen.

Ist die Idee von Smart Contracts damit am Ende?

Die automatisierte Abwicklung von Vertragsverhältnissen ist eine wesentliche Idee hinter Smart Contracts. Oft wird dabei die Blockchain-Technologie eingesetzt, wodurch zum Beispiel (rechnungslose) Zahlungstransaktionen automatisch ausgelöst werden können – wohl einer der verbreitetsten Anwendungsfälle. Auch Versicherungen experimentieren mit der Technologie. Die Axa setzte bei einer Police für die Absicherung von Flugverspätungen auf die Blockchain-Technologie und regulierte damit bei zweistündigen Verspätungen oder Flugabsagen automatisch den entstandenen Schaden. Über den Einsatz von Smart Contracts wird aber auch im Bereich KfZ-Leasing nachgedacht, etwa über die Möglichkeit der automatischen Sperre bei Zahlungsausfällen; der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall ist dafür ein Beispiel.

Autor Dr. Christoph Krück, SKW Schwarz
Dr. Christoph Krück hat in Leipzig Rechtswissenschaften studiert und das Referendariat in Berlin mit Stationen am Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie in einer Kanzlei in Massachusetts, USA, abgeleistet. Seit 2016 ist er als Rechtsanwalt tätig und dies seit 2019 bei SKW Schwarz (Webseite) in München. Er ist u.a. Mitglied im Blockchain-Bundesverband und in der ITechLaw – International Technology Law Association.

Eine Automatisierung ist dabei auf verschiedenen Ebenen denkbar. Praktisch am einfachsten zu realisieren sind der automatisierte Leistungsaustausch und die Zahlungsabwicklung. Klassische Beispiele sind das Auslösen von Abschlagszahlungen beim Erreichen bestimmter Erfüllungsstufen eines Projekts, die Öffnung einer Hotelzimmertür nach Bezahlung der Übernachtungskosten oder die Auszahlung des Kaufpreises nach Auslieferung der Ware.

Wirtschaftlich und praktisch interessant sind aber auch Fälle, in denen Rechte und Pflichten aus einem Vertrag automatisiert durchgesetzt werden, so wie dies im Fall des OLG Düsseldorf vorgesehen war. Juristisch betrachtet ist die automatisierte Abwicklung auf der Ebene der Vertragsdurchsetzung jedoch deutlich herausfordernder und komplexer. Hier können unklare Definitionen und Voraussetzungen, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder Härtefälle eine Rolle spielen. In diesem Bereich sind die rechtlichen Strukturen in der Regel komplexer als eine „Wenn-Dann-Gleichung“.

Das OLG Düsseldorf verbietet die Automatisierung auf dieser Ebene nicht generell. Es kommt gleichwohl durch die Bewertung der automatisierten Remote-Sperrung als „Besitzstörung“ zu dem Schluss, dass die konkrete AGB-Klausel nichtig ist. Ob und inwieweit das Urteil damit Smart Contracts im Finanzierungsbereich grundsätzlich ins Wanken bringt, ist damit noch nicht ausgemacht. Die Bewertungen des Gerichts scheinen jedenfalls nicht zwingend. In einem anderen Fall, in dem es um die Frage der Besitzstörung ging, und der hier durchaus als Vergleich dienen kann, hatte der BGH nämlich entschieden, dass die Einstellung der Versorgung mit Heizenergie durch den Vermieter keine Besitzstörung hinsichtlich der Mieträume des Mieters sei. Im Fall befand sich der Mieter unter anderen mit Mietzinsen und Nutzungsentschädigung im Zahlungsverzug.

Gerade aufgrund einer Vielzahl ungeklärter Fragen ist es erfreulich, dass das OLG die Revision zum BGH zugelassen hat – und zwar ausdrücklich unter dem Hinweis, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.”

Das Gericht nannte insofern als weiteres relevantes Beispiel Remote-Wegfahrsperren bei Leasingfahrzeugen, beispielsweise im Falle von Zahlungsverzug des Leasingnehmers.

Praxistipp

Finanzierungsgesellschaften, die in ihren AGB Klauseln zu Remote-Sperren oder dem Einschränken von bestimmten Leistungen vorsehen, sollten diese aber kritisch auf Anpassungsbedarf überprüfen, zumindest dann, wenn sie die Nutzung von Produkten stark einschränken. Bei der Bewertung einer konkreten Klausel wird es vor allem darum gehen, ob diese ausgewogen oder ob sie unangemessen ist. Für die Ausgewogenheit können zum Beispiel angemessene Ankündigungsfristen für die Sperrung bzw. Einschränkung sprechen oder auch die Möglichkeit, dass der Kunde (standardisiert) Gegenrechte (beispielsweise Minderung oder Mängelansprüche) geltend machen kann. Zu prüfen ist auch, ob Schwellenwerte (beispielsweise eine Sperre erst ab Erreichen einer bestimmten Summe von X Euro) oder Härtefälle ausgenommen werden können oder ob eine sukzessive oder zeitlich beschränkte Sperrung oder Einschränkung denkbar ist. Nichtsdestotrotz müssen solche Klauseln nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf kritisch betrachtet und sich das Risikos der Nichtigkeit bewusst gemacht werden.

Der Fall zeigt letztlich auch, dass die technischen Möglichkeiten von Smart Contracts ihrer rechtlichen Einstufung in der Praxis noch voraus sind.”

Jedenfalls auf der Ebene der automatischen Durchsetzung von Verträgen ist daher Augenmaß bei der technischen und rechtlichen Umsetzung gefordert.Dr. Christoph Krück, SKW Schwarz

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