Anzeige
STUDIEN & UMFRAGEN19. Juli 2019

Finance-IT und KI? „Der nächste Schritt wird em­pa­thi­sches Lernen sein, das sich in den Kunden einfühlt“

Von KI begeistert: Thomas Hellweg (Sales Director DACH Insurance and Finance bei Pegasystems)
Thomas Hellweg, Sales Director DACH Insurance and Finance bei PegasystemsTmaxSoft

KI und regelbasierte Systeme haben sich seit den 1980er Jahren rasant entwickelt, auch weil seitdem die Hardware immer leistungsfähiger geworden ist. Mittlerweile ist künstliche Intelligenz zu mehr fähig als nur zur erweiterten Mustererkennung. Wir haben über die Zukunft der KI mit Thomas Hellweg (Sales Director DACH Insurance and Finance bei Pegasystems) gesprochen.

Herr Hellweg, kann KI die Kundenbeziehung bei Banken und Versicherern wirklich revolutionieren? Oder ist das nur ein neuer Hype?

Ja, Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, Kundenbeziehungen bei Banken und Versicherungen auf ganz neue Füße zu stellen. Aktuelle KI-fähige Technologie kann den Banken- und Versicherungskunden zum Beispiel durch eine Risikobewertung führen, um auf ihn abgestimmte Anlageszenarien vorzuschlagen. Sie kann eine Einkommensbewertung vornehmen, um über die Vergabe eines Kredits oder einer Hypothek zu entscheiden. Auch in der Betrugsbekämpfung werden KI-gestützte Systeme heute bereits mit Erfolg eingesetzt.

In Zukunft wird KI eine emphatische Beziehung aufbauen und komplexe emotionale Entscheidungen unterstützen.”

Angenommen, ein Kunde kommt von der Arbeit nach Hause und stellt fest, dass in seine Wohnung eingebrochen wurde. In den Wochen danach entschließt er sich, ein Haus zu bauen. Wie stark beeinflusst die vorangegangene Erfahrung seine Pläne, zusätzlich eine Alarmanlage, bessere Türen, Fenster, Schlösser oder umfangreiche Sicherungssysteme einzubauen? KI wird darüber zuverlässige Aussagen treffen können.

Der nächste Schritt, über einfaches oder sogar komplexes regelbasiertes Maschinelles Lernen hinaus, wird das empathische Lernen sein.

KI erwirbt damit personalisiertes Wissen über jeden einzelnen Kunden und ist dadurch in der Lage, sich in den Kunden einzufühlen und den Bank- oder Versicherungsberater bei empathischeren Entscheidungen zu unterstützen.”

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel? Wie werden Kunden persönlicher via KI angesprochen?

Die Kommunikationsindustrie und der Finanzdienstleistungssektor sind am weitesten. Vodafone, die Royal Bank of Scotland (RBS) und die Commonwealth Bank of Australia (CBA) sammeln über ihre Kunden Daten auf allen Kanälen, um über die Next Best Action fundierter entscheiden zu können. Wichtig ist, sich von traditionellen Ansätzen wie der starren Segmentierung von Kunden in Einkommensklassen oder nach Altersprofilen, wie sie heute in der Branche teilweise noch üblich sind, zu lösen und stattdessen individuell auf den Einzelkunden zugeschnittene Maßnahmen umzusetzen. Durch gesteigerte Rechenleistung und smarte Datenanalysefunktionen sind heute komplexe, personalisierte Entscheidungen machbar, die noch vor wenigen Jahren unmöglich erschienen.

Thomas Hellweg, Pegasystems
Thomas Hellweg ist Sales Director DACH Insurance and Finance bei Pegasystems. Zuvor war er Geschäftsführer der Region DACH bei TmaxSoft und hatte viele Jahre leitende Funktionen in IT-Unternehmen wie Oracle, IBM und Microsoft inne.

In einer Pega-Studie vor wenigen Wochen kritisierten Kunden die fehlende emotionale Intelligenz von KI-Systemen. Wie wollen Sie das lösen?

Bis zum vierten Quartal dieses Jahres wird Pegasystems Empathie-Komponenten in seine Lösungen integriert haben. Das ist ein natürlicher, aber großer Schritt. Er erfordert kanalübergreifende Informationen über einen Kunden, die aber auch so aggregiert und aufbereitet werden müssen, dass konkrete Produktangebote gemacht und personalisierte Dienstleistungen erbracht werden können.

Maschinelles Ler­nen, kom­bi­niert mit der Er­fah­rung ei­nes mensch­li­chen Be­ra­ters, wird ein­fühl­sa­me Ent­schei­dun­gen un­ter­stüt­zen, die Kon­text­pa­ra­me­ter wie die Stim­mung des Kun­den, ge­ra­de statt­ge­fun­de­ne In­ter­ak­tio­nen so­wie sei­ne In­ter­es­sen und Zie­le aus­ba­lan­cie­ren. All dies setzt ein di­gi­ta­ler Cust­o­m­er Em­pa­thy Ad­vi­sor in Re­la­ti­on zu den Zie­len der Bank oder des Versicherungs­unternehmens.

Welche technischen Voraussetzungen benötigen Banken für den Einsatz einer solchen Technologie?

Generell gilt, dass die Technologie die Geschäftsstrategie und die Organisationsstruktur der Bank unterstützen sollte.

Ein häufig begangener Fehler besteht darin, einfach alle Daten zu sammeln und dann lineare oder regressive Analysen durchzuführen, was die Technologie ebenso hergibt.”

Vielversprechender ist dagegen, Geschäfts- und Technologieteams die Möglichkeit zu geben, die Systeme gemeinsam in einem kontrollierten „Test and Learn“-Ansatz zu trainieren und anzupassen. Die Technologie ist low-code und kann ohne Programmierkenntnisse auch von Vertriebs- und Marketing-Teams eingesetzt werden.

Wie kann KI-basierte Entscheidungsfindung Banken und Versicherungen helfen, ihre Workflows zu beschleunigen?

KI wird dazu beitragen, die Entscheidungsfindung zu beschleunigen und zum Beispiel auf Änderungen der Kreditpolitik oder anderer Regelwerke schneller zu reagieren. Außerdem werden die prognostische Genauigkeit und Zuverlässigkeit der getroffenen Entscheidungen verbessert. Die Aggregation und Analyse großer Datenvolumina wie Zahlungs-, Konto- und Kartendaten schafft die Grundlage etwa für eine verantwortungsbewusstere Vergabe von Krediten.

Die National Australia Bank (NAB) nutzt eine Lösung von Pegasystems, eine Kombination aus Fallmanagement und neurolinguistischer Programmierung, um automatisiert E-Mails zu kategorisieren und an den richtigen Ansprechpartner weiterzuleiten. Auf diese Weise werden 75 Prozent aller Servicefälle ohne menschliches Zutun klassifiziert.

Banken sammeln Kundendaten über alle Kanäle und jagen sie dann durch ihre KI. Wie wollen Banken sicherstellen, dass sich ihre Kunden dabei nicht verfolgt fühlen?

Kunden brauchen Transparenz und Mitsprache darüber, welche ihrer Daten gespeichert und wie ihre Daten verwendet werden. Zusätzlich müssen Banken und Versicherungen ihre Kunden durch ein personalisiertes und situationsbezogenes 1:1-Marketing überzeugen, das einen echten Mehrwert bietet.

Wenn Kunden profitieren, werden sie eher bereit sein, ihre Daten zur Verfügung zu stellen.”

Kfz-Versicherer könnten Autofahrern, die ihre Daten für Fahrzeug- und Wartungsdiagnosen übermitteln, ein preisgünstigeres Angebot machen. Wichtig ist, dem Kunden die Wahl zu lassen und ihn darüber zu informieren, was mit seinen Daten geschieht und wofür sie verwendet werden.

Call Center und digitale Tools wie Sprachdialogsysteme, Chatbots und Self-Service-Websites werden wahrscheinlich nicht so schnell aus der Mode kommen. Wie können sie mit KI einen besseren Service zu bieten?

KI wird Call-Center-und Service-Mitarbeitern konkrete Maßnahmen empfehlen, indem sie Kundeninformationen über alle Kanäle auswertet. Einige der wichtigsten Kommunikationskanäle für unsere Kunden sind Service-Anfragen über Facebook, WhatsApp, Twitter, Webchat-Tools oder direkte E-Mails. Antworten auf einfache Service-Anfragen lassen sich mit KI optimieren. Ab einer bestimmten Komplexität wird automatisch ein Berater eingeschaltet, der die Anfrage des Kunden übernimmt.

Werden wir in fünf Jahren bei Banken und Versicherern emotional agierende KI-Systeme sehen, die typische Call-Center-Funktionen übernehmen?

KI wird Call Center nicht übernehmen, sondern transformieren, so dass für menschliche Agenten delikate Ausnahmen, stark beratende, emotionale und risikobehaftete Entscheidungsfindungsaktivitäten übrigbleiben.

Der Schwerpunkt wird aber weiterhin auf einfachen, sich wiederholenden Beratungsaktivitäten liegen, und da kann KI die Kundenbetreuer sehr entlasten.”

Gestohlene oder verlorengegangene Kreditkarten können Kunden auch weiterhin telefonisch gegen Missbrauch sperren lassen. Aber eine Sicherheitsprüfung wird wegfallen, weil sich Anrufer bereits über ihre Stimme identifizieren. Die Swedbank ging einen Schritt weiter und hat den Ersatzkartenprozess für Standardfälle über einen virtuellen Assistenten bereits zu hundert Prozent automatisiert.

Es wird immer wieder Situationen geben, die ein Kunde nicht mit einem digitalen KI-Agenten besprechen will oder die nicht digitalisiert werden dürfen, weil ein solches Vorgehen den Risiko-Policies der Bank oder des Versicherers widerspricht. Auch regulatorische Vorschriften setzen einer vollständigen Digitalisierung Grenzen.”

Herr Hellweg, vielen Dank für das Interview.aj

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert