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STRATEGIE10. Februar 2022

2/3 aller IT-Trans­formations­programme scheitern: 3 Handlungsoptionen, um taumelnde Projekte zu retten

Leon Kuhlmann, CORECORE

Transformationen, insbesondere von IT-Systemen, die das Kerngeschäft von Banken und Versicherungen sichern, gehören seit über 10 Jahren zum Standard in den Strategiediskussionen der Finanzbranche. Die Komplexität derartiger IT-Transformationen führt oft dazu, dass diese in Form von großangelegten Programmen umgesetzt werden. Die Erfahrung der letzten 10 Jahre zeigt aber auch, dass insbesondere solch großangelegte Programme mit hohen Risiken behaftet sind und dass mehr als zwei Drittel aller Transformationsvorhaben/-programme scheitern.

von Leon Kuhlmann, Thomas Henschen und Sebastian Frost, CORE

Dies spiegelt sich in den fortlaufenden Verkündungen der Finanzunternehmen wieder, die das Scheitern ihrer IT-Programme nach Jahren der Umsetzung vermelden. Komplexe, historisch über viele Jahre gewachsene IT-Systeme schränken heute jedoch den Handlungsspielraum von Unternehmen erheblich ein. Was früher revolutionär und fortschrittlich gewesen sein mag, ist heute mehr Klotz am Bein als Turbo zur Beschleunigung.

Dabei ist es kein Hexenwerk, häufig wiederkehrende Fehlstellungen in Programmen zu vermeiden. Also werden sie gleichwohl immer wieder gemacht? Und muss das so bleiben? Wir sagen Nein.

Programm aus der Kurve geflogen?

Unsere Erfahrung zeigt, dass bei einer ehrlichen Analyse von IT-Programmen in Schieflage wiederkehrend ähnliche Fehlstellungen festzustellen sind.

Projekte - Fragestellungen für die Analyse von möglichen Fehlstellungen in Transsformationsprogrammen
Fragestellungen für die AnalyseCORE

Klar ist:

Nur die schonungslose und wahrhaft ehrliche Analyse einer Projektsituation kann zu einer Identifizierung der jeweiligen Fehlstellungen im Programm führen.”

Im Ergebnis einer solchen Analyse wird eine bisher ggf. nicht offensichtliche bzw. nicht kommunizierte Schieflage transparent, Probleme werden konkret greifbar und präzise adressierbar.

Experte für das Retten von Projekten: Thomas Henschen, CORE
Thomas Henschen, CORECORE

Warum Programme aus der Kurve fliegen: Vier Thesen für das Abkommen von der Fahrbahn

These 1 – Politisch motivierte Ziele: Wie ist es möglich, dass scheinbar teure IT-Transformationen seltener bewilligt werden als Vorhaben, die nach objektiver Betrachtung zwar völlig unrealistisch sind, jedoch im „Business Case“ gut aussehen? Die unseres Erachtens wahrscheinlichste und vielleicht auch ehrlichste Antwort liefert Prof. Rothengatter aus Karlsruhe: „Jedes Großprojekt beginnt mit einer großen Lüge“, ob nach innen oder nach außen, spielt keine Rolle. Diese Aussage deckt sich mit unserer Erfahrung. Auch Prof. Flyvbjerg (2009) bestätigt diese These mit seiner Beschreibung des umgekehrten Darwinismus „the survival of the unfittest“. Allzu oft finden solche strategischen Verfälschungen in der Realität der Vergabepraxis statt.

These 2 – Inkonsequente und zu späte Entscheidungen: Entscheidungen müssen in 1-2 Wochen getroffen werden. Dauern sie länger, ist die Gefahr, in Schieflage zu geraten, groß. Die Uhr tickt und die gesetzten Ziele rücken in weite Ferne. Das ist nicht nur Bauchgefühl: unsere Auswertungen der Entscheidungslogs von ca. 20 Programmen zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen langer Entscheidungsdauer und dem Scheitern von Projekten. Ewig vermiedene oder lang vorbereitete und in großer Runde bis zur Unkenntlichkeit ausdiskutierte Entscheidungen bringen Projekte in Schieflage!

Projekte - Analyse von kritischen Entscheidungsbedarfen in zwei Programmbeispielen
Analyse von kritischen Entscheidungsbedarfen in 2 ProgrammbeispielenCORE
Sebastian Frost, CORECORE

These 3 – Ungesunder Wettbewerb: Qualifizierte Ressourcen für große Transformationsprojekte sind per se rar gesät – sowohl im Unternehmen als auch auf dem Arbeitsmarkt allgemein. Der interne Wettbewerb um diese Ressourcen wird von Führungskräften oft mit festem Blick auf den eigenen Vorteil geführt sowie durch fehlende oder falsche Priorisierung durch die Unternehmensführung befeuert. Dadurch kann es leicht dazu kommen, dass benötigte Experten den großen und teuren Projekten zugeordnet werden und weniger visible, aber ähnlich relevante Projekte gänzlich das Nachsehen haben oder gar ein schlechter Ressourcenkompromiss entsteht. Letzteres ist die schlechteste Variante für alle Beteiligten. Wird dies nicht durch externe Fachleute mit entsprechendem Know-how ausgeglichen, läuft die Transformation Gefahr zu scheitern.

These 4 – Zu langes Festhalten an einer Technologieentscheidung: Trotz des Einsatzes moderner Software- und Informationstechnologien wird bei der Umsetzung auf alte Vorgehens- und Umsetzungsparadigmen gesetzt, anstatt eine konsequente Modernisierung und Erneuerung zu verfolgen. Durch das Festhalten an der bestehenden IT und an bekannten Prozessen entstehen nicht kalkulierbare Komplikationen und Probleme.

Die vorgestellten Thesen stellen zweifellos keine abschließende Auflistung aller möglichen Fehlstellungen dar, sind aber gut geeignet, einen Eindruck in typische Programmfehlstellungen zu erhalten.

Zurück auf die Fahrbahn: Trotz Fehlstart erfolgreich ins Ziel

Autor Leon Kuhlmann, CORE
Leon Kuhlmann studierte International Business mit Fokus auf Strategie und Innovation an der Universität Maastricht. Nach einer ersten Station bei der Cassini Consulting AG, einer führenden Management- und Technologieberatung, und dem Einsatz bei einer deutschlandweiten IT-Transformation im öffentlichen Sektor sammelte er weitere Erfahrungen in der IT-Sicherheit sowie im Prozessmanagement. Seit 2018 ist er als Transformation Director für CORE SE (Webseite) tätig und begleitet auch heute Kunden bei der Umsetzung komplexer IT-Transformationen von der Strategieentwicklung bis zum „Go-Live“. Seine aktuellsten Tätigkeiten umfassen Programminitiativen wie die Behebung von Audit-Feststellungen für IT-Compliance, Core-Banking-Transformation oder eine M&A-Transaktion.

Kein Programm ist wie das andere, also müssen individuelle Anpassungen getätigt werden. Je nachdem, zu welchem Ergebnis die programmspezifische Analyse geführt hat, ist eine mutige und mit deutlichen Konsequenzen behaftete Entscheidung für eine der drei nachfolgenden Handlungsoptionen zu treffen.

  1. Fortführung mit gezielter Adjustierung
  2. Fortführung mit neuem Technologieansatz
  3. Aktive Beendigung zur Verlustbegrenzung

Handlungsoption 1 ist geeignet, wenn die gezielte Adjustierung einzelner Stellschrauben bzw. Maßnahmen ausreichend ist, das Projekt sauber auszurichten. Boxenstopp mit Reifenwechsel und Tuning beträfen bspw. eine gezielte kurzfristige Verstärkung des Teams durch qualifizierte externe Ressourcen, eine Restrukturierung und Neuplanung des Programms sowie eine Adjustierung oder ein Neuaufsetzen der Methoden des Programmmanagements.

Handlungsoption 2 ist die richtige Wahl, wenn ein Überholmanöver gestartet werden muss, um noch rechtzeitig ans Ziel zu kommen. Zum Beispiel, wenn bei einem langlaufenden Programm die Gefahr besteht, dass die erreichte Transformation nach Programmabschluss schon nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Dann ist es notwendig, das Programm mit einem neuen Technologieansatz fortzuführen, inklusive einer hiermit einhergehenden Neuplanung.”

Autor Sebastian Frost, CORE
Sebastian Frost ist als Transformation Manager bei CORE SE tätig und besitzt nicht nur mehrjährige Erfahrungen in dem Projektmanagement von IT-Transformationen sondern sammelte schon während seines Studiums der Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Berlin vielfältige Erfahrungen im Bereich Business und IT-Development. Er ist seit 2019 bei CORE SE tätig und unterstützt dort seine Kunden bei der Umsetzung großer IT-Transformationsvorhaben.

Handlungsoption 3 ist angemessen, wenn ein Boxenstopp aufgrund sich veränderter interner und externer Rahmenbedingungen nicht mehr ausreicht, sondern das Rennen abgebrochen werden muss. Mit einem neuen Wagen und eingestellt auf die neuen Rahmenbedingungen und Überprüfung sämtlicher Parameter nimmt man das Rennen wieder auf, ohne weiterhin Geld in das alte Fahrzeug zu stecken, welches keine Aussicht auf Erfolg hatte.

Obwohl verschiedene Ansätze mit unterschiedlicher Eignung zur Verfügung stehen, wählen Unternehmen fast immer Handlungsoption 1 und erzielen damit auch nicht immer den gewünschten Erfolg – warum? Häufige Ursachen sind eine mangelhafte Fehlerkultur, die personenbezogen nach einem Schuldigen sucht oder nicht in der Lage ist, das was nicht sein darf, als das zu erkennen, was dennoch ist. Hier ist es notwendig, schon ab Beginn des Projektes eine moderne, offene Fehlerkultur zu implementieren, sodass der Blick auf die wahren Ursachen einer etwaigen Projektschieflage unverstellt bleibt. Gelingt dies nicht, sind nicht nur die Handlungsoptionen 2 und 3 ausgeschlossen, sondern läuft auch Option 1 eher Gefahr, in einer „Feigenblattaktion“ ohne nachhaltige Effekte auszulaufen.

Fazit

Autor Thomas Henschen, CORE
Experte für das Retten von Projekten: Thomas Henschen, COREThomas Henschen begann seine Karriere 2014 als Assistent der Geschäftsleitung bei einem Sanierungsfall. Die vielfältigen Erfahrungen der intensiven Restrukturierungszeit nahm er 2015 nach Berlin mit, um sie dort um die Bereiche Organisationsberatung und Post-Merger Integration zu erweitern. Die Gründung einer eigenen Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft sowie ein Executive Master Studium an der ESCP Europe in Paris ergänzen sein Profil. Seit 2021 ist er als Senior Transformation Manager für CORE SE tätig und hilft dort seinen Kunden, große IT-Transformationsvorhaben erfolgreich umzusetzen.

Bei einem erfolgreichen Turnaround wird zunächst durch eine Ursachenanalyse Transparenz zum Status Quo geschaffen, um geeignete Handlungsoptionen ableiten zu können und proaktiv den Weg aus der Schieflage zu fördern. Sobald diese maßgeschneiderte Lösung gefunden wurde, die Entscheidung dafür gefallen ist, muss eine konsequente Umsetzung der jeweiligen Handlungsoption in Angriff genommen und im programmspezifischen Turnaround-Prozess eingeführt werden. Dies ermöglicht es, das Transformationsprogramm wieder auf Erfolgsspur zu bringen und weitere Schäden zu vermeiden. Neben dem dargestellten Fahrplan sollten Stakeholder und die Entscheider folgende Erfolgsfaktoren beachten:

  1. Status Quo akzeptieren, anstatt zu beschönigen
  2. Transparenz auf allen Ebenen schaffen, anstatt eigene Interessen zu fokussieren
  3. Neue Ideen fördern, anstatt an alten Paradigmen/ Prozessen festzuhalten
  4. Faktenbasiert entscheiden, anstatt nach Bauchgefühl und Partikularinteresse
  5. Entscheiden, anstatt zu moderieren
  6. Lösungen finden, anstatt Schuldige zu suchen
  7. Umsetzung angehen, anstatt zu diskutieren
  8. Aus Fehlern lernen, anstatt Fehler zu wiederholen.

Natürlich bedarf die Umsetzung dieser Paradigmen in vielen Unternehmen zunächst eines grundlegenden und aufwändigen Kulturwandels.

Doch in einer zunehmend projektgetriebenen Ökonomie werden Unternehmen, denen diese Anpassung nicht gelingt, auch nicht überlebensfähig sein.”

Es liegt an den Projekt- und Programmleitern der Unternehmen, diese neue Kultur vorzuleben und damit in ihren Programmen zu implementieren.Leon Kuhlmann, Thomas Henschen und Sebastian Frost, CORE

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