STRATEGIE5. Februar 2024

Automatisierung beginnt nicht erst mit künstlicher Intelligenz

Lennart Imorde, Head of Process Automation bei Sollers Consulting <q>Sollers Consulting
Lennart Imorde, Head of Process Automation bei Sollers Consulting Sollers Consulting

Die Versicherungs-Branche befindet sich bei dem Thema Künstliche Intelligenz noch in den Vorbereitungen. Aber schon mit klassischer Automatisierung können Versicherer enorme Fortschritte erzielen. Das Potenzial ist hier bei Weitem noch nicht erschöpft.

von Lennart Imorde, Sollers Consulting und Benedikt Thudium, Hyland

Die Versicherungsbranche tut sich im Umgang mit Künstlicher Intelligenz noch schwer. Doch sie verspricht, die Art und Weise, wie Finanzdienstleistungen erbracht werden, stark zu verbessern. Derzeit kommt KI vor allem dann zum Einsatz, wenn es darum geht, Prozesse und Aufgaben zu automatisieren. Das kann im Versicherungswesen bei der Verwaltung von Verträgen, dem Antragsmanagement, der Schadensfallbearbeitung oder im Kundenservice sein – also in daten- und dokumentenintensiven Arbeitsabläufen.

KI kann dabei die Compliance und Datensicherheit steigern, da weniger Anwender mit personenbezogenen Daten arbeiten. KI verbessert auch die Kundenerfahrung, indem Durchlaufzeiten verkürzt und Ansprachen und Angebote personalisiert werden.”

Künstliche Intelligenz – ein gehyptes, weites Feld

Automatisierung beginnt nicht erst mit künstlicher Intelligenz meint Benedikt Thudium ist Channel & Alliances Manager DACH & EE bei Hyland
Benedikt Thudium, Channel & Alliances Manager DACH & EE bei Hyland Hyland

Das Potenzial künstlicher Intelligenz ist enorm. Die Grenzen zwischen „echter KI“, Intelligent Automation, Maschine Learning sowie Deep Learning und Robotic Process Automation verschwimmen.
Ist das ein Problem? In einer theoretischen Fachdiskussion braucht es Konsens über das verwendete Vokabular. In der Praxis geht es jedoch darum, ein vorliegendes Problem, häufig ein Automatisierungsprojekt, mit den verfügbaren Technologien zu lösen – egal, welcher Tech-Kategorie man sie zuordnet. Dabei zeigt sich, dass „echte KI“ ein wertvolles Tool ist, aber nicht immer automatisch auch die beste Lösung. Es lohnt sich, alle Optionen im Blick zu halten.

Generative KI – ein Hype, der bleiben wird

Generative KI ist inzwischen im Mainstream angekommen. Das enorme Potenzial von KI-gesteuerten Tools und Technologien wie Generative Adversarial Networks (GANs) und Natural Language Processing (NLP) steht außer Frage.

KI-Modelle können beispielsweise realistische und repräsentative synthetische Daten für Szenarien generieren, in denen der Zugang zu realen Daten aufgrund von Datenschutzbedenken oder Datenknappheit eingeschränkt ist.”

Lennart Imorde
Lennart Imorde ist Head of Pro­cess Au­to­ma­ti­on bei Sollers Con­sul­ting (Web­site). Da­vor war er dort als Se­ni­or Con­sul­tant und Con­sul­tant spe­zia­li­siert auf Ge­schäfts­ana­ly­sen, Agi­le-Pro­jekt­ma­nage­ment und Pro­zess­op­ti­mie­rung im Ver­si­che­rungs­be­reich. Er hat ei­nen Mas­ter of Sci­ence in Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten von der Hein­rich-Hei­ne-Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf und ei­nen Ba­che­lor of Arts in Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten von der Fach­hoch­schu­le Dortmund.
Diese Daten können zum Trainieren und Testen von ML-Modellen eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass Enterprise Content Management (ECM) Systeme effektiv und sicher arbeiten.

NLP-Modelle wiederum ermöglichen die automatische Erstellung von Berichten, Artikeln oder Zusammenfassungen sowie die Generierung von personalisierten User-Empfehlungen. Diese Funktionen steigern die Effizienz und verbessern das Benutzererlebnis. Mit generativen Modellen lassen sich zudem Audioinhalte automatisch transkribieren, handschriftliche Dokumente in digitalen Text umwandeln oder die Qualität von Texten, Bildern und Videos verbessern. So kann die Zugänglichkeit, Durchsuchbarkeit und Nutzbarkeit von Inhalten im Rahmen des ECM verbessert und der Wert der Inhalte gesteigert werden.

Generative KI wird mit Wahrscheinlichkeit auch das Content Management stark verändern, die Art und Weise, wie Inhalte verwaltet und genutzt werden.”

Gleichzeitig steht die Implementierung leistungsfähiger generativer Modelle im ECM vielfach noch am Anfang. Zum einen, weil es Fragen hinsichtlich Datenschutz, Compliance, KI-Ethik und Qualitätssicherung zu klären gilt, zum anderen, weil Anwendern noch die Erfahrungen und nötige Expertise im Umgang mit den neuen Tools fehlt. Die gute Nachricht ist: Es muss nicht immer die gehypte generative KI sein, um im Content Management enorme Effizienzpotenziale zu erschließen.

Robotic Process Automation – „KI für Einsteiger“

Bei Robotic Process Automation handelt es sich nicht um Künstliche Intelligenz im klassischen Sinne. RPA beschreibt die Automatisierung repetitiver, manueller, zeitintensiver oder fehleranfälliger Aufgaben durch Softwareroboter. Das kann die Übertragung von Daten von einer Eingabemaske in ein Antragsformular oder nachgelagertes Programm sein oder das automatische Versenden einer Bestätigungsnachricht.

Der Vorteil dieser Technologie: RPA benötigt keine Schnittstellen, wodurch sich auch ältere Bestandsanwendungen in die zu automatisierenden Prozesse einbinden lassen.”

Genau wie ihre menschlichen Kollegen operieren die Softwareroboter auf der Ebene der Benutzeroberfläche, allerdings schneller, präziser, weniger fehleranfällig und bei Bedarf rund um die Uhr.

Softwarebots greifen über Clients auf Datenbanken, Systeme und Anwendungen zu. Dabei macht es technisch keinen Unterschied, ob die Bots auf virtuellen oder Hardware-Clients laufen.

RPA bietet zudem große Flexibilität und erlaubt die Kombinationen aus virtuellen und Hardware-Clients, was hilfreich ist, wenn beispielsweise ein Kernsystem, das an vielen Prozessen beteiligt ist, nicht virtualisierbar ist.”

Benedikt Thudium
Benedikt Thudium ist Chan­nel & Al­li­an­ces Ma­na­ger DACH & EE bei Hy­land (Web­site), fo­kus­siert auf En­tre­pre­neurship und Sa­les Stra­te­gy. Vor die­ser Tä­tig­keit war er in ver­schie­de­nen Chan­nel- and Ac­count-Ma­nage­ment-Po­si­tio­nen bei Hy­land und der n-komm GmbH tä­tig und spe­zia­li­siert auf ECM-Lö­sun­gen. Sei­ne be­ruf­li­che Kar­rie­re be­gann er als IT-Sys­tem­kauf­mann mit Zu­satz­qua­li­fi­ka­ti­on in Wirtschaftsinformatik.
Die Zukunft gehört jedoch virtuellen Clients, weil sie einfacher zu warten und zu skalieren sind. So können z. B. über externe Dienste kurzfristig weitere Clients hinzugebucht werden.

Zu Beginn einer RPA-Initiative ist die Zusammenarbeit mit einem Implementierungspartner hilfreich, der bei den ersten Prozessen und der einheitlichen Konfigurierung der Clients unterstützt. Ist der Anfang gemacht, können Mitarbeiter aus Fachabteilungen bereits eigenständig Arbeitsabläufe mithilfe von RPA automatisieren. Die Softwareroboter sind damit eine flexible Lösung für kleinere Automatisierungsprojekte und ein guter Einstieg in die Welt der smarten Technologie. In einer weiteren Stufe können Unternehmen mit regelbasierter Automatisierung noch über Robotics hinausgehen. Business Process Management Systeme (BPMS) spielen ihre Stärken aus, sobald die Systeme über offene APIs verfügen.

Intelligent Process Automation – smart von Anfang bis Ende

Während mit RPA vor allem kleine Teilprozesse automatisiert werden können, ermöglichen Intelligent Automation (IA)-Tools die durchgängige Automatisierung komplexer Dokumentenprozesse. Ein Beispiel hierfür ist die Schadensregulierung – von der ersten Erfassung der Schadensdokumentation über die Sachprüfung und Weiterleitung an die Sachbearbeiter bis hin zur Freigabe der Schadenszahlung.

Bei der Intelligent Automation handelt es sich um eine Kombination verschiedener kognitiver Technologien. Dabei kommen neben RPA auch Workflow-Tools zum Einsatz, welche die verschiedenen RPA Bots und Systeme orchestrieren.”

Ob Machine Learning (ML) ein Teilbereich von Künstlicher Intelligenz oder eine hochentwickelte Technologie zur Entwicklung von Algorithmen ist, ist in Fachkreisen umstritten. ML ermöglicht es, aus Daten zu lernen und Vorhersagen oder Entscheidungen zu treffen. ML-Systeme basieren auf datengesteuertem Lernen und sind darauf ausgelegt, Muster zu erkennen, Vorhersagen zu treffen oder Maßnahmen auf der Grundlage von Daten zu ergreifen. So können ML-basierte Workflowtools beim Routing von Dokumenten durch das Unternehmen helfen und Cognitive Capture-Werkzeuge bei der Erfassung und Verarbeitung von Dokumenten und Bildern. Sie erkennen bestimmte Schadensmuster, gleichen sie mit früheren Schadensmeldungen ab und unterstützen die Betrugserkennung.

Der Markt bietet ein breites Angebot von Intelligent Automation Tools. Für die Automatisierung kompletter Dokumenten- bzw. ECM-Prozesse sind integrierte Lösungen zu empfehlen.

Sogenannte Content-Services-Plattformen bündeln über konfigurierbare Schnittstellen Daten aus unterschiedlichsten Systemen und Anwendungen und bieten eine Reihe von abgestimmten Funktionalitäten zur Bearbeitung und Verwaltung der Inhalte.”

Content-Service-Plattformen vereinfachen das Zusammenspiel von KI- und Automatisierungstechnologien und reduzieren den Aufwand für Entwicklung, Betrieb und Wartung. Außerdem bieten sie die nötigen Speicherkapazitäten und Management-Systeme, um auch große Datenmengen sicher zu verarbeiten sowie Tagging und Analysen der Datenströme.

Bei der genutzten Plattform/Anwendung ist auf Interoperabilität zu achten. In Zeiten von hybriden und Cloud-Infrastrukturen mit immer mehr eingesetzten Anwendungen und Systemen sollte Best-to-Integrate-Lösungen der Vorrang vor vermeintlichen Best-in-Class-Anwendungen gegeben werden.

Denn nur eine Lösung, die mit anderen Systemen zu integrieren ist, ermöglicht einen reibungslosen Datenaustausch und eine durchgängige Ende-zu-Ende-Automatisierung.”

Automatisierung, RPA und KI

Generative KI wird die Erstellung, Nutzung und das Management von Inhalten radikal verändern. Schon heute ermöglichen RPA und Intelligent Automation enorme Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparungen und eine Verbesserung der Kundenerfahrung und Compliance. Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, sollten Versicherer sorgfältig prüfen, welche Technologie am besten zu ihren spezifischen Anforderungen passt, wie sie in ihre bestehenden ECM-Systeme integriert werden kann oder welche ECM- und Content Services-Anbieter KI-Funktionalitäten bereits im Rahmen ihrer Plattform anbieten.

Mit der richtigen Technologie und einer klaren Strategie können Unternehmen die Vorteile von KI in ECM voll ausschöpfen und Content-Prozesse optimieren.”

Bei dem Einsatz von künstlicher Intelligenz befinden sich viele Versicherer noch in der Planung. Einige gehen jedoch voraus und sammeln bereits erste praktische Erfahrung in der Umsetzung und Einbettung von KI. Sie lernen so, ihre Stärken und Schwächen besser zu verstehen. Praktische Erfahrungen mit dem Thema werden immer wertvoller. Lennart Imorde, Sollers Consulting und Benedikt Thudium, Hyland

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