STRATEGIE27. Juli 2023

“Everyday AI” in Banken: Nehmen Sie Ihre Mitarbeiter am Anfang des Prozesses mit!

“Everyday AI” in Banken: Nehmen Sie Ihre Mitarbeiter am Anfang des Prozesses mit!
Shaun McGirr, Dataiku Dataiku

Während die einen um ihre Jobs fürchten – sind Banken und Versicherer schon frühzeitig eingestiegen und hoffen nun, dass die Technologie für Wachstum sorgen kann. Shaun McGirr (Field CDO von Dataiku) im Interview die notwendigen Schritte zu KI-Einführung – ist sich aber sicher: Ohne das man die Mitarbeiter schon ganz am Anfang einbindet, wird KI scheitern.

Herr McGirr, was denken Sie – wie verändert Künstliche Intelligenz die Prozesse von Banken?

Laut McKinsey hat KI das Potenzial im Bankwesen jährlich einen Mehrwert von einer Billion US Dollar zu generieren und die Verkäufe um 15 Prozent zu steigern. Damit Banken diesen Mehrwert auch ausschöpfen, sind zwei Punkte wichtig: Erstens wird KI abteilungsübergreifend die Prozesse optimieren – egal ob im Marketing & Vertrieb, in der Risikoanalyse oder in der HR-Abteilung.

Zweitens müssen die Verantwortlichen von Anfang an nicht nur aus einer technologischen Ecke denken, sondern vor allem auch die eigentliche Anwendung im Hinterkopf behalten.”

Entscheider, die nun vor der Frage stehen, KI in Arbeitsprozesse zu integrieren, stehen vor der Herausforderung, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wie identifiziert man die richtigen Anwendungsfälle, die am meisten Potenzial bergen?

Drei zentrale Fragen sind dafür ausschlaggebend: Erstens, welche Kosten entstehen? Zweitens, welcher Mehrwert entsteht?

Und drittens, eine Frage, die zu oft zu kurz kommt: Wie wahrscheinlich ist, dass die KI-Lösung von den Teams auch angewendet und genutzt wird?”

Bei Frage eins ist es wichtig, zu berücksichtigen, welche Daten bereits genutzt werden können. Häufig existiert beispielsweise eine Big-Data-Strategie – liegen strukturierte Datensätzen in hohen Volumina vor, kann dies den Aufwand reduzieren. Frage zwei und Frage drei sollten idealerweise von Anfang an gemeinsam von Tech-Experten und späteren Anwendern aus den Fachabteilungen analysiert werden.

Künstliche Intelligenz dient den Mitarbeitenden – und das gelingt nur, wenn diese möglichst früh zur Entwicklung beitragen können.”

Ist die Entscheidung für den KI-Einsatz bei einem bestimmten Prozess gefallen, was ist dann der nächste Schritt?

Hat man sich einmal festgelegt auf einen Prozesse, in dem zukünftig KI zum Einsatz kommen soll, steht ganz am Anfang die Frag nach dem Wie. Dieser Frage gehen Banken in einem ausführlichen Scoping auf den Grunde. In einem Projektplan dokumentieren Entscheider dafür, welche Daten durch welches Modell eine bestimmte Herausforderung lösen – und auch welche Mitarbeitenden die KI in welchen Fällen anwenden sollen. Wichtig ist, dabei auch gleich messbare KPI zu definieren, damit zu einem späteren Zeitpunkt auch der Erfolg der KI beurteilt werden kann und falls erforderlich nachjustiert wird.

Im nächsten Schritt werden dann die Daten, die im Projektplan bereits definiert wurden, vorbereitet. Die Kriterien lauten dabei: Validität, Qualität, Kompatibilität. Nicht zu vergessen ist das Thema Verantwortung: Besteht die Gefahr von Scheinkorrelationen oder bestimmte Gruppen zu diskriminieren?

Shaun McGirr, Dataiku
Shaun McGirr, Dataiku Dataiku

Shaun McGirr, Field Chief Da­ta Of­fi­cer bei Da­ta­i­ku (Website), ist ein füh­ren­der Da­ten­wis­sen­schaft­ler in Da­ta Sci­ence, der zu­vor in der Be­ra­tung und bei ei­nem gro­ßen Au­to­mo­bil­un­ter­neh­men Da­ta Sci­ence ver­ant­wor­tet hat. Shaun ist über­zeugt, dass der schwie­rigs­te Teil ei­ner gu­ten Da­ten­ana­ly­se dar­in be­steht, die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len und si­cher­zu­stel­len, dass die Ant­wor­ten ei­nen wirk­li­chen Nut­zen ha­ben, um die Welt zu ver­än­dern – ein The­ma, das er in sei­nem Pod­cast Half Stack Da­ta Sci­ence be­han­delt. Bei Da­ta­i­ku ver­mit­telt er Kun­den und Kol­le­gen den Wert von Da­ta Sci­ence.

Und was ist bis zum Go Live noch notwendig?

Wie gesagt: Kollaboration ist das A und O. KI muss aus Anwender-Perspektive gedacht werden. Daher ist es sinnvoll, wenn im gesamten Prozess – von der ersten Ideation bis zum Go-Live Datenteams und Fachabteilungen an einem Strang ziehen.

Wobei einige Aufgaben eher die Datenteams betreffen: Beispielsweise die Daten vorzubereiten oder das Modell und das Datenprodukt aufzubauen. Aber bereits beim Modellaufbau und dann auch in den ersten operativen Tests, sollten Anwender hinzugezogen werden: Hilft ihnen diese Lösung wirklich in ihrem Arbeitsalltag, produktiver zu werden? Und der Punkt, der vor dem Go-Live oft zu kurz kommt:

Schulungen und Trainings für die Mitarbeitenden. Dies ist nicht nur wichtig, damit diese wissen, wie sie KI nutzen können, sondern auch damit sie verstehen, dass KI insbesondere auch dazu dient, ihre Arbeit zu erleichtern und zu verbessern.”

Ohne Lernbereitschaft in den Teams nutzt das beste Tool wenig. Übrigens gilt dies auch für die Zeit nach dem Go-Live – denn Wissensvermittlung und Support bleibt ein zentraler Faktor.

Mit welchen Schnittstellen kommt man ans Kern(banken)system? Und wie performant kann man es anbinden?

Traditionell ist die Komplexität von Banken hoch. Das liegt auch an ihren Wurzeln: Ihre Informationssysteme wurden noch mit Blick auf das Produkt entwickelt. Gerade Kernbanksysteme älterer Generationen tragen daher historischen Ballast mit sich herum, beispielsweise wenn sie noch auf Mainframes laufen. In diesem Fall sollten Banken eine Methode finden, um die Daten rascher erfassen und einfacher für nachgelagerte Anwendungen nutzen zu können.

Denn heutzutage erfordert die Risikoüberwachung und das Kundenmanagement eine andere Sichtweise. Es müssen schließlich große Mengen an Daten zusammengeführt und Einheiten aufgebrochen werden. Abhängig vom System gibt es in diesem Falle Einschränkungen. Das gilt übrigens teilweise auch für Kernbanksysteme neuerer Generation.

Kernbanksysteme: Diese sind oft wenig flexibel, weil sie in starren Modulen agieren. Daten müssen auch dort teils “befreit” werden, um sehr ambitionierte KI-Strategien durchzuführen.”

Eine weitere Herausforderung: Jedes System muss “compliant” sein, also den regulatorischen externen und internen Vorgaben gerecht werden. Vor diesem Hintergrund müssen strikte Aufgabentrennungen eingehalten werden.

Um möglichst performant das Kernbanksystem zu verbessern sollte die IT-Abteilung vor allem auf eine Teststrategie setzen. Offene, zugleich aber kontrollierte Testumgebungen sind der Schlüssel für Innovation und Fortschritt.”

Nur so können Ideen entwickelt werden, um die Datenkonnektivität zu optimieren und zu validieren. Ist ein Anwendungsfall ersteinmal identifiziert, erreichen diese Testphasen die nächste Stufen. Beispielsweise können dann AML-Arbeiten oder Liquiditätszuweisungen durchgeführt werden.

Auch wenn es nicht den einen heiligen Gral gibt, inspiriert dieser Vorschlag hoffentlich den ein oder anderen. Ganz grundsätzlich ist das Aufbrechen von Einheiten und ein sorgfältiges Datenmanagement in allen Phasen von entscheidender Bedeutung – und genau dabei können verschiedene KI-Lösungen helfen.

Was müssen Unternehmen beachten, um regulatorisch auf der sicheren Seite zu stehen?

Finanzinstitute und insbesondere Banken werden schon sehr lange reguliert – und zwar sowohl im allgemeinen Sinne als auch im Hinblick auf ihre Nutzung von Daten und KI –, dass sie bereits über viele der Prozesse verfügen, die für den Umgang mit neuen KI-Vorschriften erforderlich sind.

Was sie verbessern müssen, ist die Art und Weise, wie sie mehr Menschen im gesamten Unternehmen – Ich spreche dabei nicht nur von Teams für das Validieren ovn Modellen und Datenschutz-Experten – befähigen, transparent nachzuvollziehen, wie KI mit Daten arbeitet und wie auf diesem Wege unternehmerische Herausforderungen besser gelöst werden können.”

Wie verhindert man, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen unwissentlich diskriminiert werden?

So wichtig klare regulatorische Vorgaben durch den Gesetzgeber sind – was in der aktuellen nicht zu kurz kommen darf: Daten sind keine neutralen Informationen, sie sind ein Produkt des Kontexts, aus dem sie entstanden sind. Ethiker müssen daher beim Entstehen einer KI, die auch moralisch einer großen Verantwortung gerecht werden kann, eine wesentliche Rolle spielen. Wer dieser ethischen Verantwortung gerecht werden will, berücksichtigt beim Aufbau seiner Datenpipeline nicht nur seine Intention, also das Ziel, das er erreichen möchte, sondern auch den historischen und sozialen Kontext, in dem die Daten generiert wurden. Zentrale Fragen lauten: Wie und wann wurden die Daten erhoben? Welche Zielgruppen könnten fehlen? Reflektieren die Daten tatsächlich die Wirklichkeit und wie stimmig sind die kausalen Annahmen?

Wovon hängt es ab, dass KI-Modelle nicht nur in der Theorie existieren, sondern auch im unternehmerischen Alltag wirklich funktionieren?

Ich kann mich nur wiederholen. Organisationen dürfen nicht den Fehler begehen, den Fokus zu stark darauf zu legen, was technologisch möglich ist, sondern von Anfang an ganz praktische Fragen stellen: Wie einfach können Mitarbeitende ohne IT-Kenntnisse die KI-Lösung anwenden? Wie sehr profitieren sie im Arbeitsalltag von der KI? Welche Schritte vereinfachen und verbessern sich? Dieser Denkweise liegt eine grundsätzliche Einstellung zugrunde: KI hilft allen Menschen in einer Organisation, ganz gleich ob Datenexperte oder Mitarbeiter:in in einer Fachabteilung oder Führungskraft. Wir sprechen daher von “Everyday AI”.

Ab wann rentiert sich eine Investition in Künstliche Intelligenz – und noch wichtiger – wann nicht? Wann raten Sie ab?

Da die Kosten für die KI rapide gesunken sind, dürfte sie sich viel früher als in der Vergangenheit auszahlen. Noch vor wenigen Jahren war es üblich, Millionen für “KI-Innovationen” auszugeben, ohne dass dadurch wirklich großer Mehrwert entstanden ist, auch weil die erforderliche Infrastruktur, die Technologie und die Talente extrem kostspielig waren.

Die generative KI-Revolution hat dazu geführt, dass der Zugang zu KI viel einfacher und günstiger geworden ist – und schneller Ergebnisse erzielt werden.”

Dennoch gilt nach wie vor das alte Sprichwort: Für viele Unternehmensprobleme müssen immer noch Lösungen gefunden werden, die keine KI beinhalten, sondern lediglich eine sinnvolle Nutzung von Daten.

Wie können bestehende IT-Infrastrukturen und -Systeme innerhalb von Banken am effektivsten modernisiert und angepasst werden, um die Integration von Künstlicher Intelligenz zu erleichtern und zukünftige Skalierbarkeit zu ermöglichen?

Wie gesagt sprechen wir von “Everyday AI”. Einerseits kann KI fast jeden Prozess einer Bank zukünftig verbessern, andererseits wird es so selbstverständlich bei der Arbeit KI zu nutzen, wie heutzutage eine e-Mail zu schreiben. Zugegeben ist es bis dahin für viele Banken noch ein weiter Weg. Vielen fällt es schwer, KI-Lösungen in ihre typischen IT-Systeme zu integrieren. Ich bin guter Dinge, dass insbesondere die Entflechtung von Architekturen und mehr Flexibilität in der IT, auch die Einführung, Integration und Skalierbarkeit von KI begünstigen wird. Zudem werden viele Banken von der Zusammenarbeit mit externen Experten profitieren und von dem Gedanken abkehren, unbedingt alles Inhouse abdecken zu müssen. Denn die Zusammenarbeit mit spezialisierten Partnern, spart in den meisten Fällen Zeit und Geld.

Welche Strategien und technischen Lösungen können Banken bei der Datenverwaltung und -analyse anwenden, um sicherzustellen, dass ihre KI-Systeme tatsächlich aktuelle und relevante Informationen erhalten?

Alles beginnt mit dem Wissen, welche Daten der Bank für welchen Zweck verwendet werden: Welche Daten fließen in Reports, Dashboards oder ander KI-Systeme? Und wie werden diese Daten von den Systemen genutzt?

Wer KI als reine Blackbox betrachtet, wird langfristig scheitern.

Man muss verstehen, wie Modelle und Daten zusammen hängen. Nur dann gelingt der Kompromiss zwischen Datengeschwindigkeit und Datenqualität. Es kommt dabei auf Nuancen an: Kaum ein KI-System muss ständig mit neuen Daten trainiert werden, andererseits müssen beispielsweise aktuelle Kundendaten verfügbar sein, damit die KI im Customer Service hilfreich ist. Ironischerweise wurden frühere Generationen prädiktiver Systeme in Banken oft entwickelt, einmal trainiert und angewendet – ohne dass später weitere Trainings oder höchstens einmal im jährlich stattgefunden haben. Das ist ein ernsthaftes Risiko.

Wie können Banken den KI-basierten Entscheidungsprozess in ihre IT-Architektur integrieren und dabei die Interoperabilität mit bestehenden Systemen sowie die Einhaltung von Datenschutz- und Sicherheitsstandards gewährleisten?

Einheitliche Standards sollten von Anfnang an beachtet werden, ansonsten läuft man Gefahr, dass am Ende nickt miteinander konforme Lösungen zusammengefügt werden sollen. Meine Empfehlung lautet also:

Bevor in die KI investiert wird, im ersten Schritt ersteinmal zu prüfen, ob die Daten-Standards dem neuesten Stand entsprechen. Insbesondere im Zeitalter der generativen KI gelten einige alte Standards als Auslaufmodell.”

KI-Anwendungen haben im vergangenen Jahr einen enorme Entwicklung geschafft. Wo steht die KI in 5 Jahren? Welche Überraschung werden wir bei der KI-Entwicklung als nächstes erleben?

In 5 Jahren wird die KI in ganz verschiedenem Umfang und auf ganz unterschiedliche Art und Weise in unser persönliches Leben integriert sein. Auch in der Arbeitswelt beginnt die generative KI-Revolution, Mauern einzureißen. Banken stehen vor der Herausforderung, nicht einfach auf den Hype aufspringen, sondern wirklich zu analysieren, wie KI ihnen am meisten nutzt. Banken werden zwar in den nächsten fünf Jahren aufgrund der strengen Regulierungen in einigen Bereichen weniger stark als andere Branchen von der KI-Revolution profitieren, aber sie müssen sich jetzt gründlich damit auseinandersetzen, was Möglich ist – und was nicht, wie KI ihre Effizienz und die ihrer Mitarbeitenden steigern kann. Ansonsten verlieren sie im Wettbewerb gegen kundenzentrierte Institute, die auf Innovation setzen, den Anschluss.

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