STRATEGIE27. November 2023

S/4HANA-Umstellung: Banken müssen sich beeilen, denn der ERP-Countdown tickt – Praxistipps

Thomas Istel, KPMG-Partner Financial Services sorgt sich um die S/4HANA-Umstellung, denn der Countdown tickt bereits.
Thomas Istel, KPMG-Partner Financial ServicesKPMG

Spätestens 2027 ist endgültig Schluss: Dann wird SAP den Support für seine älteren ERP-Systeme einstellen. Für Banken wächst damit der Druck, die Umstellung auf das Nachfolgeprodukt SAP S/4HANA anzugehen. Doch die Transformation sollte nicht nur als lästiges Übel angesehen werden, denn sie bringt auch Vorteile. Welche das sind und wie Banken am besten vorgehen, erläutert Thomas Istel, Partner bei KPMG.

von Thomas Istel, KPMG-Partner Financial Services

Im Jahr 2015 startete die Umstellung auf SAPs neuestes ERP-System S/4HANA.

Der ursprüngliche Zeitplan von SAP sah vor, dass die Nutzer der Vorgänger-Systeme bis 2025 auf S/4HANA migriert sind. Zwischenzeitlich hat SAP die Wartung für sein Altsystem bis 2027 verlängert.”

Denn die Transformation kann – je nachdem, wie viele Prozesse zu migrieren sind – sehr komplex werden. Finanzinstitute, die den Systemwechsel noch vor sich haben, sollten daher nicht mehr länger warten, sondern zeitnah die Transformation in Angriff nehmen. Für Banken bietet der Systemwechsel die Gelegenheit, das eigene Haus digitalisiert, zukunftsfest und nachhaltig aufzustellen. Denn zum einen haben zahlreiche Banken in der Vergangenheit entweder kaum in ihr ERP-Programm investiert oder sie haben Zeit und Geld für veraltete Systeme aufgewendet. Oft entsteht so ein Investitionsstau, der aufgeholt werden muss. Zum anderen sind einige Institute in den letzten Jahren stark gewachsen. Für sie ist die anstehende Transformation eine Möglichkeit, IT-Systeme zu bündeln und Datenströme zu harmonisieren, was sich positiv auf die Effizienz auswirken wird.

Der Auftakt: Bedarf, Ziele und Umfang definieren

Wie bei anderen Transformationsprojekten stellt auch bei der S/4HANA-Umstellung die Zeit ein entscheidendes Kriterium dar. Um die Dauer und den Zeithorizont bis zum Livegang realistisch zu kalkulieren, empfiehlt es sich, zunächst eine Vor-Phase oder Phase Zero durchzuführen. In diesem Stadium vor dem eigentlichen Umsetzungsprojekt sind grundlegende und strategische Fragen zu beantworten. Dazu gehört unter anderem, die Ausgangslage im Haus zu beleuchten: Welche Module von SAP sind im Einsatz und von der Umstellung betroffen? Wenn das Institut nur Core-Banking- oder nur CFO-Komponenten von SAP nutzt, wird das Projekt deutlich schlanker ausfallen.

Anders sieht es aus, wenn beide Bereiche SAP Fioneer Komponenten nutzen, die speziell für die Finanzindustrie entwickelt wurden, oder weitere ERP-Module auf SAP-Altsystemen laufen und abgelöst werden müssen.”

Autor Thomas Istel, KPMG
Thomas Istel ist Partner bei KPMG im Bereich Financial Services (Website) und hat über 23 Jahre Berufserfahrung im Feld der Finanzdienstleistungen, davon über 21 Jahre als Unternehmensberater. Nach seiner Bankausbildung und dem anschließenden BWL-Studium an der Universität Münster startete er seine Laufbahn in der IT-Beratung im Bereich Financial Services einer Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. 2014 wechselte er zur KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und verantwortet dort als Partner die SAP-Beratung für den Sektor Financial Services. Seit August 2023 ist er zudem Geschäftsführer der QuadriO Beratungsgesellschaft, einer Tochtergesellschaft von KPMG in Deutschland.
Genauso wichtig für die Phase Zero: Das Unternehmen sollte die konkreten Ziele der Transformation definieren. Will es lediglich eine taktische Lösung vornehmen, die bestehenden Systeme also nur technisch migrieren? Oder setzt man sich das Ziel, die bestehenden Geschäftsprozesse und Systeme zu harmonisieren, eventuell zu standardisieren? Bei der Neuaufsetzung muss entschieden werden, wie weit Standardanwendungen und Business Content genutzt werden sollen oder ob doch lieber auf eine hausindividuelle Lösung gesetzt werden soll. Gerade im Kontext einer Harmonisierung der Systeme sollten Unternehmen auch die Cloud in den Fokus nehmen. Sie bietet eine gute Möglichkeit, die Digitalisierung im Haus weiter voranzutreiben. Erst wenn die grundlegenden Fragestellungen für eine Roadmap beantwortet sind, können Unternehmen realistisch Zeit-, Kosten- und Personalbedarf für die Umsetzung kalkulieren.

Brownfield, Greenfield oder Mittelweg?

Die in der Phase Zero geleistete Vorarbeit ist das Gerüst, um mit der eigentlichen Migration des ERP-Systems zu beginnen. Und damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, welches Vorgehen für Banken am besten geeignet ist:

Der Brownfield- oder der Greenfield-Ansatz? Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht.”

Sie findet sich vielmehr in der individuellen Standortbestimmung, die im Vorprojekt festgelegt wurde. Ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass man lediglich ein Upgrade machen will, erscheint ein klassischer Brownfield-Ansatz naheliegend. Dabei behält das Unternehmen die Nutzdaten (Dokumente, Daten, Prozesse und Einstellungen) des alten Softwaresystems und transferiert sie ins neue. Eine Neu-Implementierung entfällt. Solange das Altsystem in der konkreten Ausgestaltung größtenteils am Standard geblieben ist, stehen die Chancen für eine mehr oder minder reibungslose Migration nach S/4HANA gut. Das ermöglicht im Idealfall eine sehr zügige Umsetzung.

Ein weiterer Vorteil des Ansatzes besteht darin, dass der Änderungsumfang niedrig bleibt. Zu den Nachteilen zählt, dass Altlasten wie überkomplexe Prozesse erhalten bleiben. Finanzdienstleister, die die Umstellung hingegen zum Harmonisieren nutzen wollen, fahren mit dem Greenfield-Ansatz meist besser. Dabei trennen sie sich von Altlasten und können Prozesse effizienter gestalten. Der Nachteil hier ist, dass dieser Ansatz deutlich zeitintensiver ist. Die Praxis zeigt, dass in gewissen Situationen durchaus eine Mischform aus Brown- und Greenfield-Ansatz erfolgversprechend sein kann.

Der Bedarf zur Standardisierung besteht häufig deshalb, weil in der Vergangenheit Sonderlocken für das eigene Haus geschaffen wurden.”

Hierbei gilt allerdings zu beachten, dass nicht alle Module eine gleich hohe Standardisierung aufweisen. Das SAP-Hauptbuch ist eine Art Fertighaus unter den SAP-Anwendungen. Es funktioniert grundsätzlich nach der Installation und kann primär über die Auswahl von funktionalen Bausteinen und über das übliche Customizing für das Unternehmen weiter individualisiert werden. Komponenten von SAP Fioneer dagegen sind deutlich stärker auf die Anforderungen der Finanzindustrie zugeschnitten und benötigen umfangreichere Individualisierung. Es kann aber durchaus Argumente geben, warum bestehende Standardangebote bisher nicht zu den Anforderungen passten und Finanzdienstleister in der Vergangenheit auf spezielle Individuallösungen setzten. Falls S/4HANA dafür keine passende Lösung bietet, kann es durchaus sinnvoll sein, bestehende Anwendungen in das neue System zu übernehmen.

Determinanten des Erfolgs

Damit die Umstellung reibungslos und im angedachten Zeitrahmen gelingt, sollten Finanzinstitute verschiedene kritische Faktoren berücksichtigen. Dazu gehören hausinterne Widerstände.”

Das Management sollte die betroffenen Stakeholder frühzeitig ins Boot holen. Sie sollten verstehen, welche Ziele mit der Transformation verfolgt werden und wie die Marschroute dorthin aussieht. Dennoch reicht Information allein nicht. Unternehmen sollten die Betroffenen zu Beteiligten machen und sie motivieren, das Beste aus dem Projekt zu holen. Je mehr Module und Komponenten von S/4HANA künftig genutzt werden sollen, desto mehr Bereiche im Haus sind entsprechend von der Transformation betroffen. Das reicht vom Vertrieb über Handels- und Kreditprozesse und Finance bis hin zu HR, Risk und Meldewesen als abnehmende und zuliefernde Bereiche. Ein weiterer Faktor, der limitierend wirken kann: unzureichende Kapazitäten. Für die Umstellung auf das neue SAP-System sollten Ressourcen möglichst großzügig eingeplant werden, wobei der tatsächliche Umfang immer vom Einzelfall abhängen muss. Erschwert wird die Planung jedoch dadurch, dass nur wenige Unternehmen über genügend Spezialisten oder freie Kapazitäten im Business verfügen. Und die Zahl der verfügbaren Fachkräfte sinkt angesichts der zunehmenden S/4HANA-Transformationsprojekten stetig. Daher kann es hilfreich sein, mit externen Partnern oder Freelancern zusammenzuarbeiten. Das belastet zwar das Budget stärker als eine Inhouse-Lösung. Es bietet aber den Vorteil, dass gesammelte Erfahrungen früherer S/4-HANA-Transformationen genutzt werden können. Ein effizienter Umgang mit Ressourcen ist insgesamt unbedingt erforderlich.

Dazu gehört auch ein klares Commitment im Haus, dass die eigenen ins Projekt entsendeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Tagesgeschäft freigestellt werden.”

Schließlich sollten Finanzinstitute darauf achten, dass Projektetat und Zielstellung der Transformation zusammenpassen. Wer nur ein schmales Budget bereitstellen kann oder will, wird die Umstellung kleiner dimensionieren müssen. Auf ein großes „Aufräumen“ der IT-Systeme und Prozesse ist dann zu verzichten.

Fazit: Die Umstellung ist ein Mammutprojekt, das sich lohnt

Letztendlich ist es bei der bevorstehenden Umstellung wie bei einer Immobilie, die in die Jahre gekommen ist. Die Institute stehen vor der Wahl: Wollen sie das gesamte System entkernen und es umfassend sanieren? Oder ist die Substanz noch im tadellosen Zustand, sodass eine Renovierung ausreicht? Für beide Vorhaben brauchen sie ein individuelles Konzept.

Klar ist jedenfalls, dass Banken jetzt mit den Arbeiten beginnen sollten, um anschließend wieder Freude am (ERP-)Heim zu haben.”

Thomas Istel, KPMG

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