STRATEGIE: GRUNDLAGE SMART CONTRACTS17. September 2015

Smart Contracts: Die Basisformel zur Veränderung der Versicherungsbranche

Bernd RichterCapco
Bernd RichterCapco

Der Abschluss von Versicherungen ist ein leidiges Thema: Welche Versicherungen benötigt ein Kunde wirklich? Wer ist für welche Versicherung der beste Anbieter? Wie viel muss und wie viel sollte der Kunde für eine Versicherung ausgeben? Zur Beantwortung dieser Fragen lässt sich der Kunden gerne durch den Versicherungsmakler seines Vertrauens beraten. Ein kompetenter Ansprechpartner, der sicher durch das Versicherungslabyrinth führt, der Angebote, Leistungen und Preise kennt, und weiß, welche Versicherung am besten zu meinen Anforderungen passt.
Noch. Doch das könnte sich mit FinTechs bald ändern. Doch die Lösung für die Versicherer liegt auf der Hand – sie heißt: Smart Contracts.

von Bernd Richter, Capco

Autor Bernd Richter
Bernd Rich­ter ist Partner bei der Un­ter­neh­mens­be­ra­tung Capco im Be­reich Capi­tal Markets. Sein Ver­antwor­tungs­be­reich sind Trans­formati­ons- und Digital­projekte sowie der Auf­bau neuer Ge­schäftsbe­rei­che.
Das Geschäftsmodell des Versicherungsmaklers als Instanz zwischen dem Versicherer und dem Versicherten generiert heute 4,5-mal so viel Umsatz wie das gesamte deutsche e-Commerce Geschäft. Normalerweise verdienen Makler ihr Leben lang an abgeschlossenen Verträgen und den daraus entstehenden Provisionen – ein äußerst attraktiver Markt, dessen Potenzial nicht unentdeckt geblieben ist.

Dass die Rolle des Maklers durch Vergleichsportale im Internet und die damit verbundenen Möglichkeit der Versicherten, dort Eigenrecherche zu betreiben, gefährdet ist, ist nichts Neues. Doch nun steht der Markt noch einem ganz anderen Herausforderer gegenüber: den digitalen Finanzstartups im Internet – oder: den FinTechs.

Die Eroberung – oder “Weggegangen, Platz gefangen”

www.clark.deClark
www.clark.deClark

Sie heißen Clark, Get safe und Feelix und digitalisieren den Makler. Das Prinzip ist ganz einfach: Versicherte geben über eine App ihre Einwilligungserklärung ab, dass bestehende Versicherungsverträge durch den FinTech Anbieter übernommen werden dürfen. Von da an funktioniert alles voll automatisch. Die bestehenden Versicherungsverträge werden von den bisherigen Maklern eingefordert, digitalisert, analysiert und bewertet. Dem Versicherten werden dann auf Grundlage der Analyse und Bewertung Vorschläge unterbreitet, sein Versicherunsportfolio effizienter zu gestalten. Für den Fall der Über- oder Unterdeckung einer Versicherung wird der Versicherte per Push-Nachricht auf seinem Mobilgerät informiert und erhält direkt entsprechende neue Angebote. Mit einem einfachen Klick kann er diese akzeptieren oder ablehnen. Alle Folgeschritte zur Umstellung der Verträge übernimmt dann wieder der Anbieter.

Hier treten die angekündigten Neuankömmlinge auf den Plan, denn sie können noch mehr. Beispielsweise bieten die digitalisierten Makler Ad-hoc-Versicherungen an: Ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal gegenüber den etablierten Branchengrößen. Befindet man sich beispielsweise gerade im Ausland, wird dies durch das GPS-Signal des Mobile Device getrackt. Bei einer vorhandenen KFZ-Versicherung nimmt die App an, man sei mit dem Auto unterwegs und checkt gleichzeitig, ob eine entsprechende KFZ-Versicherung für das Land, in dem man sich befindet, abgeschlossen wurde. Falls nicht, wird dem Kunden sofort ein entsprechendes Versicherungsangebot zum direkten Abschluss in der App bereitgestellt.

Smarter Ersatz – Versicherer verlieren das Geschäftsmodell Makler

Es ist bisher noch unklar, ob durch die Einwilligungserklärung der Provisionsanspruch bestehender Verträge direkt vom Makler auf die Fintechs übertragen wird oder ob dieser Fall nur bei Neuverträgen eintritt, die über die App abgeschlossen wurden.

Im Grunde genommen ersetzt das FinTech Unternehmen „nur“ die Rolle des Maklers durch eine digitale Anwendung.

Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die digitalisierten Makler nicht mit veralteten Strukturen und regulatorischen Anforderungen zu kämpfen haben. Sie agieren unabhängig und bieten ein einfaches aber dennoch effizientes Produkt, das dem Kunden das Gefühl vermittelt, individuell nach den persönlichen Bedürfnissen behandelt zu werden. De Facto verlieren die Versicherungen das Geschäftsmodell Makler.

Noch ist nicht absehbar, wie die Versicherungen auf den Angriff der FinTechs reagieren werden. Doch unabhängig davon, ob sie sich für einen Gegenschlag durch Zusammenschluss und die Entwicklung einer eigenen App oder für die Kooperation mit den FinTechs zur Nutzung derer technologischen Vorteils entscheiden, muss die Branche ihren entscheidenden Nachteil loswerden: die Legacy Systeme.

Die Blockchain im Einsatz

Völlig losgelöst von der Reaktion der Versicherungsbranche auf die neuen Voraussetzungen wird sich der Markt grundlegend verändern. Die konkrete Richtung des Veränderungsprozesses ist noch unklar – dennoch gibt es unterschiedliche durchaus realistische Theorien.

Durch das Zusammenführen von Daten werden neue Geschäftsmodelle möglich.Jakub Jirsak/bigstock.com
Jakub Jirsak/bigstock.com

Das Grundmodell aller Theorien, das wiederum bereits eine eigenständige Lösung darstellt, ist das Modell der Blockchain und die Generierung von „Smart Contracts“. Die Zusammenführung von Kundendaten auf der Blockchain eröffnet neue Dimensionen in der Versicherungsindustrie und nicht nur, dass Versicherungsverträge durch die Einbindung verhaltensbezogener Daten individuell kalkuliert werden können – wie beim Beispiel der individuellen KFZ-Versicherung. Zunächst werden Verträge digitalisiert – nicht per Generierung einer Scan-Datei, sondern durch die Übertragung aller Vertragsinhalte in eine XML Notation. Dies ermöglicht, langwierige Prozesse zu automatisieren.

Im Fall eines Schadens beispielsweise kann die Prüfung der Abdeckung bzw. der Ansprüche eigenständig erfolgen, Anspruchsauszahlungen werden direkt vorbereitet und ohne Umwege vorgenommen. Die Übertragung der digitalisierten Verträge in einen Smart Contract generiert letztlich eine personenbezogene Identität.

Beispiel Krankenversicherung – der verschlüsselte “Health imprint” 

Im Bereich der Krankenversicherung entspricht das beispielsweise der persönlichen Gesundheitsakte in einer „HealthChain“. Alle Arztbesuche, Diagnosen, Krankheiten, Impfungen, Ergebnisse ab der Geburt werden sicher digital über das ganze Leben in dem persönlichen “Health imprint” hinterlegt. Die Daten können kontrolliert abgerufen werden und heutige Health Wearables sowie zukünftige Health Inwearables können die Gesundheitsakte kontinuierlich mit zusätzlichen Daten anreichern. Falsche Diagnosen aufgrund fehlender Daten können damit stark reduziert werden.

Wo heute noch unflexible, ruhende Verträge mit langen Laufzeiten den Markt charakterisieren, besteht die Möglichkeit, dass in den kommenden Jahren der Ansatz der Ad-hoc-Versicherungen mit dem des „Smart Contract“ kombiniert wird.

Das heißt, Versicherungen werden einerseits nicht mehr nur vorausschauend abgeschlossen, sondern auch situativ und eventgetrieben und es erfolgt gleichzeitig eine direkte Nutzung verhaltensbezogener bzw. sensorischer Daten in den Versicherungsvertrag. Unabhängige Dritte, also Makler, werden in dieser Welt nicht mehr benötigt. Es findet eine Machtverschiebung hin zum Kunden statt.

Letztlich wird die neue Autorität des Kunden dazu führen, dass sich die klassische Versicherungsbranche auflöst und durch neue Modelle ersetzt wird. Der Trend hat einen Namen – „Build your own Insurance“.

Von BYOB  – “Build your own bank” zu BYOI – “Build you own Insurance”

Betrachtet man das klassische Prinzip einer Versicherung und das dahinterstehende Modell, zeigt sich schnell, dass dieses relativ einfach und ohne hohen Kostenaufwand durch Technologie kopiert werden kann. Das heißt, FinTechs könnten den Ansatz des Crowd Sourcing mit dem Blockchain Modell verbinden und somit das Geschäftsmodell Versicherung komplett operationalisieren. Sie wären dann nicht mehr nur in der „Maklerposition“ wie Get Safe, Clark und Feelix, sondern bieten ihre eigene kostengünstige Versicherung, deren Beitragsleistung durch direkte Nutzerdaten und Sensorik definiert würde. Es ist zu erwarten, dass sich dieses Modell relativ zeitnah anhand von selektiven Mikroversicherungen einstellt, d.h. dass bei bestimmten Versicherungsarten beispielsweise nur bestimmte Zielgruppen oder Modelle angesprochen werden.

Capco
(Capital Markets Company)
Capco ist Anbieter von Beratungs-, Technologie- und Transformationsdienstleistungen und wendet sich speziell an die Finanzdienstleistungsbranche. Capco bietet seinen Kunden Consulting-Expertise, komplexe Technologielösungen, Systemintegration und Managed Services an. Capco Connect bezeichnet die Zusammenarbeit und Kooperation mit innovativen technologischen Anbietern (FinTechs) in der Finanzindustrie. In einem Co-Creation Prozess werden die innovativen Lösungsansätze der FinTechs mit Capco’s Branchen Know-How verknüpft, um individuelle „value creation“ und „cost disruption“ Ansätze für Kunden zu entwickeln.
Da das Vertriebskonzept und die Abwicklung voll digitalisiert und somit extrem wirtschaftlich für den Anbieter sind, können die selektiven Versicherungen extrem preiswert und attraktiv an den Kunden direkt weitergegeben werden.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Dabei beginnt die Zukunft bereits heute, denn die Voraussetzungen zur Transformation sind gegeben und selbst das „Wie“ liegt auf der Hand. Sobald zum Thema Blockchain aus legislativer Sicht alle Fragen geklärt und Lücken geschlossen sind, wird der Einsatz der neuen Technologie den Versicherungsmarkt wie auch viele andere Märkte transformieren. Die Versicherer müssen auf genau diesen Zeitpunkt vorbereitet sein und sich der technologischen Revolution stellen. Es gibt nichts, wovor die etablierten Unternehmen Angst haben müssten. Im Gegenteil: Blockchain ist die Chance zur Selbstrettung: Raus aus der Kostenfalle und den alten Systemstrukturen. Die Einführung der Blockchain Infrastruktur ist weder im Aufbau noch im Betrieb kostenaufwendig und kann parallel zur bestehenden Infrastruktur bis hin zu dessen Abschaltung aufgebaut und befüllt werden. Wer diese Chance wahrnimmt, wird auch in Zukunft rentable Zeiten erleben und hat die Möglichkeit, kompetitive und wertschaffende Applikationen im Versicherungsbereich zu entwickeln.aj

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