Anzeige
STRATEGIE18. November 2019

Eine Woche ohne Bargeld – geht das in Deutschland? Das Tagebuch des Selbstversuchs von Anno Lederer

Anno Ledererprivat

Schon oft hat sich Anno Lederer die Frage gestellt, wie weit er im Alltag käme, wenn er bewusst und konsequent versuchen würde, auf das Bezahlen mit Bargeld zu verzichten beziehungsweise irgendwie drumherum zu kommen. Das Selbst-Experiment

von Anno Lederer

Ein Leben ohne Bargeld? Das hätte für mich den großen Vorteil, dass ich mein Portemonnaie für Karten, Scheine und Münzen nicht ständig dabei haben müsste und nur mit meinem praktischen Clip-Wallet aus dem Haus gehen könnte – darin enthalten Girocard, Kreditkarte, Personalausweis, Führerschein – und ein paar Scheine für alle Fälle.

Ich finde das Bezahlen mit Karte, Smartphone oder einer Smartwatch bequemer, schneller und auch sicherer.”

Deshalb habe ich mir das Experiment vorgenommen: Eine Woche ohne Bargeld im Rahmen eines persönlichen „Machbarkeitstest“ beleuchten.

Mir war im Voraus klar, dass ich dafür einige gewohnte Verhaltensweisen ändern und beim Bezahlen teilweise gezielt nachfragen oder das Servicepersonal auch “nerven” muss, um zu erfahren, ob es geht oder wo es inzwischen sogar üblich ist, nicht mehr bar zu bezahlen und wo es unmöglich oder zumindest „unangenehm“ wird, die Karte einzusetzen und schließlich wo nach heutigem Stand unüberwindliche Grenzen für das bargeldlose Bezahlen gesetzt sind.

Erste Negativerfahrung: Das Parkhaus

So würde es auch gehen. Ein Beispiel aus der Schweiz.hadrian/bigstock.com

Eine erste negative Erfahrung hatte ich gleich zu Beginn am Montag dieser Test- und Beob­achtungs­woche. An einem Parkautomaten in einem Parkhaus eines Münsteraner Krankenhauses konnte ich das Parkticket nur mit Münzen oder Scheinen bezahlen.

Ich vermute, dass es in vielen Städten in Deutschland ähnlich ist und es immer noch eine größere  Anzahl dieser älteren Parkhäuser mit solchen Automaten gibt. Gleiches gilt auch für die bekannten Parkscheinautomaten in den Parkbuchten, die zumindest in Münster überwiegend mit Bargeld gefüttert werden wollen.

Gleich danach hatte ich aber zwei Erfolgserlebnisse. Ein Metzger akzeptierte gern die Kartenzahlung mit Girocard, allerdings ging es leider noch nicht kontaktlos.

Gegenüber im Lebensmittelmarkt gab es dann zu meiner großen Freude die Möglichkeit, meine AppleWatch mit Apple Pay einzusetzen. Für die Kassiererin scheinbar eine inzwischen gern gesehene Selbstverständlichkeit. Die Erklärung – eine Smartwatch – fand ich an ihrem linken Handgelenk.

Die Kundin vor mir allerdings, die gerade aufwändig den passenden Betrag in bar vorgezählt hatte, schaute mich in diesem Moment an, als käme ich von einem anderen Stern.”

Das Zahlen mit einer Watch oder auch mit einem Fitnessarmband ist zumindest in meinem direkten Umfeld eher eine Seltenheit. Die meisten Menschen wissen auch nicht, dass es eigentlich überall da funktioniert, wo kontaktloses Zahlen geht.

Die "Serie 0"<q>Denys Prykhodov/bigstock.com
Die “Serie 0”Denys Prykhodov/bigstock.com

Und viele meinen, man muss dazu auch ein Smartphone dabei haben. Dem ist aber nicht so. Die jeweilige Karte ist zum Beispiel in der Wallet hinterlegt und wird so behandelt wie die Plastikkarte selbst. Und das geht sogar mit meiner Apple Watch, eine „Series 0“  aus dem Jahr 2015, als Apple die Watch auch in Deutschland auf den Markt gebracht hat.

Am nächsten Tag – also am Dienstag – war dann das Zahlen an der Tankstelle mit Apple Pay für den Kassierer und mich schon Routine. Man sollte beim Bezahlen nur wissen, ob die Uhr oder das Smartphone ans Display oder an die Seite des POS-Terminals gehalten werden muss. Sonst macht das Ganze einen eher unbeholfenen Eindruck. Dafür scheint es wohl (noch) keine Norm zu geben.

Trinkgeld ohne Bargeld – etwas peinlich

Danach ging es mit dem Auto durch die Waschstraße. Das Bezahlen mit Karte war auch hier kein Problem. Aber dann kam ich an den Punkt, wo der freundliche Mitarbeiter der Waschstraße den Wagen kurz noch abledert und dann an den Besitzer übergibt. Da stand an der Seite deutlich sichtbar ein Teller bereits mit einigen Münzen gefüllt … der berühmte ‘Tip‘ für das Serviceteam. Peinlich, wenn man dann nicht einen Euro oder ein paar sonstige Münzen aus der Tasche ziehen kann.

Die Kolumne von Anno Lederer
Anno Lederer war über 35 Jahre in der Informationstechnologie für Banken tätig und von 1997 bis 2014 Vorstandsmitglied und Vorstandsvorsitzender der GADeG mit Sitz in Münster – dem IT-Dienstleister für über 400 Volks- und Raiffeisenbanken vornehmlich im Nordwesten Deutschlands.

Er trieb fe­der­füh­rend die Ent­wick­lung in­no­va­ti­ver Lö­sun­gen für Kre­dit­in­sti­tu­te vor­an und hat ge­mein­sam mit sei­nem Team ei­ne Viel­zahl von IT-Pro­duk­ten für Ban­ken er­folg­reich zum Ein­satz ge­bracht. Auch nach sei­nem Ein­tritt in den Ru­he­stand ist er wei­ter­hin auf­merk­sa­mer Be­ob­ach­ter ak­tu­el­ler Ent­wick­lun­gen in der Ban­ken­land­schaft und ver­folgt in­ten­siv Ver­öf­fent­li­chun­gen und Dis­kus­sio­nen rund um das The­ma Di­gi­ta­li­sie­rung in der ge­sam­ten Fi­nanz­bran­che.

Später überraschte mich eine Kassiererin in einem Markt für Tiernahrung, in dem sie von sich aus darauf hinwies, dass ich gern auch mit meinem Smartphone oder meiner Watch zahlen könnte. Da müssen wohl positive Erfahrungen vorausgegangen sein oder man hat dem Personal die Vorteile dieser Bezahlform explizit z. B. im Rahmen einer Einweisung vermittelt. So etwas soll es auch geben.

Beim Abendessen mit Freunden in einem unserer Lieblingsrestaurants in Münster gab es ebenfalls kein Problem. Dort ist es schon lange üblich, dass überwiegend mit Karte oder auch Smartphone gezahlt wird. Meines Wissens gibt es nur noch wenige Restaurants und Lokale, die eine Kartenzahlung nicht akzeptieren.

Die Rechnungsbegleichung im Freundeskreis  ist mittlerweile auch deutlich erleichtert. Entweder zahlt einer für alle und nachher erfolgt über die verschiedensten dafür eigens entwickelten Lösungen die gegenseitige Verrechnung – natürlich auch über Bargeld möglich.

Viele jüngere Menschen machen dies allerdings meistens im Nachhinein per PayPal. Es gibt dafür inzwischen viele Lösungen auch von Banken, die genauso gut funktionieren. Fraglich ist nur, ob letzteres auch bei der Zielgruppe der jüngeren Menschen über dafür geeignete Marketing- oder Werbemaßnahmen schon angekommen ist.

Kein Trinkgeld bei Kartenzahlung?

Probleme gibt es übrigens in einigen Restaurants – nicht nur in Deutschland – bei denen offensichtlich das Abwicklungssystem im Hintergrund ein Trinkgeld nicht in die Kartenzahlung einbeziehen kann. Insbesondere in den USA kann das bei der Bezahlung mit der Kreditkarte in manchen Restaurants  ein größeres Problem werden.

Beim Trinkgeld in in Deutschland nichts ohne Bargeld
Trinkgeld ist in aller Regel noch barilixe48/bigstock.com

Am Mittwoch ging es für mich zum Friseur. Man ahnt schon, was kommt. Bezahlen für den Haarschnitt mit Karte kein Problem. Aber da stehen auch noch die mit Namen der verschiedenen Angestellten gekennzeichneten bunten Sparschweine. Die sind für das Trinkgeld. Und diese Sparschweine akzeptieren nun mal keine Kartenzahlung.

Einige kleinere Erledigungen in der Stadt am Donnerstag der Woche ließen sich problemlos mit Karte bezahlen. Aufgefallen war mir – und das mag Zufall sein – dass für die Verbreitung der kontaktlosen Bezahlmöglichkeit durchaus noch Luft nach oben besteht.

Ich meine festhalten zu dürfen, dass mein Bezahlvorgang mit Karte, Smartphone oder Watch im Vergleich zu den Bargeldzahlern vor mir immer deutlich schneller abgewickelt werden konnte. Und das Personal an den Kassen, wo diese Bezahlform möglich ist, scheint damit sehr glücklich zu sein.

Weiterhin fiel mir auf, dass das Zahlen mit der AppleWatch und ApplePay oder auch mit Android-Smartphones  und GooglePay nur bei wenigen Einzelhändlern und Verbrauchern bekannt ist.

Das wird sich sicher noch nach oben entwickeln, wenn die Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken nach der bereits erfolgten Integration von GooglePay diese Variante auch für alle Apple-Fans und vor allem mit der Girocard in ihre Bezahlapps eingebaut haben.”

Am Freitag und Samstag ging es in meine Heimatstadt Düsseldorf. Shopping, das Abendessen bei unserem  Lieblingsitaliener, die Übernachtung im Hotel, das Parken im Parkhaus, das Tanken etc. – alles
bargeldos und alles kein Problem.

Wäre nicht das freundliche Toilettenpersonal in einem etwas luxuriöseren Kaufhaus an der Kö gewesen – man hatte wieder so einen Teller mit einem „Dankeschön-Schild“ aufgestellt – wäre der gesamte Trip nach Düsseldorf bargeldlos verlaufen. Aber will man sich nicht mit leicht gerötetem Gesicht an den freundlichen Servicekräften vorbeischleichen, sollte man vorbereitet sein,  und das heißt, ein paar Münzen sollte man schon in der Tasche haben.

Am Sonntag-Nachmittag zurück in Münster konnte ich eine gemütliche kleine Kaffeerunde im Kreis von Freunden und Familie mit der Frage beleben “Sagt doch mal, wofür Ihr noch Bargeld braucht?”

Und dann kamen all die Punkte, die ich vorher schon aufgezählt habe.

Karte statt Bargeld - ein moderner Klingelbeutel
Gibt es wirklich – den digitalen Klingelbeutel der PAX-Bank. Der Klick aufs Bild bringt Sie zum Beitrag.PAX Bank

Und es kamen noch andere dazu. Zum Beispiel das Füttern des Klingelbeutels beim sonntäglichen Kirchgang. Oder der nette Mann, der auf Münsters Prinzipalmarkt immer um eine kleine Unterstützung für seinen Lebensunterhalt „bittet“. Übrigens: Das geht aber bei der PAX-Bank auch schon digital – zum Beitrag.

Auch die meisten Taxifahrer – zumindest in Münster – würden immer noch sehr “sparsam” gucken, fragt man sie nach “Bezahlen mit der Karte”. Die wären doch allein unter Sicherheitsaspekten gut beraten, wenn sie die bargeldlose Bezahlung präferierten oder sogar forcierten.

Und dann noch ein paar andere Punkte, die ich irgendwie schon erwartet hatte. Natürlich hatte niemand am Tisch dabei aus eigenem Erleben oder Handeln berichtet, aber es gäbe auch Menschen, die ihre Haushaltshilfen, Gärtner oder auch schwierig zu bekommende Handwerker nur in bar für die geleistete Arbeit vergüten. Das ginge halt einfacher und schneller….

Am Sonntag-Abend habe ich dann für mich ein sehr persönliches Fazit dieser Woche gezogen. Und ich lege Wert darauf, dass dieses Fazit nicht auf einer empirischen und damit allseits verwertbaren Erhebung beruht. Es sind meine ganz eigenen Erfahrungen aus einer Woche und die lauten:

Man kommt inzwischen schon ganz schön weit in Deutschland ohne Bargeld. Es sind häufig nur die kleinen Dinge wie Trinkgeld oder z. B. ältere Parkautomaten, bei denen es kaum eine Alternative zum Bargeld gibt. Und bei kleineren Beträgen muss man sich schon trauen. Und dazu gehört dann auch etwas Mut.”

Aber – und das ist nach meinem Dafürhalten ein sehr wichtiges Aber, um die Vorteile des bargeldlosen Zahlens deutlicher werden zu lassen, bedarf es einer gezielten und möglichst umfassenden Information und Aufklärung sowohl auf Seiten der Verbraucher als auch Seiten der Händler. Nur dann kann auch in Deutschland der sehr viel kostenintensivere Bargeldverkehr zurückgedrängt werden.

Und zusätzlich müssten auch mehr mutige, innovative und konsequente Entscheidungen auf Seiten einzelnen Marktteilnehmer getroffen werden.

Bargeld - auf Wangerooge demnächst zumindest ohne Kupfermünzen
zigmunds/bigstock.com

Nordseeinsel Wangerooge: Keine Kupfermünzen mehr

Über ein sehr schönes Beispiel für eine solch mutige Entscheidung habe ich vor ein paar Tagen in bild.de lesen können. Die Volksbank Jever hat vor dem Hintergrund der hohen Logistik- bzw. Transportkosten entschieden, kein Kupfergeld mehr – also 1 Cent-, 2 Cent- oder 5 Cent-Münzen – an ihre Firmenkunden auf der Nordseeinsel Wangerooge zu liefern.

Um das Umsetzen zu können, hat man die dortigen Firmenkunden um Unterstützung gebeten und empfohlen, die Preise z. B. beim Bäcker, Metzger oder Supermarkt auf- oder abzurunden. Ich bin gespannt, wie diese Idee angenommen wird.

Aus meiner Sicht ist es ein mutiger aber vor allem auch wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Ob es weitere derartige Beispiele gibt oder wie die persönlichen Erfahrungen anderer zum gesamten Themenkomplex “Zahlen ohne Bargeld in Deutschland” sind, wäre interessant zu erfahren.Anno Lederer

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert