STRATEGIE18. Dezember 2023

Modernisierungsprojekt gescheitert: Droht der Deutschen Rentenversicherung ein IT-Kollaps?

Robson90 / Bigstock

„Hallo Welt! 25.000 Kollegen suchen dich! Wir machen echte IT für 80 Millionen Menschen.“ – So wirbt die Deutsche Rentenversicherung um Mitarbeiter. Doch offenbar ist das mit der Gewinnung von Fachkräften schwieriger als gedacht. Denn der Bundesrechnungshof warnt in seinen diesjährigen Bemerkungen vor einer drohenden IT-Katastrophe, die der Deutschen Rentenversicherung und der gemeinsamen Datenstelle der Rentenversicherungsträger (DSRV) ins Haus stehen könnte.

Die Vorwürfe, die seitens des Bundesrechnungshofs erhoben werden, wiegen schwer: Durch die veraltete IT werde die Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung insgesamt gefährdet. Im schlimmsten Fall könnten Versichertendaten nicht mehr zuverlässig erfasst und verwaltet werden. Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen, würde bereits heute viel an Zeit und Geld kosten. Die Datenstelle der Rentenversicherung, eine der wichtigsten Schnittstellen für Sozialdaten in Deutschland, ist demnach dringend modernisierungsbedürftig.

Die Datenstelle, die seit 1975 in Betrieb ist, verwaltet die Daten von über 50 Millionen gesetzlich Rentenversicherten sowie von 20 Millionen Rentnern und Rentnerinnen. Es handelt sich dabei um die größte Drehscheibe für Sozialdaten in Deutschland. Doch trotz der enormen Bedeutung dieser Einheit für das deutsche Rentensystem sind deren IT-Systeme stark veraltet und entsprechen nicht mehr den heutigen Standards. Diese veraltete Hard- und Software und die nicht aufeinander abgestimmten Prozesse sollen sich, so erklären Experten, nicht in das aktuelle IT-Gesamtkonzept der gesetzlichen Rentenversicherung einfügen.

Eine Modernisierung der Systeme wurde bereits 2012 als dringend notwendig erachtet, jedoch erst sieben Jahre später, im Jahr 2019, in Angriff genommen – und in diesem Jahr auf Eis gelegt. All das sei komplexer als zunächst angenommen, heißt es.

Inzwischen geht die DRV Bund davon aus, dass es noch weitere fünf bis zehn Jahre dauert, bis die DSRV vollständig auf eine moderne Technik umgestellt ist. Bis dahin muss sie die alte Technik weiter betreiben.”

Statement Bundesrechnungshof

Personalengpass und schwierige Rekrutierung

Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass neben der veralteten Technik auch personelle Engpässe ein Hauptproblem darstellen. Die Datenstelle sei personell unterbesetzt, und es mangele an Nachwuchs, der sich mit den veralteten Systemen auskennt und diese modernisieren könnte. Durch Personalabgänge könnten wichtige Wissensbestände verlorengehen, was den Modernisierungsprozess weiter erschwert. Zudem sei das, was an Softwarelösungen und Code vorhanden sei, so dokumentiert, dass neue Mitarbeiter sich schwer täten, hier Hand anzulegen.

Scanrail/Bigstock

Ein Mitarbeiter eines großen Beratungsunternehmens, das vor einigen Jahren hier eine entsprechende Lösung zur Überarbeitung der zahlreichen Fachverfahren anzubieten versucht hatte, berichtet, dass die IT dem gleiche, was man bei einer Behörde befürchte. Auch fehle es im konkreten Fall vielfach an der Bereitschaft, Change-Prozesse einzugehen. Man treffe vor allem auf Mitarbeiter, so der Informant, die einen Großteil ihres Berufslebens dort verbracht hätten und an möglichst wenig Veränderung des Bestehenden interessiert seien.

Hinzu kommt, dass die DSRV von der Politik in den letzten Jahren weitere Aufgaben zugeteilt bekam, ohne hier für ein Mehr an dafür kompetenten Mitarbeitern zu sorgen. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Dokumentation der IT-Verfahren, was zu Wissensmonopolen einzelner Beschäftigter und unklaren technischen Zusammenhängen führt. Dies hat laut Rechnungshof nicht nur Auswirkungen auf den Betrieb der alten Technik, sondern behindert auch die dringend benötigte Modernisierung.

Veraltete Systeme werden von Jungen nicht beherrscht

Dass sich nur schwer Mitarbeiter finden ließen, hat offenbar auch mit den veralteten Systemen zu tun, mit denen sich viele jüngere IT-Fachkräfte nicht mehr befassen wollen oder können. Zeigt einmal mehr, dass ein attraktives Umfeld in der IT auch mit den verwendeten IT-Ressourcen einhergeht – und bedeutet, dass derzeit vieles über externe Dienstleister teuer hinzugekauft werden muss. Laut Bundesrechnungshof sei nicht klar, wie viele Mehrkosten hierdurch entstehen.

Der DRV Bund ist es nicht gelungen, die längst überfällige Modernisierung der DSRV zeitgerecht umzusetzen. Sie wird ihr Ziel verfehlen, bis Ende 2023 sämtliche IT-Verfahren der DSRV auf eine technisch moderne Plattform umzustellen. Versäumnisse in der Vergangenheit tragen wesentlich dazu bei, dass sich der Modernisierungsprozess erheblich verzögert und mit zusätzlichen Risiken belastet wird.”

Statement Bundesrechnungshof

Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat auf die Kritik reagiert und betont, dass bereits mit der Modernisierung begonnen wurde, diese jedoch aufgrund gesetzlicher Aufträge und knapper Fristen zurückgestellt werden musste. Die Behörde sieht gegenwärtig kein besonderes Kostenrisiko bei einem verlängerten Weiterbetrieb des bestehenden Systems und betont, dass die verwendete Technik über hochperformante Spezifikationen verfügt und die Sicherheitsstandards erfüllt.

Kritische Entwicklung in zentralem Bereich sozialer Sicherung

Der Bundesrechnungshof fordert dennoch eine umgehende und prioritäre Behandlung des neuen Modernisierungsprojekts, um ein weiteres Scheitern zu verhindern. Eine fundierte Projekt- und Kostenplanung sowie eine realistische Personalbedarfsplanung seien unerlässlich. Zudem müsse das Bundesamt für Soziale Sicherung als Aufsichtsbehörde gewährleisten, dass der Modernisierungsprozess stetig überwacht und bei Bedarf steuernd eingegriffen wird.

Die Mahnungen des Bundesrechnungshofes weisen auf eine kritische Entwicklung in einem zentralen Bereich der sozialen Sicherung in Deutschland hin. Der absehbare Modernisierungsbedarf der IT-Systeme der Datenstelle der Rentenversicherung ist ein Weckruf, der zügiges und effizientes Handeln erfordert, um die Stabilität und Verlässlichkeit des deutschen Rentensystems langfristig zu sichern.tw

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert