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STRATEGIE15. Mai 2024

Barrierefreiheit wird Pflicht! Nachgeprüft: Deutsche Banken stehen erst am Anfang

Amelie Roenspieß, PPI, untersucht stichprobenartig die Anforderungen zur Barrierefreiheit auf diversen Websites von Banken <q>PPI
Amelie Roenspieß, PPI PPI

Der Gesetzgeber verschärft die Anforderungen für die Zugänglichkeit von digitalen Angeboten ab Juni 2025 – im Fokus dabei auch speziell Angebote von Banken. Die PPI hat stichprobenartig untersucht, inwiefern die Websites deutscher Banken den Anforderungen zur Barrierefreiheit bereits genügen und wo Handlungsbedarf besteht.

von Amelie Roenspieß und Marco Bretschneider, PPI

Barrierefreies Banking bedeutet schon lange mehr als nur eine rollstuhlgerechte Rampe vor der Filiale. Digitale Angebote stellen eine immer wichtigere Alternative zum Termin vor Ort dar, waren bisher jedoch nur für Menschen mit ausreichend digitaler Kompetenz und ohne besondere Bedürfnisse an die Bedienung vollständig zugänglich. Dies wird sich zukünftig ändern:

Am 28. Juni 2025 tritt das Barriere­freiheits­stärkungs­gesetz (BFSG) in Kraft, das den European Accessibility Act (EAA) von 2019 in deutsches Recht überführt. Das Gesetz verpflichtet Banken und andere Unternehmen dazu, ihre Dienstleistungen an allen digitalen Kundenkontaktpunkten weitgehend barrierefrei zu gestalten – beispielsweise also Websites, Apps, digitale Dokumente, Geldautomaten und Terminals.”

Marco Bretschneider, PPI, untersucht stichprobenartig die Anforderungen zur Barrierefreiheit auf diversen Websites von Banken <q>PPI
Marco Bretschneider, PPI PPI

Was die Branche hierzulande noch tun muss, haben wir bei PPI stichprobenartig am Thema Websites untersucht. Das Ergebnis sei schon vorweggenommen: Keine der untersuchten Banken erfüllt derzeit das gesamte Spektrum der Anforderungen an die Barrierefreiheit gemäß BFSG.

Wie digitale Barrierefreiheit zukünftig geregelt ist

Den Hintergrund zu den Anforderungen von EAA und BFSG liefern international bereits etablierte Grundlagen:
die europäische Norm EN 301 549 (seit 2021),
 die darin referenzierten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG, seit 1999) vom W3C, dem Gremium zur Standardisierung der Techniken im World Wide Web sowie
 die ISO-Norm zu PDF Universal Accessibility (PDF/UA, seit 2012), welche Kriterien für barrierefreie digitale Dokumente beinhaltet und
 der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR, seit 2001), dessen Sprachniveau B2 gemäß der Verordnung zum BFSG (BFSGV) bei Bankdienstleistungen für Verbraucher nicht überschritten werden darf.

Die ab Juni 2025 neu vorgeschriebenen Regeln versuchen, ein möglichst breites Spektrum an Bedürfnissen zu berücksichtigen: unter anderem bezüglich der Sinne (z. B. eingeschränktes Seh- oder Hörvermögen), der körperlichen Fähigkeiten (z. B. motorische Einschränkungen, Beeinträchtigungen der Aktivität) und der kognitiven Fähigkeiten (z. B. Lernbehinderung, geistige Behinderung) sowie der Sprachkompetenz.”

Amelie Roenspieß, PPI
Amelie Roenspieß, PPI <q>PPI</q>Amelie Roenspieß ist Senior Usability Consultant und seit 2016 bei PPI (Website). Nach ihrem Master-Abschluss in Informatik an der Uni Lübeck baute sie dort den Studiengang Medieninformatik mit auf. Für PPI ist sie schwerpunktmäßig im Bereich Software Engineering & Managed Services für Zahlungsverkehrsprodukte tätig.
Jedoch geht die Zielgruppe weit über Menschen mit Behinderungen hinaus; am Ende helfen die neuen Vorgaben allen Kunden. Sei es eine geringere Digitalkompetenz oder eine vorübergehende Einschränkung: In vielen Alltagssituationen sind verschiedenste Nutzer mit Barrieren in Anwendungen konfrontiert. Beim Autofahren etwa ist die Nutzung eines Smartphones visuell und motorisch nur stark eingeschränkt möglich, da die fahrende Person die Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad haben sollte. Lässt sich eine Anwendung jedoch etwa per Spracheingabe und -ausgabe steuern, wie bereits viele Messenger-Dienste in Kombination mit Sprachassistenten, können diese Einschränkungen umgangen werden.
Um ihre digitalen Inhalte zukünftig gesetzeskonform barrierearm zu gestalten, müssen Anbieter eine Vielzahl von Anforderungen aus WCAG, EN 301 549 und BFSGV erfüllen. Diese gelten unter anderem für alle Finanzdienstleister und deren Websites, Apps, Portale, Online-Kaufprozesse, Online-Verträge und so weiter.

Bei Nicht-Erfüllung sieht das BFSG Bußgelder und Verbesserungsfristen vor; es droht sogar die Abschaltung nicht-konformer Funktionen.”

Umfangreiche Prüfung der Anforderungen zur Barrierefreiheit der Websites

Unsere Untersuchung basiert auf den Erfolgskriterien der WCAG. Diese sind nach vier Prinzipien strukturiert:
1. Wahrnehmbarkeit
Informationen und Funktionen müssen für die Nutzer über verschiedene Sinne wahrnehmbar sein. Eine wesentliche Grundlage hierfür ist die Umsetzung konform zu den Standards (zum Beispiel HTML, CSS und ggf. ARIA). Beispielweise sollte Sichtbares auch hörbar sein und umgekehrt, etwa mit sinnvollen Alternativtexten für Bilder oder Untertiteln für Audioaufzeichnungen.
2. Bedienbarkeit
Die Inhalte und Funktionen müssen für alle Nutzer bedienbar sein, auch wenn Einschränkungen vorliegen. Beispielsweise muss eine vollständige Tastaturbedienung ohne Maus möglich sein. Auch der Verzicht auf Zeitbegrenzungen verbessert die Bedienbarkeit.
3. Verständlichkeit
Die Informationen und Funktionen müssen für alle Nutzer verständlich sein. Ein strukturierter Aufbau der Inhalte und die Verwendung benutzergerechter Sprache helfen dabei, Missverständnisse auch bei der Benutzung von Screenreadern zu vermeiden
4. Robustheit
Die Inhalte müssen so robust sein, dass sie von einer Vielzahl an unterschiedlichen Ausgabegeräten wie Webbrowsern und assistiven Technologien interpretiert und wiedergegeben werden können.
Darüber hinaus sind die Erfolgskriterien jeweils einer von drei Konformitätsstufen zugeordnet:
• A: Minimale Konformität wird erreicht durch die Erfüllung aller Kriterien auf Stufe A
• AA: Akzeptable Konformität wird erreicht durch die Erfüllung aller Kriterien auf Stufe A und AA
• AAA: Maximale Konformität wird erreicht durch die Erfüllung aller Kriterien auf Stufe A, AA und AAA. Zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen müssen digitale Angebote mindestens die Konformitätsstufe AA erreichen. Diese hat sich als internationaler „Standard“ etabliert, da für bestimmte Inhalte eine Umsetzung auf Konformitätsstufe AAA nicht möglich ist.

Marco Bretschneider, PPI
Marco Bretschneider, PPI <q>PPI</q>Marco Bretschneider arbeitet seit 19 Jahren bei PPI (Website). Seit 2017 leitet er das Team Frontend- und Usability Engineering im Bereich Software Engineering & Managed Services für Zahlungsverkehrsprodukte. Marco ist gelernter Bankkaufmann und verfügt über einen Diplom-Abschluss in Informatik.
Für unsere stichprobenartige Untersuchung haben wir 15 wesentliche, beispielhafte Pflichtkriterien (Konformitätsstufen A und AA) und fünf optionale Kriterien (Konformitätsstufe AAA) ausgewählt, unter anderem bezüglich Tastaturbedienung, Screenreader-Nutzbarkeit, Bildern, Video und Audio. Unter die Lupe kamen insgesamt 25 Direktbanken, Landesbanken/Sparkassen, Bausparkassen, Genossenschafts-, Privat-, Geschäfts- und Autobanken sowie Fondsgesellschaften. Getestet wurden Startseite, Login-Seite zum Onlinebanking und der rechtlich entscheidende Consent-Banner. Bei einigen der ausgewählten Institute haben wir zudem einen Kontoeröffnungsprozess untersucht.

Ähnliche Ergebnisse bei allen Seitenkategorien

Der wichtigste Einstieg für viele Nutzer ist die Startseite. Dementsprechend sind dort die Ansprüche an die Barrierefreiheit besonders hoch.”

Häufig gibt es jedoch typische Barrieren, die den Aufruf wesentlicher Serviceprozesse sowie des Online-Bankings erheblich erschweren. Etwa scheitern 96 Prozent der Banken-Websites daran, ihre Inhalte und Funktionen so auszuzeichnen, dass sie von assistiven Technologien korrekt erkannt werden. Oft ist das auf eine unsachgemäße Verwendung von HTML-Elementen zurückzuführen, die semantisch nicht das abbilden, was dargestellt werden müsste. Dadurch werden z. B. Interaktionsmöglichkeiten und Zustände von Formulareingabefeldern oder Menüelementen falsch oder gar nicht wiedergegeben, sodass Nutzer nicht sinnvoll mit diesen interagieren können. Ebenso fehlen bei vielen Links die Angaben, wohin diese führen, oder der Kontrast zwischen verschiedenen Elementen reicht nicht aus.

Im Ergebnis erfüllt keine Bank auf ihrer Startseite alle der von uns geprüften Pflichtkriterien für Barrierefreiheit.”

Ein etwas besseres Bild zeigen die untersuchten Login-Seiten. Allerdings liegt das im Wesentlichen daran, dass diese Seiten oft nur wenig Inhalt haben – es existieren schlicht und einfach weniger mögliche Mängelquellen.

Aufgrund ihrer Bedeutung für die Interaktion haben wir zudem sogenannte Cookie-Consent-Banner analysiert. Diese sind seit Inkrafttreten des TTDSG (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz) im Dezember 2021 den meisten Web-Angeboten vorgeschaltet, ihre Barrierefreiheit ist daher erfolgsentscheidend für die weitere Nutzung der Seite.

Nur ein Drittel der von uns untersuchten Consent-Banner erfüllt die ausgewählten WCAG-Kriterien der Konformitätsstufen A und AA und ermöglicht seinen Nutzern so die informierte Einwilligung sowie den barrierefreien Zugang etwa zum Online-Banking.”

Der Kontoeröffnungsprozess fällt bei unserem Test komplett durch: Keine einzige von uns analysierte Bank-Website erfüllt dort alle der von uns getesteten Pflichtkriterien für Barrierefreiheit. Im Wesentlichen scheitert dies an der barrierefreien Umsetzung der (zumeist mehrstufigen) Formulare.

Screenreader nur eingeschränkt nutzbar

Ein weiterer Fokus der Untersuchung lag auf dem Thema Screenreader, getestet wurde dies mit NVDA sowie der Windows Sprachausgabe. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Die Nutzung dieser Hilfsmittel ist stark beeinträchtigt dadurch, dass viele der Websites nicht semantisch korrekt aufgebaut sind.

Gerade JavaScript-Effekte auf Menü und Suche oder das Öffnen von Overlays führen dabei oft zu dem Fehlverhalten, dass Screenreader auch Elemente vorlesen, die eigentlich gerade ausgeblendet sind oder sich im Hintergrund befinden.”

Auch die saubere Auszeichnung der wichtigsten Strukturen und Links fehlt häufig. Für Personen, die auf Screenreader angewiesen sind, fehlen dadurch grundlegende Navigationselemente. Für die Nutzer bedeutet dies, dass sie im Zweifelsfall viele für sie nicht relevante Seiten(-Inhalte) überprüfen müssen, anstatt zielgerichtet zu den für sie relevanten navigieren zu können – als wäre man ohne Navigationssystem in einer fremden Stadt unterwegs, in der es kaum Straßenschilder gibt. Das ist äußerst mühsam und führt dazu, dass das Online-Banking nur mit sehr hohem Aufwand oder im schlimmsten Fall gar nicht genutzt werden kann.

Fazit: Verbleibende Zeit für die Umsetzung des BFSG nutzen

Das Thema Barrierefreiheit wird zu einer der wichtigsten Aufgaben in den kommenden zwei Jahren für die europäischen Finanzdienstleister.

Denn die Umsetzung der Anforderungen des BFSG erleichtert den Zugang zu digitalen Angeboten für alle Menschen – bei temporären oder situativen Einschränkungen ebenso wie bei permanenten, von denen allein in Deutschland über 10 Millionen Menschen betroffen sind.”

Barrierefreiheit als objektives Qualitätsmerkmal eröffnet für Anbieter neben der gesetzlichen Verpflichtung also auch Chancen auf Wettbewerbsvorteile, zum Beispiel durch die Umsetzung optionaler Anforderungen.
Unsere stichprobenartige Untersuchung zeigt einen erheblichen Nachholbedarf bei den deutschen Finanzinstituten; bislang erfüllt noch keine der analysierten Banken-Websites die gesetzlichen Mindeststandards vollständig. Man erkennt an Gestaltung und Code zumeist deutlich, dass die Arbeiten daran noch am Anfang stehen. Die Ergebnisse lassen außerdem vermuten, dass bei den nicht analysierten Seiten sowie den vielen weiteren, außer Acht gelassenen Kriterien ebenfalls umfangreiche Verbesserungspotenziale existieren. Ähnliches gilt etwa für die Banking-Apps oder digitale Dokumente, die nicht Gegenstand der Untersuchung waren.
Die gute Nachricht: Bis zum 28. Juni 2025 bleibt noch Zeit zum Handeln.

Zwar erfordert die Umsetzung der laut BFSG geforderten Kriterien zur Barrierefreiheit umfangreiche Anpassungen, diese lassen sich mit einem effizienten Vorgehensmodell jedoch gut verwirklichen.”

Dieses positive Zwischenfazit gilt umso mehr, weil wir durch unseren Marktkontakte wissen, dass viele Banken ihre Umsetzungsprojekte hierzu bereits gestartet haben. Amelie Roenspieß und Marco Bretschneider, PPI

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