STRATEGIE16. November 2023

„MiCAR bringt Bewegung in den Markt für Kryptowerte“ – Aylin Wilbert (PPI) im Interview

Aylin Wilbert, Senior Consultant beim Software- und Beratungshaus PPI
Aylin Wilbert, PPI PPI

Die Markets-in-Crypto-Assets-Regulation (MiCAR) schafft ab Mitte 2024 einen EU-weit einheitlichen Rahmen für Angebote rund um Kryptowerte. Aylin Wilbert, Senior Consultant der PPI AG, erklärt, wer davon profitieren wird und warum es FinTechs künftig schwieriger haben könnten, sich am Markt zu behaupten.

Frau Wilbert, Paypal hat vor kurzem die Herausgabe eines eigenen Stablecoins, des „Paypal USD“, bekanntgegeben. Damit ist es erneut ein US-Unternehmen, das den Markt für Kryptowährungen vorantreibt. Gerät Europa hier einmal mehr ins Hintertreffen?

Es stimmt, der Markt für Kryptowerte ist stark US-getrieben. Deutlich weniger als ein Prozent der aktuell im Umlauf befindlichen Stablecoins etwa ist mit Euro hinterlegt. Aber Europa muss sich bei diesem Thema nicht verstecken.

Auch diesseits des Atlantiks kommt zunehmend Bewegung in den Markt für Kryptowerte. Die Markets-in-Crypto-Assets-Regulation, kurz MiCAR, wird diese Entwicklung weiter vorantreiben.”

Was genau regelt die MiCAR denn?

Die MiCAR umfasst zwar nur einen bestimmten Teil der Krypto-Welt – allerdings einen, der derzeit stark im öffentlichen Fokus steht: es geht um Kryptowährungen, Stablecoins und Utility Tokens. Die Verordnung, die im Juni 2023 in Kraft getreten ist und bis Ende 2024 vollumfänglich umgesetzt wird, schafft einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für Kryptowerte.
Sie regelt Transparenz- und Offenlegungspflichten, Zulassung, Beaufsichtigung, Betrieb und Verbraucherschutz im Zusammenhang mit Kryptowerten sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch mit dem Ziel, die Integrität der Märkte für Kryptowerte zu stärken.

Das klingt nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig…

(lacht) Das mag sein. Aber wer sich die Mühe macht, die auf aktuell knapp 170 Seiten aufgeführten strengen Vorgaben der MiCAR zu erfüllen, erhält auf einen Schlag Zugang zu einem gewaltigen Wirtschaftsraum mit rund 450 Millionen Konsumenten – und das unter gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer.

Außerdem erlauben die technischen Grundlagen für die Emission, den Handel und die Verwahrung von Kryptowerten auch einen Einstieg in andere Formen innovativer Vermögenswerte wie NTFs und digitale Wertpapiere. Die Vorstellung, diese Potenziale für sich zu nutzen, dürfte den Entscheidern sehr wohl Vergnügen bereiten.”

Nicht zuletzt deshalb sieht der Branchenverband Bitkom in der MiCAR einen Meilenstein für die Blockchain- und Krypto-Branche. Europa ist damit auch Vorreiter im Vergleich zu anderen Ländern, zum Beispiel den USA, wo es keine Krypto-Regulierung in derartigem Umfang gibt.

Also stehen den Anbietern jetzt goldene Krypto-Zeiten bevor?

Grundsätzlich sehen die Unternehmen die MiCAR und ihre Auswirkungen positiv. Das zeigt eine aktuelle Befragung, die wir unter 31 Fach- und Führungskräften von Unternehmen durchgeführt haben, die sich mit Kryptowerten beschäftigen. Neben Banken und Börsenplatzbetreibern gehören dazu auch Vertreter von Krypto-Serviceanbietern und FinTechs.

Die MiCAR wird von den Befragten als die mit Abstand wichtigste Regulatorik im Bereich Kryptowerte betrachtet.”

Die Anbieter erhoffen sich durch die Umsetzung einen spürbaren Wettbewerbsvorteil und die Chance, die eigene Attraktivität am Markt zu steigern. Das betrifft vor allem Angebote zur Verwahrung und Verwaltung von Kryptowährungen für Dritte, den Handel mit Kryptowerten und – etwas überraschend – die eigene Emission von Kryptowerten.
Die hohe Bedeutung der MiCAR zeigt sich auch darin, dass knapp die Hälfte der von uns befragten Häuser bereits Dienstleistungen anbietet, die künftig durch die MiCAR reguliert werden. Die DZ Bank etwa hat vor kurzem eine eigene Digitalverwahrplattform für institutionelle Kunden in Betrieb genommen.

Aber auch MiCAR-relevante Angebote wie die Emission von Kryptowerten sowie den Tausch von Kryptowerten gegen Nominalgeldwährungen gibt es bereits heute am Markt.”

Unter den Studienteilnehmern, die noch keine entsprechenden Dienstleistungen anbieten, wollen ebenfalls rund 60 Prozent ihre Produktpalette in Zukunft um MiCAR-relevante Angebote erweitern.
Am Ende ist die Frage, wem es gelingt, die Potenziale, die sich durch die MiCAR ergeben, für sich zu nutzen. Da wird es Gewinner und Verlierer geben…

Wie meinen Sie das?

Aylin Wilbert, PPI
Aylin Wilbert, Senior Consultant beim Software- und Beratungshaus PPI
Aylin Wilbert, PPI PPI

Ay­lin Wil­bert ist Se­ni­or Con­sul­tant beim Soft­ware- und Be­ra­tungs­haus PPI (Website). Dort be­schäf­tigt sie sich schwer­punkt­mä­ßig mit dem The­ma Geld­wä­sche­be­kämp­fung, auch für Kryp­tower­te. Nach ih­rem Ba­che­lor-Stu­di­um der Phy­sik ab­sol­vier­te Wil­bert ei­nen Mas­ter in In­ter­na­tio­nal Ban­king and Fi­nan­ce. Vor ih­rer Zeit bei PPI war sie bei Ac­cen­ture tätig.

Die MiCA-Verordnung ist ein Mammutwerk, dessen Umsetzung umfassendes fachliches Know-how inklusive der entsprechenden Ressourcen voraussetzt. Das zeigt sich auch daran, dass bereits rund 60 Prozent der Befragten konkrete Projekte zur MiCAR begonnen haben oder kurz davorstehen, obwohl noch nicht alle Regularien im Detail ausformuliert sind. Hier heißt es also, keine Zeit zu verlieren. Fast jedes zweite Institut davon klagt allerdings darüber, dass in seinem Haus das erforderliche Know-how beziehungsweise die notwendigen Ressourcen fehlen. Das trifft vor allem kleinere Unternehmen wie FinTechs.

Vielen dürfte es schwerfallen, die hohen Anforderungen der MiCAR zu erfüllen. Dadurch entsteht die Gefahr, dass diese Unternehmen aus dem regulierten Markt für Kryptowerte gedrängt werden.”

Das wiederum hätte auch Auswirkungen auf Privatanleger. Denn unsere Studie zeigt: Aktuell sind es vor allem FinTechs, Krypto-Serviceanbieter und die Betreiber von Krypto-Marktplätzen, die sich mit ihren Angeboten an Privatkunden richten. Beim Gros der Befragten hingegen stehen institutionelle Anleger im Fokus – vermutlich, weil sie weniger Beratungsbedarf aufweisen und das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag hier günstiger sein dürfte.

Heißt das, dass es für Privatkunden durch MiCAR schwieriger wird, Zugang zum regulierten Markt für Kryptowerte zu finden?

Nein, davon ist nicht auszugehen. Es ist aber zu erwarten, dass die traditionellen Finanzinstitute Marktanteile bei Privatkunden gewinnen werden.

Erst vor kurzem wurden Pläne deutscher Banken bekannt, den Handel mit Kryptowerten und Digitalwährungen für Privatanleger anzubieten.”

Vermutlich werden die Krypto-Services in die bestehenden Kundenzugänge integriert, etwa über das Onlinebanking oder die Banking-Apps.

Und was ist mit den FinTechs? Werden die einfach so aus dem Markt für Kryptowerte gedrängt?

Auch das ist eher unwahrscheinlich. Ihre Rolle dürfte sich aber ändern. Sie werden weniger am Markt sichtbar sein und ihre Angebote in den B2B-Bereich als Dienstleister für die etablierten Institute verlagern.

Das alles zeigt: Schon jetzt bringt die MiCAR viel Bewegung in den Markt für Kryptowerte. Und wir stehen hier erst am Anfang.”

Umfrage: In welchem Kundensegment sehen Sie die größten Potenziale für Ihr Unternehmen in Bezug auf Kryptowerte?
Umfrage: In welchem Kundensegment sehen Sie die größten Potenziale für Ihr Unternehmen in Bezug auf Kryptowerte? PPI

Frau Wilbert, vielen Dank für das Gespräch.aj

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