PROF. DR. HANS-GERT PENZEL2. März 2015

FinTechs: Fluch und Segen für die Banken

Prof. Dr. Hans-Gert Penzel,  Geschäftsführender Gesellschafter ibi research an der Universität Regensburgibi
Prof. Dr. Hans-Gert Penzel, Geschäftsführender Gesellschafter ibi research an der Universität Regensburgibi

Ein ganzer Berg von Listen und Rankings liegt auf meinem Schreibtisch: „The 50 Best FinTech Innovators Report“ von AWI, KPMG und FSC; „Innovative Geschäftsmodelle im Banking“ mit fast 200 Nennungen des TME Instituts; der Flyer mit den Top-10 Innovationen aus der FinTech-Konferenz von Wall Street Journal und Financial Times. Mit diesen und vielen weiteren Listen fühlt man sich in die Jahre 1998 und 1999 zurückversetzt, als die Post abging in Richtung E-Business, als die Zahl der Gründungen explodierte, als dje Investoren um Einlage-Möglichkeiten bettelten: Darf es auch etwas mehr sein?

von Prof. Dr. Hans-Gert Penzel,
ibi research an der Universität Regensburg GmbH

Zurück in die Vergangenheit?

Zwei Jahre nach dem Boom von 1998 und 1999 kam der Zusammenbruch der Neuen Märkte, und nach einem kurzen Zwischenhoch der noch viel größere Zusammenbruch im Zuge der Finanzkrise. Deshalb liegt die Frage nahe: Déjà vu? Sehen wir heute die gleichen Zeichen am Horizont? Rollt bereits eine neue Gewitterfront auf die jungen Unternehmen zu?
Oder sind dieses Mal die Nicht-Investoren die Dummen?

Kein Zweifel: Kapital ist wieder auf der verzweifelten Suche nach Anlagemöglichkeiten, mit noch mehr Druck als vor 15 Jahren. Das Renditestreben auf Anleger-Seite hat sich wohl kaum verändert. Aber weil die Zinsen auf absehbare Zeit am Boden liegen, ist das Angebot an attraktiven Investments beschränkter. Das reizt dazu, mehr Risiko zu nehmen, da schließt man schon einmal die Augen!

Andererseits: In den Lösungen sind wir heute auf einem ganz anderen Stand als 1998. Damals waren gleich zwei Kernelemente neu. Erstens mussten sich die neuen Geschäftsideen am Kunden durchsetzen, aber zweitens war auch die gesamte Technologie im Hintergrund neu und unausgereift. Zu schnell haben wir von der Einfachheit globaler Informationsbereitstellung auf eine ähnliche Einfachheit in der Bereitstellung stabiler und sicherer Transaktionen im Netz geschlossen. Deren Realisierung – einschließlich der mobilen Komponenten – hat ein weiteres Jahrzehnt beansprucht, aber inzwischen ist ein solider Stand erreicht. Die Ausgangsvoraussetzungen für Startups im Finanzbereich sind jetzt also deutlich besser. Wobei ein Caveat erlaubt sei: Sicherheit bleibt ein höchst kritisches Thema. Geld ist leichter umleitbar als jedes physische Gut. Jede Lösung trägt ihre Umgehungsversuche bereits in sich, der Kampf der Guten gegen die Bösen bleibt eine Daueraufgabe.

Der neue Fokus der Lösungen

Primär geht es heute also nicht mehr um Technologie, sondern um deren Anwendung, um neue Lösungen für die Kunden – seien es Inhalte, sei es die ansprechende Handhabung und Verpackung. „Kundenzentrierung“ war zwar schon in der ersten E-Business-Welle angesagt, aber die vollen Möglichkeiten der Umsetzung sind erst heute gegeben, insbesondere im mobilen Bereich.

Und in der Tat wird von den FinTechs sehr viel geboten:
Es ist phänomenal, wie PayPal – als frühes FinTech-Unternehmen – die Zahlung im Internet radikal vereinfacht und damit die Entwicklung des E-Commerce beschleunigt hat.
Man sollte sich ansehen, wie andere FinTechs – zum Beispiel Avuba oder Number26 – schrittweise komfortable Möglichkeiten rund um das mobile Girokonto schaffen, es zu einer echten Informationszentrale machen.
Die quirin bank hat mit quirion eine beeindruckend simple, transparente und bezahlbare Vermögensverwaltung für (fast) jeden geschaffen. Zugegeben, die quirin bank ist formal kein FinTech, trägt aber viele Gene eines FinTech in sich.
Wie P2P-Markplätze Anbieter und Nachfrager von Kapital zusammenbringen, ist bemerkenswert – auch wenn das transferierte Volumen noch sehr überschaubar ist. Doch Firmen wie Lendico oder Auxmoney arbeiten sich beharrlich in die Köpfe der Kunden vor.
Und auch die innovativsten Lösungen des Personal Finance Management (PFM) kommen nicht aus den Banken selbst. “Centralway Numbrs – Eine App. Eine Bank.” bringt es auf den Punkt. Qontis aus Zürich geht noch einen Schritt weiter: das “Finanztool für mehr Durchblick” bietet gleichzeitig ein Online-Magazin mit den Themen “Planen, Sparen und Ausgeben” an. Kein Wunder, ist doch die NZZ mit im Boot.

All diese Lösungen sind vom Kunden her gedacht – und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch in der „Verpackung“, in der Art des vorgeschlagenen Umgangs. Sie enthalten zunehmend spielerische Elemente, ohne dass Finanzen dadurch gleich zum Spiel werden. Wenn PFM die Ausgaben automatisch kategorisiert, Ausgabehöhen mit denen der Peers vergleicht, Budgets vorschlägt, Tipps für deren Einhaltung liefert, so kann das zu Motivation und Engagement im Umgang mit Finanzen beitragen. Welch ein Unterschied gegenüber dem Kampf mit klassischen Kontoauszügen, die durch undifferenzierte Darstellung der SEPA-Verwendungsfelder unüberblickbar geworden sind!

Prof. Dr. Hans-Gert Penzel,  Geschäftsführender Gesellschafter ibi research an der Universität Regensburgibi
Prof. Dr. Hans-Gert Penzel, Geschäftsführender Gesellschafter ibi research an der Universität Regensburgibi

Das erinnert mich übrigens an den Weg von der klassischen Gesundheitsvorsorge zur digitalen Health-App. Auf meinem Smartphone war die Health-App bereits standardmäßig installiert. Erst ignorierte ich sie. Inzwischen kann ich mich schwer bremsen, doch immer einmal wieder zu prüfen, wie viele Treppen ich heute schon gestiegen bin und wie viele Kilometer ich gelaufen bin. Und man empfindet es als motivierend, sich anzustrengen und noch ein paar Etagen nachzulegen.

Stärken und Schwächen der Beteiligten

Etablierte Banken tun sich schwer mit den oben beschriebenen „disruptiven“ Innovationen. Die Erklärung lieferte schon 1997 Clayton Christensen mit seinem Buch „The Innovator“s Dilemma“: In großen Unternehmen gibt es per se zu viele natürliche Hemmfaktoren. Für etablierte Banken mit ihrer bewahrenden Kultur gilt das umso mehr: „Die Kunden, die wir gefragt haben, wollen das eher nicht!“ oder „Das ist unter Sicherheitsaspekten problematisch“. „Wenn wir das online machen, rechnen sich die Filialen nicht mehr“ und natürlich: „Das wird die Aufsicht sicherlich nicht durchgehen lassen“.

Gerade das Argument der Regulation kann zum Totschläger werden. Viele Banken wollen auf der Aufsichtsseite eher 120 Prozent Sicherheit – schließlich stehen Vorstand und Aufsichtsrat im Risiko. Dann wird der Graubereich nicht einmal intellektuell ausgelotet. Viele Startups dagegen testen ihre Möglichkeiten aus, dringen vorsichtig in den Graubereich vor. Man muss wirklich nicht so weit gehen wie Uber, die offenbar ganz bewusst Verletzungen regulativer Vorgaben einkalkulieren.

Über den Potentialen der FinTechs vergisst man aber oft ihr größtes Handikap. Der Aufbau eines großen, loyalen Kundenstamms für Bankdienstleistungen dauert sehr lange. Das galt schon in der alten Welt für die Frage, nach wie vielen Jahren sich eine neue Filiale rechnet. Aber auch die Direktbank ING DiBa ist – zunächst als gewerkschaftliche Gründung BSV – bereits seit 50 Jahren in Deutschland unterwegs. Selbst PayPal hat für die Erreichung der heutigen Position 15 Jahre gebraucht, bei Einbezug des Vorgängers Confinity sogar 17 Jahre. Und dies, obwohl PayPal grundsätzlich am Checkout jedes E-Commerce-Prozesses präsent sein konnte, jeder potentielle Kunde sozusagen darüber stolperte. Alternative Banken wie die Fidor Bank zeigen, wie schwer es auch mit attraktiven Ideen ist, einen größeren Kundenstamm aufzubauen. FinTechs haben das Thema in der Mehrzahl der Fälle erst angekratzt.

Möglichkeiten der Positionierung

Banken müssen sich auf die neuen, digital affinen Kunden einstellen – und das fällt ihnen schwer. FinTechs liefern oft die richtigen Ideen dazu – tun sich aber beim Gang in die Breite schwer. Die beiden brauchen einander, sollten ihre Stärken kombinieren. Aber das ist einfach gesagt und schwer getan. Es wird nicht das eine Erfolgsmodell geben, sondern unterschiedliche Varianten, die am Markt getestet werden: Bank allein (mit Ideen der FinTechs), Bank kauft FinTech, FinTech allein (mit Bank für die Abwicklung), FinTech kauft Bank(-mantel), diverse Mischformen von Kooperation bis zu Co-opetition. Im folgenden seien beispielhaft einige Konstellationen beschrieben.

Es gibt Felder, in denen sich die Banken nicht die Butter vom Brot nehmen lassen dürfen. Beispiel Zahlungen im Internet: Es war kurzsichtig, dass die Banken die Schnittstelle zum Kunden im Internet aus der Hand gegeben haben. Da wirkt auch der Satz „wir wickeln die Zahlungen für PayPal und Amazon doch weiterhin im Hintergrund ab“ wie das Pfeifen im dunklen Wald. PayPal und Amazon stehen auf der Schiffsbrücke, kassieren die Kundenbeziehung und die Marge am Kunden. Die Banken schaufeln zu Mindestlöhnen tief unten im Rumpf die Kohle. Und freuen sich, dass sie weiter an Bord sind und die Arbeit noch nicht ausgeht. Dass die Banken nun mit „BV“ in Eigeninitiative ein neues Bezahlverfahren etablieren und Position beziehen wollen, ist überfällig – und (fast) schon zu spät. Wenn es mit einem eigenen Verfahren für den physischen Präsenzhandel wieder so lange dauert, so ist das aus Banksicht eine Katastrophe.

FinTechs sind von ihrem ganzen Denken und ihrer Ausrichtung prädestiniert für das Angebot von P2P-Marktplätzen; hier haben sie die Führung übernommen. Offen ist allerdings, wie stark diese Marktplätze wachsen werden, denn heute entspricht das aggregierte Kreditvolumen aller Plätzen in Deutschland gerade einmal demjenigen einer mittelgroßen Volksbank. Noch fehlt der Mehrzahl der Anleger eindeutig das Vertrauen.

FinTechs können auch eine stärkere Rolle in der Anlageberatung in Selbstbedienung spielen – mit einfach handhabbaren Portfolio-Tools, wie sie FinanceScout 24 oder Vaamo bieten. Für Banken lohnt sich die hochregulierte Anlageberatung bis zu einem Anlagevolumen von etwa 50.000 Euro nicht mehr, für falsche Einschätzungen wird der Berater vielleicht sogar abgestraft. Erste Banken ziehen sich zurück und es entwickelt sich Brachland. Die entsprechenden Kunden müssten dringend in die Lage versetzt werden, in Selbstbedienung zu agieren. Dafür können FinTechs Lösungen am Frontend bereitstellen, während die Umsetzung nach hinten weiterhin bei den Banken liegt.

In einem Feld schließlich könnten FinTechs und Banken aufeinander prallen: dem Feld des PFM. Hier liegt der Schlüssel zum Kunden, hier liegen auch Margen, um die es sich zu kämpfen lohnt. Bevor eine Bank eine zweitklassige Leistung produziert, sollte sie eine Lösung zukaufen oder mit einem FinTech kooperieren. Umgekehrt könnten FinTechs versuchen, Kunden mit dem Versprechen der neutralen, Bank-übergreifenden Sicht dauerhaft an sich und von den Banken weg zu ziehen.

Fazit

Nein, wir sind nicht zurück im Jahr 1998 und 1999. Digitale Technologien haben eine Reife entwickelt, die eine komfortable und zuverlässige Nutzung selbst im mobilen Bereich erlaubt. FinTechs bringen systematisch neue Ideen ein, die Finanzdienstleistungen bereichern. Sie tun sich aber oft schwer mit dem Rollout in die Breite. Banken brauchen diese Ideen und bieten Plattformen für den Breiteneinsatz. In der Umsetzung wird es die unterschiedlichsten Konstellationen geben, mit Win-Win-Situationen, aber auch diversen Verlierern. Es ist höchst wichtig und lohnenswert, diese Entwicklung eng zu begleiten. Dem IT Finanzmagazin kann man nur viel Erfolg dabei wünschen!aj

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